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“Transparenz schafft Vertrauen”

Nach dem Willen des Ständerats sollen bestehende Akten weiterhin geheim bleiben: Bundesarchiv. Keystone

Der Ständerat will das Öffentlichkeitsgesetz für die Verwaltung einführen. Amtliche Dokumente sollen öffentlich zugänglich sein – mit Vorbehalten.

Die Regierung verspricht sich davon eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern.

Was Schweden seit 200 Jahren kennt, soll bald auch in der Schweiz gelten: Ein generelles Recht auf Einsicht in amtliche Dokumente ohne Angabe von Gründen. Damit soll die Transparenz in der Bundesverwaltung gefördert und die Akzeptanz und Wirksamkeit staatlicher Massnahmen gesteigert werden.

“Unser Staat braucht aktive, informierte Bürgerinnen und Bürger”, sagte Bundesrätin Ruth Metzler vor dem Ständerat. Der freisinnige Thomas Pfisterer ergänzte: “Heute ist die Information ein einseitiges Privileg der Behörde.” Es gehe nun darum, “gleich lange Spiesse” zu schaffen.

Lange Wartezeit

Das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) war erstmals vor gut 20 Jahren mit einem parlamentarischen Vorstoss eingebracht worden. “Ich muss gestehen, dass der Bundesrat und ich selbst zuerst zu den Skeptikern gehört haben”, versuchte Metzler das lange Zögern zu erklären.

Mit 32 zu 0 Stimmen sagte der Ständerat generell Ja zu diesem Paradigmenwechsel. In einem wichtigen Punkt folgte der Rat jedoch nicht der Linie das Bundesrates: So soll das Gesetz nur für Dokumente gelten, die nach seinem Inkraft-Treten erstellt worden sind.

Sehr deutlich sprachen sich die Ratsmitglieder zudem dafür aus, dass das Öffentlichkeitsprinzip bereits erfüllt ist, wenn ein amtliches Dokument in einem Publikationsorgan oder auf einer Internetseite des Bundes veröffentlicht ist.

Gute Erfahrungen im Kanton Bern

Nicht nur im Ausland wird das so genannte Öffentlichkeitsprinzip schon länger angewendet. Auch einige Schweizer Kantone haben bereits erste Erfahrungen damit gemacht.

Als erster Kanton hatte Bern 1995 den Paradigmenwechsel weg von der Geheimhaltung eingeführt. Solothurn und Genf folgten in den letzten beiden Jahren. Weitere Kantone führten das Prinzip teilweise ein oder prüfen eine Einführung.

Der Kanton Bern zieht nach zehn Jahren eine durchwegs positive Bilanz: “Allgemein haben wir durch das Öffentlichkeitsprinzip sehr wenig Mehrarbeit”, sagt Gérard Caussignac, Leiter Rechtsdienst der Staatskanzlei des Kantons Bern, gegenüber swissinfo.

Zahlen kann er keine nennen. Nach dem ersten Jahr habe man auf eine Statistik verzichtet, weil derart wenig Anfragen eingegangen seien. Die damalige Befürchtung, das Regieren und Verwalten werde durch die schrankenlose Öffentlichkeit erschwert, habe sich in keiner Art bestätigt. “Wir hatten nur sehr wenige Streitfälle”, präzisiert Caussignac.

Demokratie stärken

Auch Luzius Mader, Vizedirektor im Bundesamt für Justiz, erwartet keinen grossen Ansturm, falls das Öffentlichkeitsprinzip auf eidgenössischer Ebene eingeführt würde. “Die Erfahrungen im Ausland haben gezeigt: Es wird wohl keine Lawine geben.”

In der eidgenössischen Verwaltung sind derzeit Dokumente geheim – mit Ausnahmen. Mit dem Öffentlichkeitsprinzip soll nun ein Recht auf Zugang gelten – auch mit Ausnahmen. Neben der Bundesverwaltung soll das Recht auch für bundesnahe Betreibe gelten, wie SBB, Post, SUVA, Pro Helvetia und Schweizerischer Nationalfonds.

“Heute haben wir eine riesige Grauzone”, sagt Mader gegenüber swissinfo. Mit dem Gesetz solle der Anteil der vertraulichen Dokumente möglichst klein werden. “Damit stellen wir sicher, dass vertrauliche Dokumente auch vertraulich bleiben”, so Mader.

Keine Revolution, sondern eher eine “Evolution” sei der Wechsel, betont der Bundesrat. In der Verwaltung solle ein “Geist der Transparenz” Einzug halten. “Wir wollen eine bürgernahe Verwaltung”, erklärte Justizministerin Metzler, denn “Transparenz schafft Vertrauen”.

Grenzen gesetzt

Doch der Offenheit sind Grenzen gesetzt: Der Zugang zu Dokumenten soll beschränkt, verweigert oder aufgeschoben werden, wenn sie “nicht fertig gestellt” sind, wenn die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet wäre oder wenn eine Behörde wesentlich in der freien Meinungs- und Willensbildung beeinträchtigt würde.

Damit allerdings hält sich die Verwaltung die Türen offen, dass praktisch alle Dokumente je nach Interpretation des Gesetzes vorenthalten werden könnten. Luzius Mader ist denn auch noch nicht sicher, wie restriktiv das Gesetz angewendet werden soll. “Die Praxis wird es zeigen müssen”, sagt er.

Das Gesetz muss noch vom Nationalrat behandelt werden. Doch wie auch immer die schlussendliche Ausgestaltung sein wird: Schwieriger wird es für die Interessierte oder den Interessierten wohl eher sein, in der immer grösseren Flut der amtlichen Dokumente überhaupt an die jeweils relevanten Informationen zu gelangen.

swissinfo, Christian Raaflaub

Paradigmenwechsel für mehr Transparenz:
Vom Prinzip der Geheimhaltung – mit Ausnahmen – zum Prinzip der Öffentlichkeit

Transparenz in der Verwaltung weltweit:

Auch die EU hat für ihre Organe (Rat, Kommission, Parlament) im Jahr 2001 das Öffentlichkeitsprinzip eingeführt.

Entsprechende Regelungen gibt es in folgenden Ländern:
Schweden
Australien
Belgien
Dänemark
Finnland
Frankreich
Grossbritannien
Irland
Kanada
Neuseeland
Norwegen
Südafrika
Ungarn
USA

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