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Wie der Kanton Waadt Lohndumping eindämmt

Nichts war in Ordnung auf der Baustelle in Vallorbe. D. Sansonnens

Die Angst vor einem Zustrom illegaler Arbeitskräfte überschattet die geplante Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes für die zehn neuen EU-Staaten.

Im Vorfeld der Abstimmung zur erweiterten Personenfreizügigkeit vom 25.09. hat swissinfo ein Waadtländer Inspektorenteam begleitet. Sind die Ängste berechtigt?

Es ist kurz nach 9 Uhr, als wir der Baustelle eines halbfertigen Chalets an einem Hügel bei der Stadt Vallorbe einen Besuch abstatten.

Ein fünfköpfiges Zimmermann-Team macht seine erste Pause. Man reisst ein Päckchen Biskuits auf, öffnet Mineralwasserflaschen und geniesst die Morgensonne.

Es ist eine lässige, entspannte Szene und die Handwerker zucken mit keiner Wimper als sich meine beiden Begleiter vorstellen.

Inspektionsteam

“Es gab schon Fälle, dass Arbeiter das Weite suchten, als wir ankamen. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, diese zu verfolgen”, sagt D. Sansonnens.

Sannsonnens und sein Partner P. Josseron (die beiden baten darum, dass ihre Vornamen nicht genannt werden) arbeiten seit 1999 zusammen, als der Kanton, die Gewerkschaften, Angestellte und die wichtigste Trägerin der obligatorischen Unfallversicherung in der Schweiz, die SUVA, das Inspektionsteam bildeten.

Ihr Job ist das Besuchen von Baustellen im Westschweizer Kanton, um sicherzustellen, dass dort niemand illegal arbeitet, Arbeits- und Sicherheits-Regeln befolgt werden und die Arbeitskräfte einen fairen Lohn erhalten.

Diese Aufgabe hat eine stärkere Bedeutung erhalten, seit im Juni letzten Jahres die Restriktionen für Arbeitskräfte aus den 15 “alten” EU-Staaten aufgehoben worden sind.

Dies erlaubt den Bürgern dieser Länder bis zu 90 Tage ohne Bewilligung in der Schweiz zu arbeiten, wenn sie sich bei den Behörden registrieren.

Illegale Arbeitskräfte

Diese Änderung – zusammen mit der Ausweitung der Bestimmung auf die 10 neuen EU-Mitglieder – weckte die Furcht vor einer Welle billiger Fremdarbeiter, besonders im Bausektor.

Sansonnens sagt jedoch, dass dies bis jetzt nicht der Fall gewesen sei.

“Wir haben eine leichte Erhöhung der Übertretungen festgestellt. Wir können aber nicht sagen, dies sei wegen der europäischen Firmen, die hierher kommen”, sagt er gegenüber swissinfo.

“Die von uns am häufigsten festgestellte Regelverletzung durch europäische Firmen ist die Zahlung von zu tiefen Löhnen.”

Und es geht nicht nur um ein paar Franken hier und ein paar Franken dort. Sansonnens und Josseron sind Fällen begegnet, bei denen Arbeiter aus dem Ausland 8 Franken pro Stunde weniger verdienten als das durch den Gesamtarbeitsvertrag festgesetzte Minimum von 22,25 Franken.

Kürzlich hat eine Gewerkschaft herausgefunden, dass Arbeitskräfte in der 35-Millionen Villa von Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher im Kanton Waadt nur die Hälfte der Schweizer Mindestlöhne erhalten hatten.

Das heisst nicht nur, dass dabei die ausländischen Arbeitnehmer verlieren sondern auch, dass Firmen aus dem Ausland ihre Schweizer Rivalen massiv unterbieten können.

Fragen und Antworten

Ausgestattet mit einem einfachen Fragenkatalog kontrollieren die beiden Inspektoren die Zimmerleute, die alle aus dem benachbarten Frankreich kommen.

“Wie viel verdienen Sie? Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche? Arbeiten Sie auch samstags? Erhalten Sie Ende des Jahres ein 13. Monatsgehalt? Wie viel bezahlte Ferien haben Sie?”, fragt Sansonnens.

Der 31-jährige Christophe, der Vorarbeiter der Zimmerleute, sagt, er bekomme 10,80 Euro (16,75 Franken) pro Stunde – nur rund die Hälfte von dem, was er in der Schweiz verdienen müsste.

Es zeigt sich weiter, dass er auch keinen 13. Monatslohn erhält und nur die Hälfte der Reisespesen, auf die er unter den Schweizer Anstellungsbedingungen Anrecht hätte.

Ich frage ihn, ob es ihn störe, dass sein Chef ihm mehr als 100 Franken pro Tag vorenthalte.

“Wenn das das Gesetz ist, ist das das Gesetz. Das ist eine gute Nachricht für mich. Aber ob mein Chef mir die Differenz bezahlt, ist eine andere Sache”, sagt Christophe.

Es gibt jedoch nicht nur gute Nachrichten für die Zimmerleute aus Frankreich. Als ehemalige Baufachleute sind Sansonnens und Josseron mit allen Auflagen und Schlupflöchern vertraut.

Keiner der Zimmerleute trägt einen Sicherheitshelm, der Fahrer des Lastwagens, mit dem das Holz angeliefert wurde, hat keinen für die Schweiz gültigen Führerausweis, und es fehlt das Gerüst um den Bau.

Arbeitserlaubnis

Ein kurzer Anruf an das kantonale Arbeitsamt zeigt zudem, dass bei drei der Zimmerleute die Arbeitsbewilligung nicht erteilt worden war, und dass die anderen beiden gar nicht registriert waren.

Nachdem die Inspektoren ihren Rapport erstellt haben, wird der Chef der Truppe von den Behörden im Kanton Waadt angegangen.

“Nichts war in Ordnung, und wenn er so weiterfährt, wird er Probleme bekommen, in Zukunft in der Schweiz zu arbeiten”, warnt Josseron.

Ausländische Firmen, die gegen die Auflagen in der Schweiz verstossen, riskieren eine Busse bis zu 5000 Franken. In ernsten Fällen können sie vor Gericht kommen, wo die Strafe bis 40’000 Franken betragen kann und sie weiter bis zu fünf Jahren nicht mehr in der Schweiz wirken dürfen.

swissinfo, Adam Beaumont, Vallorbe
(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

Im Kanton Waadt gibt es drei Inspektoren, die das Baugewerbe kontrollieren.
Im letzten Jahr erstellten sie 400–500 Berichte.
Ein Bauarbeiter sollte in der Schweiz mindestens 22 Franken pro Stunde verdienen.
Ausländische Arbeitskräfte erhalten oft weniger als die Hälfte davon.

Das bereits geltende Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Personenfreizügigkeit soll schrittweise und kontrolliert auf die zehn neuen EU-Staaten ausgedehnt werden.

Es sind dies Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern.

Mit flankierenden Massnahmen sollen Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt verhindert werden. Diese Sicherheitsklauseln enthalten Gesamtarbeitsverträge, Mindestlöhne und die Ernennung von 150 Inspektoren, welche den Arbeitsmarkt kontrollieren.

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