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“Die Routine ist mein Vorteil”

André Bucher nach seinem WM-Sieg 2001 in Edmonton. Keystone Archive

800-Meter-Weltmeister André Bucher freut sich auf die Titelverteidigung Ende August in Paris. "In internationalen Meisterschafts-Rennen verfüge ich über eine grosse Routine", gibt er sich optimistisch.

Heute Abend will Bucher in Rom seine Saison-Bestmarke weiter senken.

Das kommende WM-Rennen von Paris weckt im sonst eher kühl-zurückhaltenden Champion Emotionen. “Es ist schon etwas Spezielles, als Titelverteidiger antreten zu dürfen”, zeigt Bucher im Gespräch mit swissinfo einen Hauch von berechtigtem Stolz.

Druck hat keine Chance

Druck verspürt er deswegen aber nicht, im Gegenteil: “Vor zwei Jahren hab ich ja schon Gold gewonnen. Der Druck, die erste Medaille zu gewinnen, ist also weg.”

Einen seiner grössten Vorteile auf dem Weg zu einem WM-Spitzenplatz sieht Bucher in seiner Erfahrung. “Die meisten der jüngeren Athleten haben noch nicht so viele Rennen an grossen Meisterschaften absolviert. Da kann ich meinen Vorteil der Routine ausspielen.”

Wenn Final, dann…

Explizit vom Titel spricht er aber nicht. Schaffe er die Finalqualifikation, liege eine Medaille drin, sieht Bucher seine Chancen in Paris in der ihm typisch nüchternen Art.

Dabei gibt es noch eine Reihe weiterer Pluspunkte, die in Paris für den stets ruhigen Star sprechen könnten: Sein ausgesprochener Renninstinkt, gepaart mit der Fähigkeit, ein Rennen blitzschnell lesen zu können. Taktische Fehler unterlaufen Bucher deshalb kaum.

Bleibt er trotzdem einmal unter den Erwartungen wie an den Olympischen Spielen 2000 in Sydney, wo der als “the fastest man in the world” angekündigte Favorit aus der Schweiz lediglich den fünften Rang belegte, ist dies meist auf Ellenbogen-Einsatz der eher unfeineren Art seiner Gegner zurückzuführen.

Ermüdungsbruch erneut weggesteckt

Als der Luzerner, der in Baar im Kanton Zug lebt, Anfang Juli einen Schritt hinter den Weltschnellsten ins Ziel kam, war eigentlich Staunen angesagt. Ende März nämlich hatte er einen Ermüdungsbruch am rechten Fuss erlitten, der ihn zu einer mehrwöchigen Laufpause zwang.

Mit seiner Gelassenheit steckte Bucher auch diesen Schlag weg, nachdem er schon im Frühling des letzten Jahres wegen eines ähnlichen Vorfalls ins Hintertreffen geraten war.

Biken und Wassertreten

Mit Training im Schwimmbecken und auf dem Mountainbike hielt sich Bucher während der Heilung des Bruchs physisch dermassen “über Wasser”, dass er jetzt die Schnellsten schon wieder eingeholt oder überholt hat.

An der Athletissima am Genfersee sprintete Bucher die schnellsten letzten 100 Meter aller Läufer im Feld, am Golden-League-Meeting in Paris büsste er sodann als Dritter mit seiner Saisonbestzeit von 1:44,25 nur gerade 30 Hundertstel auf den russischen Sieger Yuri Borzakovsky ein.

Schon jetzt positive Bilanz

“Mit meiner ersten Saisonhälfte bin ich sehr zufrieden,” bilanziert Bucher. “Von den Rängen wie auch von den Zeiten bin ich wieder in der Weltspitze.”

Neue Taktik

Bucher, Ausgabe 2003, wartet gegenüber dem Weltmeister-Jahr 2001 mit einer wichtigen Neuerung auf: Dominierte er seine Gegner damals von der Spitze aus, versteckt er sich jetzt sozusagen als “Schläfer” am Ende des Pulkes, um das Feld wenn möglich mit einem fulminanten Antritt von hinten aufzurollen.

Pure Notwendigkeit, wiegelt Bucher ab. “Mit meinem momentanen Leistungsvermögen wäre es Selbstmord, das Rennen von Beginn weg an der Spitze zu laufen.”

Der Gambler an der Innenkante

Das Risiko, hinten in Rempeleien verwickelt oder an der Innenkante blockiert zu werden, nimmt er in Kauf. Seine neue Rolle als Gambler auf der Innenbahn macht ihm richtiggehend Spass: “Ich kann so einfach drauf los rennen, jeder Läufer, den ich überhole, ist ein gewonnener Platz.”

Zudem könne er so Varianten der taktischen Rennen erproben, wie sie gerade an grossen Meisterschaften vorkommen.

Welcher Bucher in Zürich?

Welchen Bucher die Gegner und Fans an der “Weltklasse Zürich” vom 15. August zu sehen bekommen werden, weiss auch er noch nicht. “Vielleicht wieder den Frontrunner,” bemerkt Bucher mit einem Augenzwinkern.

Wehe, wenn sie losgelassen…

Auf sein “Heimrennen” im Letzigrund freut sich Bucher besonders. “In dem Moment, wo der Startschuss ertönt, ist es, wie wenn man eine Horde wilder Tiere loslässt, so tönt es in diesem Stadion, ein Riesenlärm!”, so Bucher. “Da läuft es mir jeweils kalt den Rücken hinab.” Diese Ambiance von Zürich müsse man einfach erlebt haben, als Zuschauer, oder noch besser als Athlet.

Bewährtes Oberengadin

Zum Abschluss der ersten Rennserie testet Bucher am Freitag (11. Juli) nochmals seine Form am Golden-League-Meeting in Rom, bevor er ins Höhentrainingslager nach St. Moritz fährt.

Dort verleiht Bucher seiner WM-Form nicht nur den letzten Schliff, sondern geniesst auch die Landschaft des Oberengadins. Und ein paar Basketball-Games nach den harten Lauf-Serien.

swissinfo, Renat Künzi

2000 erzielte André Bucher über 800 Meter mit 1:43,12 die Jahresweltbestzeit

2001 holte Bucher in Edmonton den WM-Titel über 800 Meter

Auch stellte er mit 1:42,55 den gültigen Schweizer Rekord auf

Im Weltmeister-Jahr gewann er ebenfalls die Grand-Prix-Gesamtwertung

2001 wurde er zudem zu Europas Leichtathleten des Jahres gewählt

2002 gewann er an der Europameisterschaft in München die Silbermedaille

Nach einer Fuss-Verletzung im März ist 800-Meter-Läufer Bucher wieder zurück in der Weltspitze.

Er will seinen Weltmeistertitel in Paris (WM vom 23. bis 31. August) verteidigen.

Dabei zählt er vor allem auf seine physische und mentale Stärke, seine Routine und seinen Renninstinkt.

Vor der WM absolviert er in St. Moritz noch ein Höhentrainingslager.

Als WM-Hauptprobe läuft Bucher am 15. August am Meeting “Weltklasse Zürich” sein “Heimrennen”.

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