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“Landwirtschaft für GVO-Anbau noch nicht bereit”

Der Einsatz derselben Maschinen auf verschiedenen Anbauflächen vergrössert das Risiko der Kontamination. Keystone

Die Landwirtschaft ist nicht grundsätzlich gegen gentechnisch veränderte Organismen. Ein GVO-Anbau unter heutigen Bedingungen ist für den Schweizerischen Bauernverband jedoch undenkbar. Deshalb soll das nationale Moratorium bis 2017 verlängert werden.

Genetisch veränderte Pflanzen (GVP) sind nicht schädlich. Weder für die menschliche Gesundheit noch für die Umwelt. Das ist, kurz zusammengefasst, das Fazit des Nationalen Forschungsprogramms NFP 59 “Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen”. Ihr wirtschaftlicher Nutzen sei unter den heutigen Bedingungen der Schweizer Landwirtschaft jedoch “bescheiden”, heisst es im Schlussbericht des NFP 59.

Was halten aber die Schweizer Bauern, über die rein wirtschaftlichen Einschätzungen der Forscher hinaus, von GVO? Und wie schätzen sie Nutzungspotenzial und Nachteile eines solchen Anbaus ein, der zur Zeit infolge eines 2005 eingeführten Moratoriums verboten ist? Darüber hat sich swissinfo.ch mit Bernard Nicod unterhalten, einem “typischen Flachlandbauern” des Kantons Waadt, wie sich das Vorstandsmitglied des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) selbst bezeichnet.

swissinfo.ch: Sie bauen Kartoffeln, Getreide, Futtermittel und Tabak auf konventionelle Art an. Wären Sie bereit, genetisch veränderte Pflanzen in Ihrer Agrarproduktion einzuführen?

Bernard Nicod: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Gentechnologie. Die meisten Schweizer Bauern, oder zumindest die meisten SBV-Mitglieder, teilen diese Position. Wir glauben jedoch, dass die Schweizer Landwirtschaft im jetzigen Moment dazu noch nicht bereit ist.

swissinfo.ch: Aus welchen Gründen?

B.N.: Der Anbau von genetisch veränderten Pflanzen muss drei Bedingungen erfüllen: Er muss ökologisch, landwirtwirtschaftlich und wirtschaftlich interessant sein. Aber gegenwärtig wird keines der drei Kriterien erfüllt.

swissinfo.ch: Das müssen Sie uns genauer erklären.

B.N.: Die schweizerische Landwirtschaft muss unter anderem, die Konsumenten mit Nahrungsmittel versorgen. Zur Zeit will der grösste Teil der Konsumenten aber keine Nahrungsmittel aus transgenetischem Anbau. Kein Unternehmer würde sich für die Produktion von Lebensmitteln engagieren, die der Konsument nicht will.

Die Schweiz ist ein kleines Land mit landwirtschaftlichen Anbauflächen, die sehr nahe beieinanderliegen. Deshalb ist es schwierig, den Produktions- und Distributionsablauf der konventionellen von der transgenetischen Landwirtschaft zu trennen. Wir sind nicht sicher, ob wir die zusätzlichen Kosten tragen könnten, die durch eine solche Trennung entstünden.

Diese Kosten, ebenso die Frage der zivilen Haftbarkeit für allfällige Kontaminationen, wurden im NFP-59-Programm nicht einbezogen. Auch deswegen sollte die Forschung über GVO weitergeführt werden, so dass die Problematik unter verschiedenen Aspekten besser definiert werden kann. Wir sind deshalb überzeugt, dass das Moratorium für den Anbau von GVO bis 2017 verlängert werden sollte.

swissinfo.ch: Welche Vorteile könnte der Anbau von GVO in der Schweiz theoretisch bringen?

B.N.: Eine Produktivitätssteigerung. Im quantitativen, aber auch im qualitativen Sinn. Ich denke da an den Proteingehalt oder an den erhöhten Nährwert von gewissen transgenetischen Pflanzen. GVO können Krankheiten oder Angriffe von Parasiten abwehren und damit die Anwendung von Pflanzenschutzprodukten wie Pestizide oder Fungizide reduzieren.

Die Klimaveränderung bewirkt, dass gewisse Bewirtschaftungen sich wahrscheinlich an neue Lebensumstände anpassen müssen. In dieser Optik könnten GVO positiv zu einer Klimaanpassung beitragen. Beispielsweise indem sie widerstandsfähiger gegenüber Hydrostress werden.

swissinfo.ch: Welches sind aber Ihre Befürchtungen und die potenziellen Risiken?

B.N.: Vor allem der Mangel an vertieftem Wissen über die Auswirkungen der GVO auf die Umwelt. Gemäss dem NFP-59-Bericht scheint es keine Probleme zu geben, aber ich glaube nicht, dass die berücksichtigten Elemente genügen, um zu dieser Schlussfolgerung zu kommen. Es ist wichtig, die Forschung weiterzuführen, damit wir überzeugendere Antworten erhalten.

Instrumente und Material der Biotechnologie befinden sich in den Händen von einem oder zwei multinationalen Grosskonzernen, deren ethische Werte unterschiedlich von jenen unserer Gesellschaft sein könnten. Bei GVO besteht die Gefahr, abhängig von jenen zu sein, welche Samen und Produkte liefern. Der Bauer würde seine Unabhängigkeit, seine Autonomie verlieren.

