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“Kein Abschied, sondern nur ein Tschüss!”

Der Chef auf dem Platz: Massimo Busacca weist im Champions-League-Final 2009 einen spanischen Betreuer vom Feld. Keystone

Fussballschiedsrichter Massimo Busacca ist am Mittwoch zurückgetreten und wechselt zur Fifa, wo er höchster Schiedsrichter-Funktionär der Welt wird. Die Referees müssen sich professionell wie die Spieler auf ihre Einsätze vorbereiten, lautet ein Ziel Busaccas.

“Der Coup von Busacca”, “Der Abgang der Nummer 1”, “Busacca überrascht mit fliegendem Wechsel”, ” Busacca wechselt Fronten”,  “Busacca pfeift seine Karriere ab”: Dies einige Pressestimmen, die der beste Schweizer Schiedsrichter mit seinem sofortigen Rücktritt auslöste.

Im Gespräch mit swissinfo.ch stellt der 42-jährige neue “Chief of the world referees”, wie seine Funktion heisst, für die WM 2014 in Brasilien den Einsatz von zwei zusätzlichen Torrichtern in Aussicht.

Allerdings müsse die Lösung mit dem fünften und sechsten Schiedsrichter erst an der Euro 2012 in Polen und in der Ukraine überzeugen. Wenn Kameras, dann nur auf der Torlinie, lautet die Devise des Tessiners.

swissinfo.ch: Ihr Rücktritt hat Überraschung und Irritation ausgelöst. Der kürzlich zurückgetretene Schiedsrichterchef Urs Meier zeigte sich gar schockiert. Hat Sie dieses Echo überrascht? 

Massimo Busacca: Nicht so sehr. Aber es bedeutet für mich eine grosse Ehre zu hören, ‘Busacca war wichtig’ oder ‘Busacca hatte Qualität’. Hätte ich keine solche gehabt, wäre die Überraschung sicher geringer ausgefallen.

Die Menschen fragen sich, wieso ich drei Jahre vor Ende meiner Karriere aufhöre. Ich habe mich für den Job als Chief of the world referees entschieden, weil er grosse Möglichkeiten bietet. So kann ich weiter im Schiedsrichterwesen tätig sein, das ich immer geliebt habe. Insbesondere kann ich den Schiedsrichtern die Erfahrungen weitergeben, die ich in meiner 22-jährigen Karriere machen konnte. Es ist also kein Abschied, sondern nur ein Tschüss.

Für meine Laufbahn muss ich mich bei Gott und meiner Frau bedanken, denn ich habe all die Jahre grosse Opfer gebracht. Dank gebührt aber auch meinem Arbeitgeber (dem Kanton Tessin, die Red.), der stets gesagt hat, ‘Massimo, nimm dir frei, geh nur’. Aber gerade am Schluss war es nicht immer einfach, Job und Schiedsrichtertätigkeit unter einen Hut zu bringen.

swissinfo.ch: Befürworten Sie Profi-Schiedsrichter in der Schweiz, wie sie Schiedsrichter-Chef Urs Meier gefordert hatte? 

M.B.: In meinem Kopf war ich immer Profi, auch ohne professionelle Unterstützung durch den Verband. Mein Motto war stets, ‘Wenn du etwas willst, musst du dafür Opfer bringen, dann kommt das Resultat’.

Meine Leistung und Qualität konnte ich nur erbringen, weil ich mein Leben stets den Anforderungen der Tätigkeit als Schiedsrichter untergeordnet hatte. Ich hatte das Pensum in meinem Beruf während all der Jahre reduziert, um mich immer seriös auf die Spiele vorbereiten zu können.

Mein Entscheid, den ich mir sehr gut überlegt habe, steht in keinem Zusammenhang mit Urs Meiers Rücktritt. Polemik liegt mir fern, ich will stets einen konstruktiven Beitrag leisten. Auch deshalb habe ich die neue Aufgabe angenommen.

swissinfo.ch: Ab August sind Sie als Leiter der Schiedsrichterabteilung der Fifa der höchste Schiedsrichter-Funktionär der Welt. Was genau werden Ihre Aufgaben sein? 

M.B.: Analog zum Trainer eines Fussballteams bin ich Coach der Schiedsrichter-Mannschaft. Ich muss mit ihr zusammen analysieren, was sie besser machen kann.

swissinfo.ch: Das Spiel wird immer schneller, Torschiedsrichter sind nach der Europa League nun auch in der Champions League im Einsatz. Findet 2014 in Brasilien die WM-Premiere des fünften und sechsten Schiedsrichters statt?

M.B.: Für eine Antwort ist es noch zu früh. Sicher ist, dass wir alles tun werden, damit 2014 die Zuschauer auf der ganzen Welt ein grossartiges Turnier erleben.

Der Versuch mit Torrichtern verlief anfänglich etwas harzig. In der diesjährigen Champions League aber war der Einsatz der beiden zusätzlichen Referees ein grosser Erfolg, so dass er fortgesetzt wird.

