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Einladung zur Entdeckung der wahren Weihnacht

Der Bischof von Chur, Amédée Grab, verteidigt den interreligiösen Dialog und plädiert für Toleranz. swissinfo.ch

Über Jahre hat sich der Bischof von Chur, Amédée Grab, für die Verteidigung christlicher Werte in der Gesellschaft eingesetzt. Ende dieses Jahres gibt er das Amt des Präsidenten der Schweizerischen Bischofskonferenz ab.

Im swissinfo-Interview nimmt Grab Stellung zur Rolle der katholischen Kirche in der Schweiz, zum Dialog mit anderen Religionen und zur Bedeutung von Weihnachten.

swissinfo: Unter Ihrer Präsidentschaft hat die Schweizerische Bischofskonferenz den Dialog mit anderen Religionen intensiviert. Gleichwohl hat man den Eindruck, die Ökumene habe in der Schweiz kaum Fortschritte gemacht.

Amédée Grab: Die Ökumene hat einen sehr schwierigen Moment erlebt, nachdem der Vatikan im Jahr 2000 die Erklärung Dominus Jesus veröffentlichte. Darin wird die Einzigartigkeit des Erlösers und der katholischen Kirche vertreten. Dies hat zu einigem Streit geführt. Wir haben uns jedoch in der Schweiz seither ganz pragmatisch verhalten und immer den Willen zu einer Zusammenarbeit unterstrichen.

Dieser Ansatz hat sich in wichtigen gemeinsamen Stellungnahmen der Bischofskonferenz und des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes konkretisiert. Fortschritte in der Ökumene zeigen sich aber auch in der Zusammenarbeit auf karitativer Ebene oder in Bereichen wie der Seelsorge in Spitälern, Gefängnissen oder Asylbewerberheimen.

In den letzten Jahren wurden zudem Anstrengungen gemacht, den Dialog über die christlichen Kirchen hinaus zu führen. Daraus entstand im vergangenen Mai der Rat der Religionen, in dem Katholiken, Protestanten, Juden und Moslems vertreten sind.

swissinfo: Die Bischofskonferenz hat sich auch zu Abstimmungsvorlagen geäussert und beispielsweise gegen die Verschärfung des Asylgesetzes im September plädiert. Will die katholische Kirche in der Schweiz aktiver ins politische Geschehen eingreifen?

A.G. Ich glaube nicht. Doch gilt es zu beachten, dass die Vorlagen in den Volksabstimmungen in den letzten Jahrzehnten fast immer ökonomischer Natur waren. In den letzten Jahren gab es dann aber einige soziale oder wissenschaftliche Vorlagen mit bedeutenden ethischen Implikationen. Die katholische Kirche, aber auch die protestantischen Kirchen, empfanden es als ihre Pflicht, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen.

Die Bischöfe schreiben aber nicht vor, wie man abstimmen muss. Wir versuchen einfach, ethische Überlegungen und Sichtweisen darzustellen, die es erlauben, eine vom Evangelium bestimmte Meinung zu fassen.

swissinfo: Die Stellungnahme der Bischofskonferenz in der Asyldebatte ist stark kritisiert worden. Sie wurden sogar beschimpft.

A.G.: Ich bin es eigentlich seit 20 Jahren gewohnt, dass man mich angreift oder beleidigt. Aber in der Tat wurde ich noch nie so beschimpft wie im Rahmen dieser Abstimmung. Dies war im übrigen nicht nur vor der Abstimmung, sondern auch noch danach der Fall. Offenbar gibt es Leute, denen es nicht reicht zu gewinnen, sondern die mit ihrer Intoleranz auch die Verlierer unter Druck setzen wollen.

Ich muss leider feststellen, dass die Aggressivität der Briefe und die Vulgarität im Tonfall zunimmt. Es breitet sich eine Grobheit aus, die es vor 20 Jahren nicht gab. Dies liegt wohl auch daran, dass bestimmte Formen des Populismus zunehmen, die künstlich eine Abwehrmentalität und Ängste schüren und diese zum Dogma erheben.

swissinfo: Eine weit verbreitete Angst unter den Schweizern betrifft die islamische Welt. Dies zeigt sich im Streit um den Bau von Minaretten. Welche Position vertreten Sie in dieser Angelegenheit?

