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Massive Abfuhr für die SVP

Keystone

Dem Schweizer Stimmvolk ist das Recht auf ein faires Verfahren offenbar wichtiger als die Möglichkeit, an der Urne über Einbürgerungen zu entscheiden. Auch der Stil der Schweizerischen Volkspartei erhielt durch das deutliche Nein wohl einen Rüffel.

Die meisten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger setzen auf Fairness, auf ein gerechtes Einbürgerungsverfahren mit der Möglichkeit zum Rekurs. Dass die Initiative dieses Recht explizit nicht vorgesehen hat, warf die Frage der Menschenrechte auf und roch für viele Stimmende wohl nach Willkür.

In einem Rechtsstaat wie der Schweiz scheint das Stimmvolk kein Verständnis für ein Anliegen aufzubringen, das fundamentale Rechte beschneiden will.

“Das Volk hat offensichtlich das Bundesgericht gestützt und nicht Parteiführer, die meinen, sie seien das Volk”, sagte alt Bundesgerichts-Präsident Giusep Nay am Schweizer Radio. “Ein Nein gab es auch, weil Respekt und Anstand die wahren schweizerischen Werte sind – und nicht Willkür und Diskriminierung.”

Im April noch eine Mehrheit

Die letzte Umfrage Mitte Mai hatte bereits auf eine Niederlage hingewiesen: 56% der Befragten lehnten die Einbürgerungs-Initiative der SVP damals ab, 33% stimmten zu. Dies, nachdem sich einen Monat zuvor noch 48% der Befragten für das Volksbegehren ausgesprochen und 37% dieses abgelehnt hatten.

Dieser Sinneswandel mag zwar erstaunen, doch entspricht er dem Trend, den die Politologen bei Volksinitiativen im Normalfall beobachten: Zu Beginn des Abstimmungskampfs entscheidet das Stimmvolk jeweils eher aus dem Bauch heraus, während es sich später genauer mit den Details befasst und gegenüber einer Vorlage kritischer wird.

Nun ist das Ergebnis noch viel deutlicher ausgefallen, als die Umfragen voraussagten: Nur 36% stimmten dafür, 64% dagegen. “Die SVP ist heute auf die Vertretung von nationalkonservativem Gedankengut reduziert worden”, sagte Politologe Claude Longchamp im Radio zur Tatsache, dass die Partei mit ihrem Wähleranteil von 29% nur 7% zusätzliche Stimmen für ihre Initiative holen konnte.

Kontroverse um SVP-Bundesrätin

Gut möglich ist auch, dass die Kontroverse um SVP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf von vielen Stimmenden benutzt wurde, um ein Votum gegen die SVP-Politik zu setzen. So ist das Resultat zu einem Teil wohl auch als Antwort auf den Stil der Partei zu werten.

Ironie der Geschichte: Am Tag, an dem die SVP ihre Bündner Sektion ausschliesst, weil sich diese zu Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf bekennt, erleidet die Partei eine Abfuhr auf der ganzen Linie. Sie hatte alle drei eidgenössischen Vorlagen unterstützt, zwei davon stammten aus ihrer Küche. “Interner Streit ist für die Mobilisierung nie gut”, sagte Longchamp dazu.

Oppositionskurs überprüfen

Für die SVP war diese Abstimmung die wichtigste des Jahres. Sie wollte damit ihre Fähigkeit als Oppositionspartei beweisen. Dieser Lackmustest ist nun aber gescheitert.

“Eine Partei, die Opposition sein will, muss sich gegen die Regierung und die anderen Parteien durchsetzen können”, so Longchamp. “Vom stolzen Wahlsieger vom Oktober 2007 ist im Moment nicht mehr viel zu sehen.” Die Partei würde jetzt gut daran tun, ihren Oppositionskurs noch einmal zu überprüfen. “Auf die Dauer ist das schweizerische Politsystem eigentlich nicht auf Oppositionsparteien ausgerichtet.”

Unklare Kampagne

Auch die Intensivierung der Kampagne in den letzten Tagen mit der Fokussierung auf kriminelle Ausländer hat dem Ansinnen der SVP wohl mehr geschadet als geholfen.

“Die SVP konnte nicht erklären, was sich eigentlich ändern würde”, sagte Politologe Georg Lutz gegenüber swissinfo. “Die Kampagne war sehr populistisch, fokussiert auf kriminelle Ausländer, auf lokale Demokratie; aber was sich wirklich ändern würde, blieb bis zum Ende unklar.”

So stand an diesem Abstimmungssonntag die SVP gegen alle anderen Parteien auf verlorenem Posten.

swissinfo, Christian Raaflaub

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