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Eine Doppelbürgerin für die SVP im Nationalrat

Yvette Estermann: Ärztin, Beraterin, Ehefrau, Mutter, bis 1999 Ausländerin, seit 2007 SVP-Nationalrätin. Keystone

Yvette Estermann ist slowakisch-schweizerische Doppelbürgerin und Nationalrätin der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei SVP. Seit letztem Monat ist sie auch Präsidentin der Luzerner SVP-Sektion.

Die gebürtige Slowakin Yvette Estermann hat in der Schweiz bereits eine steile Politkarriere gemacht.

Dabei kam ihr erster Kontakt zur Schweiz erst Anfang der 90er-Jahre zustande: Als 24-Jährige fuhr sie aus der damaligen Tschechoslowakei ins nahe gelegene Wien, um ihre Abschlussprüfungen des Medizinstudiums vorzubereiten. Dort traf sie ihren künftigen Ehemann, den Schweizer Autor Richard Estermann.

1993 schloss sie das Medzinstudium ab, bereits im neuen Staat Slowakei. Darauf reiste sie in die Schweiz, wurde 1999 erleichtert eingebürgert und 2000 Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Nur sieben Jahre später zog sie als Nationalrätin ins Bundesparlament ein. Und im Mai wurde sie von der kantonalen SVP-Sektion Luzern zur Präsidentin gekürt.

swissinfo: In Luzern arbeiteten Sie lange Zeit als Homöopathie-Ärztin. Weshalb wurden Sie politisch aktiv?

Yvette Estermann: Während zehn Jahren betrieb ich in Luzern und Kriens eine Praxis. Doch die gab ich dann auf, weil mich das Coaching mehr interessierte.

Als ich 1993 in die Schweiz kam, kurze Zeit nach dem die Schweiz den EWR-Beitritt abgelehnt hatte, stand gerade das Grossthema EU-Beitritt im Raum. Ich spürte den politisch stark aufgeladenen Moment und seine weitreichenden Folgen für das Land sehr intensiv.

swissinfo: Was genau haben Sie denn wahrgenommen?

Y. E.: Vor allem die Polarisierung unter den Schweizern selbst. Als Neuling fiel mir auf, dass alle, die ich nach der Meinung fragte, entweder klar für oder klar gegen den EU-Beitritt waren. Mir fiel auch auf, wie alle auf der SVP herumhackten, obwohl ich persönlich fand, dass es in dieser Partei gute Ideen hätte.

Wenn diese Partei so schlecht gemacht wird, dachte ich mir, muss auch etwas Gutes daran sein. Darauf erkundigte ich mich nach Parteiprogrammen und Statuten und sagte meinem Mann: In diese Partei werde ich gehen, wenn ich einmal eingebürgert bin.

Was mein Umfeld doch erstaunte, da dieses nicht unbedingt SVP-geprägt war.

swissinfo: Haben denn Ihre EU-kritischen Ansichten slowakische Wurzeln, obschon die Slowakei gegenüber Europa ganz andere Voraussetzungen mitbringt als die Schweiz?

Y. E.: Ja. Auch in der Slowakei wäre ich gegen den EU-Beitritt gewesen, hätte ich abstimmen können. Obschon ich heute zugebe, dass der EU-Beitritt für die Slowakei einen starken Aufschwung zur Folge hatte – kurzfristig.

Die EU sei ein Gebilde, bei dem man sich Subventionen hole und das einem nütze – so tönte es doch oft in den ärmeren Beitrittsländern. Seither macht sich jedoch Skepsis breit. Die Begeisterung hat sich inzwischen gelegt, das Vertrauen in Brüssel abgeschwächt. Man fühlt sich ungehört und bevormundet, denn die Entscheide fallen anderswo.

swissinfo: Lässt sich dieser Gesinnungswandel verallgemeinern?

Y.E.: Ich denke schon. In Deutschland zum Beispiel fällt mir die fehlende Begeisterung beim Wählen auf, als ob den Leuten die politischen Flügel gestutzt worden wären. Statt Enthusiasmus spürt man Resignation. Wir können arbeiten, so viel wir wollen, heisst es, die Steuern und Brüssel fressen alles wieder weg.

In der Schweiz hingegen können sich Bürger und Bürgerin noch fürs Land begeistern – es wäre darum schade, wenn sich auch hier Euro-Resignation breitmachen würde.

Für die EU-Bürger hingegen bleibt die Schweiz eine Art Insel der Hoffnung, viele Europäer sehnen sich nach helvetischen Verhältnissen. Die Rechte der direkten Demokratie gefallen den Bürgern im Ausland, denen die politischen Rechte etwas abhanden gekommen scheinen.

Ein Umstand, der vielen in Brüssel und in nationalen Regierungen ein Dorn im Auge ist.

swissinfo: Ob Bern oder Bratislava, überall fürchtet man sich also vor “fremden Vögten”. Waren Sie denn nach dem Fall der “sowjetischen Vögte” für oder gegen die Aufspaltung der Tschechoslowakei?

Y. E.: Eigentlich fand ich die Aufspaltung schade. Anderseits waren die Bedingungen der politischen Führung für einen Verbleib bei Tschechien derart, dass eine Trennung besser erschien.

Es lief wie immer: Prag beschloss, und Bratislava hatte abzusegnen. Da wollten die Leute in der Slowakei auch einmal selbst bestimmen.

swissinfo: Ihre Partei lehnt die Personenfreizügigkeit gegenüber osteuropäischen Ländern ab. Weshalb unterstützen Sie als slowakisch-schweizerische Doppelbürgerin diese Politik?

Y.E.: Ich habe in meiner alten Heimat einiges erlebt, was ich den Schweizern nicht wünschen möchte. Man sieht jetzt in Italien, was passiert, wenn die Behörden die Einwanderung nicht mehr im Griff haben.

Die Schweizer können vom Ausland lernen und solche Zustände gar nicht erst aufkommen lassen. Es ist nicht nötig. Andererseits muss jedes Land seine Erfahrung erst selber machen.

Wie auch immer: Die Schweizer haben im Gegensatz zu den anderen die direkte Möglichkeit, hier einzuwirken. Leider geht dennoch ein hoher Anteil der Leute nicht an die Urne.

swissinfo: Ein Vierteljahrhundert vor Ihnen kam bereits einmal eine Welle von gut ausgebildeten Slowaken und Tschechen in die Schweiz – als Folge der sowjetischen Niederschlagung des Prager Frühlings. Diese Leute sind heute längst Schweizer. Haben Sie Kontakt mit dieser Generation?

Y. E.: Sicher. Wobei die Meinungen sehr stark auseinander gehen. Viele 68er-Tschechen und Slowaken argumentieren inzwischen noch rechter als wir in der SVP. Andere wiederum finden, sie würden meinen Weg in einer rechtsbürgerlichen Partei nie beschreiten.

Ihre Meinungen hängen stark von ihrer familiären Geschichte ab, und auch vom Umstand, auf welche Weise sich diese Leute seither integriert haben.

swissinfo, Interview: Alexander Künzle

Yvette Estermann wurde 1967 in Bratislava geboren
1992 Promotion zur Dr. med. in Bratislava
1994 verlegte sie den Wohnsitz nach Kriens, im Kanton Luzern
1994 FMH-Mitglied (Schweiz. Ärztegesellschaft)
Bis 1996 Ausbildung in klassischer Homöopathie
1995 Eröffnung eigener Praxis für Komplementärmedizin
1999 Einbürgerung
2000 Eintritt in SVP
2003 Eröffnung von ‘estermann Life coaching’

Yvette Estermann ist verheiratet und hat einen Sohn.

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