A.G.: Religion ist keine Privatsache, sondern eine Realität der Gemeinschaft. Es ist undenkbar, dass Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften zusammen leben, wenn die Religionsfreiheit und der Respekt dafür nicht garantiert sind.

Wenn wir fordern, dass es in islamischen Ländern die Freiheit geben soll, christliche Kirchen zu bauen und unseren Glauben öffentlich zu leben, müssen wir umgekehrt auch den Moslems in der Schweiz dieses Recht zugestehen Es stimmt, dass unser Recht auf Glaubenausübung in islamischen Ländern nicht immer garantiert ist. Doch dieses Unrecht berechtigt uns nicht, selber Unrecht zu begehen.

Umgekehrt darf die Anerkennung anderer Religionen nicht zur Negation der eigenen Rechte und Werte führen. So können wir beispielsweise die Negation unserer christlichen Wurzeln nicht akzeptieren. Auch das Verhältnis von Staat und Religion, wie es in einigen islamischen Ländern praktiziert wird, ist für uns inakzeptabel. Es verstösst gegen unsere Freiheitswerte.

swissinfo: Während die Religion in der islamischen Welt immer wichtiger wird, verschwindet ihre Bedeutung in den westlichen Ländern. Wie erklärt sich das?

A.G: Ein Hauptgrund liegt sicherlich darin, dass der Mensch nicht immer in der Lage ist, sich intellektuell und ethisch den wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Viele Menschen, die den Dingen nicht auf den Grund gehen wollen, sind den grossen Veränderungen nicht gewachsen.

Denken wir nur mal an das Fernsehen, das Tag um Tag mit grosser Wucht in die Privatsphäre vieler Menschen eindringt. Es wird ein bestimmtes Bild von Leben und Sein gezeichnet. Viele junge Menschen wachsen in dieser Sphäre auf, ohne jegliche Gedankenanstösse und tiefere Reflexionen. Sie erreichen das Alter von 20 Jahren, ohne sich je nach den fundamentalen Werten des Lebens gefragt zu haben.

swissinfo: Was ist Weihnachten und was bedeutet das Fest für Sie?

A.G.: Ich habe den Eindruck, dass Weihnachten für viele Menschen vor allem zu einem Störfaktor geworden ist. Das hängt wohl mit den wachsenden ökonomischen Möglichkeiten zusammen und der Pflicht, Geschenke zu machen. Die Bedeutung von Weihnachten ist problematisch geworden: Sie reduziert sich häufig auf ein Abendessen, ein paar Geschenke und einen Tannenbaum.

Ich wünsche mir, dass alle Menschen den wahren Funken der Weihnachten wieder finden können. Dass man sieht, dass hinter allem die Liebe Gottes steckt, die uns geschenkt wird. Wenn wir uns dies bewusst machen, machen wir uns auch den Wert unserer eigenen Existenz bewusst.

swissinfo, Interview Armando Mombelli
(Übertragen aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Amédée Grab wurde 1930 in Zürich geboren und wuchs in Genf auf. Nach einem Theologie- und Philosophie-Studium in Einsiedeln wurde er 1953 zum Priester geweiht.

Von 1958 bis 1978 war er Rektor des Collegio Papio von Ascona. 1987 wurde er Weihbischof und 1995 Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg.

1998 ernannte ihn der Papst wurde zum Bischof von Chur. Er löste in dieser Funktion Wolfgang Haas ab, der mit seinen ultrakonservativen Positionen die Schar der Gläubigen spaltete.

1998 übernahm Amédée Grab die Präsidentschaft der Schweizerischen Bischofskonferenz und 2001 jene des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen.

Grab gibt diese beiden Ämter auf Ende Jahr ab. Zudem hat er den Papst darum gebeten, ihn aus Altersgründen von seiner Funktion als Bischof von Chur zu entbinden.

Religionszugehörigkeit in der Schweiz gemäss Volkszählung aus dem Jahr 2000 (in Klammer Vergleichsdaten aus dem Jahr 1970)

Römisch-katholische Kirche 41, 8 % (49, 39 %)

Evangelisch-protestantische Kirchen 33,04% (46.42%)

Andere christliche Gemeinschaften 4,41% (1,95%)

Muslimische Gemeinschaften 4,26% (0,26%)

Jüdische Gemeinschaften 0,25% (0,33%)

Andere Religionen 0,78% (0,12%)

Keine religiöse Zugehörigkeit 11,11% (1,14%)

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