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Genug von Bibelsprüchen an Werbewänden

Atheisten-Slogan am roten Bus: (Noch) nicht in Bern, aber letzten Januar in London. Keystone

"Wahrscheinlich gibt es keinen Gott. Hör auf Dich zu sorgen und geniesse dein Leben." Diese Werbebotschaft war kürzlich auf Englands roten Bussen zu lesen. Nun kommt sie auch in die Schweiz.

Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS) hat Anfang Woche eine Kampagne gestartet: Sie sammelt Spenden, um “jenen Leuten eine Stimme zu geben, die sich durch all die missionarischen Slogans im Land” gestört fühlen.

“Wir tun es, weil uns viele Leute danach gefragt haben”, sagt FVS-Sprecherin Reta Caspar gegenüber swissinfo. Geplant gewesen sei es nicht. “Wir hatten unsere eigene Kampagne, die im Oktober lief. Darin luden wir die Leute ein, sich auf unserer Website zu “outen”, dass und weshalb sie nicht-religiös seien.

Laut Caspar sollte mit der Kampagne jenen 11% der Schweizer ein Gesicht gegeben werden, die sich als nicht-religiös einstufen.

Vorbild London

“Als wir jedoch sahen, was im Januar in London lief und wie die Leute dort froh um eine solche Kampagne waren, und wie viel Unterstützung das Ganze erhielt, fanden wir, etwas Ähnliches wäre auch für die Schweiz fällig.”

“Die Leuten riefen uns an oder schrieben uns, ‘endlich tut mal jemand was für die Nicht-Religiösen. Wir sind es leid, in der Schweiz ständig religiöser Werbung ausgesetzt zu sein.'”

Als Beispiel nennt Caspar die Bibelzitate an Plakatwänden oder in Zeitungen, die von der christlichen Organisation Agentur C geschaltet werden.

Internationale Ausstrahlung

In London führte die “Atheist Bus Campaign” mit Plakaten auf 30 roten Doppeldecker-Bussen zu einem internationalen Erfolg. Sie griff auch nach Amerika über.

Die Kampagne war von der britischen Journalistin Ariane Sherine im vergangenen Oktober lanciert worden. Gerechnet wurde mit einer Summe von 5500 Pfund Spendengelder. Doch in drei Tagen kamen mehr als 100’000 Pfund zusammen.

Vorgesehen waren sie für einen Slogan gegen einen religiösen Werbespruch. Dieser führte die Leute zu einem Internet-Link, wo zu lesen stand, dass Nicht-Christen “in alle Ewigkeit in der Hölle ausharren” würden, brennend “wie ein Meer aus Feuer”.

Die ersten “atheistisch beworbenen” Busse starteten am 6. Januar. Vier Wochen lang blieben 800 solche Busse im üblichen Verkehrschaos in ganz Grossbritannien – gut sichtbar – stecken. Als nächstes sind Zitate von berühmten Atheisten vorgesehen, die auf 1000 Plakaten im Londoner Underground-Gebiet platziert werden sollen.

Christliche Gruppen in Grossbritannien reagierten auf diese atheistische Kampagne mit Slogans wie “sagte sich der Dumme im Herzen – es gibt keinen Gott” (“The fool hath said in his heart, There is no God”).

Genug davon

Laut Caspar zielt die FVS für die entsprechende Kampagne in der Schweiz eine Summe von 50’000 Franken an. Die Vereinigung, die dieses Jahr ihren hundertsten Geburtstag feiert, garantiert, dass die Spendengelder ausschliesslich in die Bus-Kampagne fliessen werden.

Caspar rechnet mit bis zu 100’000 Franken. In einer Stadt koste es rund 5000 Franken, ein Plakat in einem Tram oder einem Bus ein ganzes Jahr hängen zu lassen. “Auf dem Land kostet es etwas weniger”, sagt sie.

“Sobald die Spenden hereinkommen, können wir sehen, woher sie kommt. Dies wird dann mitentscheiden, wo wir es wieder ausgeben.”