An der Euro 2012 in Polen und in der Ukraine prüfen wir erstmals, wie sich das Team mit sechs Schiedsrichtern an einem grossen Turnier bewährt. Fällt die Auswertung des Experiments positiv aus, kommen die Torrichter auch an der WM 2014 in Brasilien zum Einsatz.

swissinfo.ch: Nach zahlreichen umstrittenen Schiedsrichter-Entscheiden an der WM in Südafrika vor einem Jahr wurde lautstark der Videobeweis gefordert. Wie stehen Sie dazu? 

M.B.: Ich bin dagegen. Wir haben vom fünften und sechsten Schiedsrichter gesprochen. Ich bin überzeugt, dass dies eine gute Lösung ist, um eine Situation besser beurteilen zu können.

Es gibt zwei Diskussionen: Wir müssen 100% Vertrauen in den Menschen haben. Wir haben Vertrauen in grosse Spieler, die alles für den Erfolg ihres Teams tun und dafür sehr viel Geld verdienen. Aber auch die Stars machen Fehler, und wir akzeptieren das.

Wir wollen aber nicht akzeptieren, wenn ein Schiedsrichter, der pro Spiel unzählige Entscheide fällen muss, einen Fehler macht. Um deren Zahl zu minimieren, haben wir heute die zusätzliche Unterstützung durch die Torrichter und sogar die Torkamera. Was andere Spielsituationen betrifft, bin ich aber strikt gegen den Einsatz von Kameras.

Wie die Spieler müssen sich auch Schiedsrichter jeden Tag mit Fussball befassen, ob Profi oder nicht. Auf dem Papier kann einer ein Profi sein, aber schlecht pfeifen.

Professionalisierung fokussiert in erster Linie auf Qualität. Für Schiedsrichter heisst dies, dass sie viel mehr Zeit für die Vorbereitung erhalten. Dazu gehört das Studium von Video-Analysen ebenso wie der stete Austausch mit dem Schiedsrichter-Team.

Vom Anspruch des fehlerfreien Schiedsrichters müssen wir abkommen. Um Fehler auszuschliessen, müsste man ihn durch eine programmierte Maschine ersetzen. Aber ich bin überzeugt, dass dies das sofortige Ende des Fussballs wäre.

swissinfo.ch: Die Altersgrenze für Schiedsrichter liegt bei 45 Jahren. Wäre mehr Flexibilität sinnvoll, um Top-Referees zu halten? 

M.B.: Schwierig zu sagen. Auf der einen Seite ist Qualität beim Schiedsrichter nicht unbedingt eine Frage des Alters. Andererseits ist es auch eine Frage der Ambitionen: Wer lange Jahre auf hohem Niveau gepfiffen hat, ist vielleicht nicht mehr so motiviert, sondern könnte eher dazu neigen, einfach noch seinen Job zu machen. Schiedsrichter müssen aber immer voller Konzentration und ‘passion’, Leidenschaft, sein.

Ein Effekt der guten Arbeit wird hoffentlich sein, dass Schiedsrichter vermehrt Vorbilder für die Jungen sein werden, nach der Gleichung ‘Je mehr gute Qualität an der Spitze, desto mehr gute Qualität kommt von der Basis’.

Der Tessiner, der in Bellinzona drei Cafeterias der Kantonsverwaltung führte, war 22 Jahre lang Schiedsrichter.

2009 wurde er als erster Schweizer zum “Welt-Referee” gekürt. Zudem war er sechs Mal Schweizer Schiedsrichter des Jahres (2005 bis 2010).

Er debütierte 1996 in der Nationalliga A, in der höchsten Schweizer Klasse pfiff er über 250 Partien.

Basel gegen Luzern (3:0) am 25. Mai bleibt seine letzte Partie als Spielleiter.

Schon 1998 stieg er zum Fifa-Referee auf.

Er pfiff bei zwei Weltmeisterschaften (2006 und 2010) sowie an der Euro 2008.

Er leitete die Finals des Uefa-Cups 2007 und des Uefa-Supercups (2010).

Als Karriere-Höhepunkt bezeichnet er den Final der Champions League 2009 zwischen Barcelona und Manchester United (2:0).

Eine grosse Enttäuschung war für ihn die Ausmusterung an der WM 2010 in Südafrika nach nur einer Partie.

In Champions Leagie und Europa League kommen zusätzlich zum Schiedsrichter und den beiden Linienrichtern zwei zusätzliche Torrichter zum Einsatz.

Dies als Antwort auf die markante Erhöhung von Spielrhythmus und Intensität, die den modernen Fussball prägen.

Mit dem Unparteiischen in der Auswechselzone sind somit sechs Schiedsrichter im Einsatz.

Erstmals an einem grossen Turnier kommt das sechsköpfige Referee-Team an der Euro 2012 in Polen und in der Ukraine zum Einsatz.

Bewährt sich die Lösung, erleben die Torrichter 2014 in Brasilien ihre WM-Premiere.

Ob vier oder sechs Schiedsrichter: Fifa-Chef Joseph Blatter hat für die nächste WM den Einsatz von professionellen Schiedsrichtern gefordert.

An der WM 2010 in Südafrika hatten Referees mit mehreren haarsträubenden Fehlentscheiden hitzige Diskussionen ausgelöst.

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