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Nichts Neues unter der europäischen Sonne

An zwei Abstimmungen wurde dieses Jahr der bilaterale Weg zwischen der Schweiz und der EU bestätigt. Keystone

Dieses Jahr hat die Schweiz eine engere Kooperation mit der Europäischen Union (EU) unterstützt. Dennoch hat sich in der Europa-Frage nicht viel getan.

Die Diskussion könnte nächstes Jahr im Zusammenhang mit dem Regierungsbericht über Vor- und Nachteile eines EU-Beitritts wieder aktuell werden. Die meisten Parteien erwarten davon nicht viel.

Im Juni hat die Schweiz einer Teilnahme an den Abkommen von Schengen und Dublin (Zusammenarbeit in Sicherheit- und Asylfragen) zugestimmt. Im September hat sie dann die Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf die zehn neuen EU-Mitglieder genehmigt.

Diese Abstimmungen bedeuten ein wenig Balsam aufs Herz von Brüssel nach einem “schwarzen” Jahr mit der Zurückweisung der Europäischen Verfassung durch Frankreich und die Niederlande.

Eingeschlagenen Weg weiterverfolgen

Doch kann man daraus schliessen, dass die Haltung der Schweiz zur EU positiver geworden ist? Die Vertreter der wichtigsten Parteien bezweifeln das.

“Die Bevölkerung ist bloss der Politik der Regierung gefolgt, die darin besteht, bilaterale Abkommen zu treffen”, sagt Nationalrat Pierre Koller von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). “Viele, die nichts von einem Beitritt halten, ziehen bilaterale Verträge vor, im Wissen, dass die EU ein notwendiger Partner ist.”

“Ich glaube nicht, dass sich die Haltung gegenüber Europa verändert hat”, erklärt die sozialdemokratische Abgeordnete Géraldine Savary. “Was sich verändert hat, ist unsere Bereitschaft zur Öffnung und zur Zusammenarbeit mit den Nachbarländern. Die beiden Abstimmungen haben diese Frage entschärft.”

Alle von swissinfo kontaktierten Politiker stellen die gleiche Diagnose: Die Abstimmungen von 2005 beweisen nicht, dass die Schweizerinnen und Schweizer überzeugte Europa-Anhänger geworden sind, zeigen aber doch, dass sie bereit sind, den von der Regierung eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen.

Kein Rückzug der Kandidatur

Wenn das Volk den bilateralen Weg gutheisst, wäre es dann nicht besser, den Antrag auf einen EU-Beitritt der Schweiz zurückzuziehen, eine seit zehn Jahren aufs Eis gelegte Forderung?

Bei den Sozialdemokraten und den Grünen, die für einen Beitritt werben, ist ein Rückzug kaum ein Thema. Es stellt sich vielmehr die Frage, wann die Forderung reaktiviert werden kann.

Bein Bürgerlichen stellt man sich hinter die Haltung der Regierung, im Wissen, dass diese Forderung niemanden stört, solange sie ruht, dass aber ein Rückzug die Beziehungen zur EU unnötig abkühlen würde.

Gewisse wichtige Mitglieder der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) haben allerdings einen Rückzug gefordert. Dennoch halte sich die Partei an die Linie der Regierung, sagt FPD-Sprecher Christian Weber.

Die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) ist die einzige grosse Partei, die auf einem Rückzug besteht. Da die Regierung immer den bilateralen Weg vorgezogen habe, würde ein Festhalten an der Beitrittsforderung bedeuten, die Bevölkerung zu täuschen, meint der SVP-Abgeordnete Oskar Freysinger.

2006 ein entscheidendes Jahr?

Nach allgemeiner Ansicht hat das Jahr 2005 die Haltung zu einem eventuellen Beitritt nicht verändert. Es wird sich zeigen, ob der nächste Europa-Bericht der Regierung die Dinge in Bewegung bringt. Diese Haltung findet sich besonders bei der Rechten des politischen Spektrums.

“Wir brauchen eine Informationskampagne über Europa und was es bedeutet, nicht dazu zu gehören”, erklärt der grüne Nationalrat Ueli Leuenberger. “Ich bin überzeugt, wenn die Regierung und die Regierungsparteien – mit Ausnahme der SVP – eine klarere Haltung verträten, wäre die Bevölkerung bereit, wichtige Schritte nach vorne zu machen.”

“Man muss sich im klaren darüber sein, dass der Bilateralismus seine Grenzen hat”, sagt Géraldine Savary. “Die Europa-Frage muss erneut gestellt werden, aber auf pragmatische Art.” Dennoch ist es für die Sozialdemokratin nicht möglich, die europäische Frage zu lösen, bevor sich die Nationalkonservativen und die “konstruktiven” Rechten nicht gefunden haben.

Für Pierre Koller stellt der Regierungsbericht ein “wesentliches Element” für die Entscheidfindung dar. Jedoch könnte dieser die Bevölkerung genau so gut zu einem Beitritt bewegen wie zu einer noch stärkeren Ablehnung der EU.

Die Freisinnigen messen dem Bericht keine allzu grosse Bedeutung bei. “Dieser könnte eine gewisse Klärung bewirken, aber nicht mehr”, sagt Christian Weber. “Die Bevölkerung hat entschieden, dem bilateralen Weg zu folgen, und wir sollten nun sehen, wie man dies tun kann.”

Die SVP schliesslich betrachtet diesen Bericht schon jetzt als “Farce”, da er vom Integrationsbüro vorbereitet werde. “Das ist etwa, als würde man einen Zuckerproduzenten bitten, einen objektiven Bericht über Karies zu verfassen”, sagt Oskar Freysinger.

swissinfo, Olivier Pauchard
(Übertragung aus dem Französischen: Susanne Schanda)

Ausweitung der Personenfreizügigkeit: 56% Ja am 25. September.
Beteiligung der Schweiz an den Schengen/Dublin-Abkommen: 54,6% Ja am 5. Juni.

1992 hat die Landesregierung ein Beitrittsgesuch der Schweiz bei der EU deponiert und einen Beitritt des Landes zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) unterbreitet.

Am 6. Dezember 1992 hat der Souverän gegen den EWR-Beitritt gestimmt. In der Folge hat die Regierung das EU-Beitrittsbesuch “eingefroren”.

Die erneute Annäherung an die EU geschieht dennoch über die Bilateralen Verträge. Zwei Vertragspakete wurden bereits akzeptiert.

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