Das Ziel bestehe aber nicht darin, eine möglichst grosse Summe einzunehmen. “Was wir wollen, ist aufzuzeigen, dass viele Leute, nicht nur in der Schweiz, genug haben von religiöser Propaganda, genauso wie vom religiös gefärbten Gerede der Politiker”, so die FVS-Sprecherin.

“Was uns wirklich geärgert hat, war, als Bundespräsident Hans-Rudolf Merz seine Neujahrs-Ansprache mit einem religiös anmutenden ‘unter dem Schutz unseres Glaubens’ beendete. Wir fragten ihn schriftlich an, was er denn damit genau meine. Er bestätigte zwar den Eingang des Briefes, geantwortet hat er noch nicht. Er arbeite noch an einer Antwort, hiess es.”

Gegen-Kampagne

Die Reaktion auf die Atheisten-Kampagne in der Schweiz fällt gemischt aus. Die Landeskirchen wollen keine Kommentare abgeben. Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) erklärte, sie bewerte Politik und nicht Religion.

Die Evangelische Volkspartei (EVP) hingegen erwägt eine Gegen-Kampagne. Simon Weber, Sprecher des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), sagte gegenüber swissinfo: “Eigentlich liesse sich auch das Gegenteil sagen: ‘Wahrscheinlich gibt es einen Gott – mach Dir keine Sorgen, geniess das Leben.”

Es sei Aufgabe der Kirche, über Gott und die Erlösung zu predigen. Das tue sie seit 2000 Jahren. “Wenn nun jemand etwas anderes behauptet, ist dies nichts Neues, auch wenn es in dieser Form etwas Neues ist. Die Kampagne in Grossbritannien hat uns keinen Ärger bereitet.”

Positives herausstreichen

Caspar streicht heraus, dass die FVS-Kampagne “Geniess das Leben!” etwas Positives sei. Untertitelt werde sie mit “für religiöse Abrüstung”.

“Die protestantische Kirche in Basel hat ein Tram lanciert, das für ein ganzes Jahr lang mit vielen Statements zur Kirche bedeckt bleibt.” Caspar vermutet, dass dies ein Versuch ist, die in den vergangenen Jahren rund 2000 aus der Kirche Ausgetretenen zurückzugewinnen.

Das sei, so Caspar, eine Art Aufrüstung. Jedermann beginne, um Mitglieder zu werben und seine gesellschaftliche Position auszubauen. “Wir denken, dass das echt kontraproduktiv wirkt und man hier einen Riegel schieben müsste.”

swissinfo – Thomas Stephens
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Mehr als einer von zehn Einwohnern der Schweiz (810’000) deklariert, “keine besondere Affinität zu Religion” zu haben. Das sind fast 60% mehr als vor einem Jahrzehnt.

Diese Gruppe formt somit mit etwas über 11% die drittgrösste “Religions”-Gemeinschaft im Land, nach den römisch-katholischen und protestantischen Kirchen.

Bedeutend ist auch die Anzahl an Leuten, die in der jüngsten Bevölkerungs-Befragung überhaupt keine Angaben über ihre religiöse Orientierung gemacht haben (315’800).

Laut Reta Caspar von der FVS ist dieser Zuwachs bei den Nicht-Religiösen ein Beweis dafür, dass der Glaube zunehmend an Bedeutung verliere, besonders unter den Jugendlichen.

Immer mehr Junge glaubten, dass die Kirchen den Kontakt zur Wirklichkeit verlieren, wegen ihrer “altmodischen” Einstellung zu Themen wie Abtreibung, Homosexualität, Verhütung und Evolution.

Das zeigt sich in der letzten Volksbefragung aus dem Jahr 2000, die eine gewichtige Zunahme in der nicht-religiösen Altersklasse der 20- bis 39-Jährigen aufweist, verglichen mit den Zahlen von 1990.

Eine jüngere Auswertung zeigt eine noch weiter gehende Verweltlichung in der Schweiz. Laut der 2006-er Ausgabe des “The Cambridge Companion to Atheism” sagen rund ein Viertel aller Schweizer, sie seien “Atheisten, Agnostiker oder Nicht-Gottesgläubige”.

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