Das sehen wir in den USA, wo sich traditionelle Landwirte von transgenetischen Anbauten umgeben sehen. Sie haben keine andere Wahl, als sich dem Haupttrend anzuschliessen.

Im spezifischen Fall Schweiz ist es so, dass die Agrarprodukte mit der starken Konkurrenz der Nachbarländer konfrontiert sind. Heute können wir diese Produkte noch aufwerten, weil wir besondere regionale Anbaumethoden pflegen. Sobald wir aber mit dem Anbau von GVO beginnen werden, riskieren wir, in der Masse solcher Produkte unterzugehen und wirtschaftlichen Schaden zu erleiden.

Schliesslich sei daran erinnert, dass die Bauern auch eine Rolle beim Erhalt der Biodiversität spielen sollen. Wir wissen aber, dass die Anwendung von GVO die Tendenz hat, die Anzahl der Arten zu vermindern. Ich frage mich, ob das nicht ein Widerspruch ist.

swissinfo.ch: In der Schweiz ist der biologische Landbau stark entwickelt und betrifft durchschnittlich jeden zehnten Landwirtschaftsbetrieb. Ist für Biobauern eine Koexistenz mit GVO möglich?

B.N.: Schwerlich. Die Vorschriften für die biologische Landwirtschaft sind in der Schweiz sehr streng, besonders im Vergleich zu jenen in den Nachbarländern. Mit der Einführung von GVO-Kulturen würde die Einhaltung der biologischen Kriterien noch schwieriger, und der ganze Bio-Sektor wäre zum Verschwinden verurteilt.

Angesichts der Nähe der Anbauflächen ist das Risiko von Aussaat und Kontamination gross. Heute haben wir zum Beispiel landwirtschaftliche Maschinen, die auf verschiedenen Anbauflächen eingesetzt werden. Zur Verhinderung einer möglichen Kontamination müssten neue Maschinen gekauft werden, oder man müsste die Maschinen vor jedem Gebrauch gründlich reinigen. Aber das ist wirtschaftlich nicht machbar.

Und überdies: Wie können wir sicher sein, dass der GVO-Bauer, der seinen Biobauer-Kollegen besucht, nicht Spuren von Pollen oder Samen an seinen Schuhsohlen mitschleppt?

swissinfo.ch: GVO haben also keine Zukunft in der Schweiz?

B.N.: Es kommt darauf an. Heutzutage gilt die Priorität, die Weltbevölkerung zu ernähren. Wenn in Zukunft andere Interessen oder Problematiken auftauchen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Wasserversorgung, und wenn die Biotechnologie eine wirksame Lösung wäre, dann bin ich überzeugt, dass sich die Schweizer Landwirtschaft offen zeigen würde.

Das 2005 lancierte Nationale Forschungsprogramm NFP 59 “Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen” in der Schweiz hat am 28. August 2012 seinen Schlussbericht präsentiert. Hier die wichtigsten Erkenntnisse:

Gesundheit und Umwelt: Aufgrund des heutigen Wissensstandes sind gentechnisch veränderte Pflanzen (GVO) weder für die menschliche Gesundheit noch für die Umwelt schädlich. Diese könnten sogar dazu beitragen, einigen Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Der Einsatz von transgenetischem Bt-Mais kann positive gesundheitliche Auswirkungen haben. Denn er führt zu einer geringeren Belastung von Lebens- und Futtermitteln durch neurotoxische oder krebserregende Mykotoxine.

Konsum: Lediglich ein Viertel der Konsumenten wäre bereit, gentechnologisch produzierte Nahrungsmittel zu kaufen. Dennoch haben sich 80% der befragten Personen für die freie Wahl zwischen konventionellen und GVO-Produkten ausgesprochen.

Landwirtschaft: Der wirtschaftliche Nutzen von GVO ist unter den heutigen Bedingungen der Schweizer Landwirtschaft bescheiden. Er könnte in Zukunft allerdings steigen, wenn Pflanzen mit kombinierten Merkmalen, beispielsweise Herbizid- und Krankheitsresistenzen, zum Einsatz kommen.

Koexistenz und Kosten: Konventioneller Anbau und GVO-Anbau können auch in der kleinen Schweiz koexistieren. Berechnungen zeigen, dass für alle landwirtschaftlichen Kulturen die Kosten für Koexistenzmassnahmen im Vergleich zu den gesamten Produktionskosten gering sind. Zudem könnten die Koexistenzkosten reduziert werden, wenn zusammenhängende Produktionszonen für Landwirtschaftsformen mit GVP geschaffen würden, wie das in bestimmten Regionen Portugals der Fall ist.

2011 ist die globale Fläche der transgenetischen Kulturen (160 Mio. ha, rund 40 mal grösser als die Schweiz) gegenüber dem Vorjahr um 8% angewachsen.

Genetisch veränderte Pflanzen werden in 29 Ländern angebaut, davon 19 Schwellen- oder Entwicklungsländer. Die grösste Dichte solcher Kulturen existiert in den Ländern USA, Brasilien, Argentinien, Indien und Kanada.

Gemäss dem International Service for the Acquisition of Agri-Biotech Applications (ISAAA) werden bis 2015 zehn weitere Länder GVO zu landwirtschaftlichen Zwecken anbauen.

16,7 Mio. Bauern bauen transgenetische Pflanzen an (darunter Soja, Mais, Raps, und Baumwolle).

(Quelle: NFP 59)

(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

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