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Automatische Einbürgerung für dritte Generation?

Die meisten Secondos sind jung. Keystone

Junge Ausländerinnen und Ausländer der zweiten und dritten Generation sollen vereinfacht zum Schweizer Bürgerrecht kommen.

Während von rechts ein Ausverkauf des Schweizer Bürgerrechts befürchtet wird, sehen die restlichen politischen Kräfte darin eine nötige Anpassung an das Niveau der Nachbarstaaten.

Rund 440’000 Ausländerinnen und Ausländer leben in der Schweiz, die zur zweiten oder dritten Generation zählen. Das sind über 6% der Gesamtbevölkerung, respektive mehr als ein Viertel aller registrierter Ausländer.

Die so genannten Secondos und Secondas sind meist junge Ausländer, die in der Schweiz geboren wurden oder mindestens fünf Jahre hier die Schulbank gedrückt haben.

Dazu gezählt wird die dritte Generation, die Kinder der Secondos. Diese haben oft keine grosse Beziehung mehr zu ihrem Heimatland, dem Land ihrer Grosseltern, sprechen die jeweilige Landessprache und denken schweizerisch. Zwar bezahlen sie Steuern, doch am politischen Leben dürfen sie nicht teilnehmen.

“Ihr soziales Netz ist in der Schweiz. Ihre Beziehungen, ihre Freunde, meist die ganze Familie. Sie sind hier zu Hause und fühlen sich hier zu Hause”, sagt Natalie Avanzino, Gründungsmitglied von “Netzwerk Secondo”, einer Informationsplattform für die zweite Generation, gegenüber swissinfo.

Automatisch oder auf Anfrage?

Mit der Revision der Bürgerrechts-Gesetzgebung sollen Secondos zwischen 14 und 24 Jahren nun einen vereinfachten Zugang zum Schweizer Bürgerrecht erhalten.

Über die Vorlage wird am Dienstag im Ständerat debattiert. Der Nationalrat, die grosse Kammer, hatte letztes Jahr schon grünes Licht gegeben für diese Änderung. So sollen Secondos schon nach acht Jahren Aufenthalt eine Einbürgerung beantragen können.

Pro Jahr werden schätzungsweise zwischen 5000 und 10’000 Kinder der dritten Generation geboren. “Offizielle Zahlen gibt es nicht”, sagt Roland Schärer vom Bundesamt für Ausländerfragen (IMES) gegenüber swissinfo.

Sie machen damit einen ständig wachsenden Anteil der gesamten Anzahl Kinder aus, die in der Schweiz mit ihrer alternden Bevölkerung geboren werden.

Regierung und Nationalrat möchten diese automatisch bei der Geburt zu Schweizer Bürgerinnen und Bürgern machen. Einzige Ausnahme: Die Eltern verzichten ausdrücklich auf die Schweizer Staatsbürgerschaft für ihre Kinder.

Genau um diesen Punkt streiten sich nun die politischen Kräfte im Land. Denn die vorberatende Kommission des Ständerats, der kleinen Kammer, will, dass die Eltern ausdrücklich eine Staatsbürgerschaft wünschen müssen.

Nur Pflichten oder auch Rechte?

Im diesem kleinen Unterschied liegt aber eine Frage von staats- und integrationspolitischer Bedeutung. Walter Schmid, Vizepräsident der Eidgenössischen Ausländerkommission (EKA), bringt sie auf den Punkt.

“Es geht um die Frage, ob wir langfristig ein Land sein werden, in dem die meisten Einwohner auch Staatsbürger sind, oder ein Land, in dem grosse Bevölkerungsteile zwar schon seit der Geburt leben, aber nicht die Rechte und Pflichten von Staatsbürgern haben.”

Laut Angaben der EKA sind dies immerhin pro Generation rund 150’000 Menschen, die mit der derzeitigen Gesetzgebung zwar hier leben, aber auf dem Papier Ausländer bleiben würden.

Politisch im Abseits

Eine Studie des Nationalfonds kommt zum Schluss, dass Secondos zwar eine gute Ausbildung haben und beruflich erfolgreich sind, doch das Fehlen der politischen Rechte hätte “Folgen für die gesamte Gesellschaft.”

“Es besteht die Gefahr, dass sie sich so mehr und mehr entpolitisiert”, befürchtet Rosita Fibbi, die an der Studie mitgearbeitet hat. Und Natalie Avanzino ist der Meinung, dass die erleichterte Einbürgerung die politische Partizipation fördern könnte. “Gerade heute, wo man von apolitischen Jugendlichen spricht.”

Für die dritte Generation “sollte eine automatische Einbürgerung ohne Gesuchstellung erfolgen”, fordert die “IG Secondas”, eine weitere Gruppierung, die sich für die Rechte der zweiten und dritten Generation einsetzt.

Doch nicht alle Secondos möchten den roten Pass. Als Gründe nennen sie in der Nationalfonds-Studie das schwerfällige Verfahren, den drohenden Militärdienst oder auch die Angst, ihren EU-Pass zu verlieren.

Referendum angedroht

Ein weiterer Punkt, den die Befürworter der Gesetzesrevision im Parlament ins Feld führen, ist die Regelung der Integration von Ausländern in den Nachbarstaaten. “Es gibt andere Länder, die das tun, zum Beispiel Deutschland, die Niederlande, Belgien und Portugal”, betont die Sozialdemokratin Ruth-Gaby Vermot.

Derweil befürchten rechte Parteien einen “Ausverkauf des Schweizer Bürgerrechts”. Ausserdem sei die Definition der “zweiten und dritten Generation” zu unklar. Dies sei der springende Punkt des ganzen Reformpakets, meint Aliki Panayides, stellvertretende Generalsekretärin der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

“Die Vorlage ist für uns so nicht akzeptabel”, bestätigt Panayides auf Anfrage. Möglicherweise ergreife die SVP das Referendum gegen die Vorlage.

Vors Volk kommt die Revision auf jeden Fall. Denn sie macht zwei Änderungen in der Bundesverfassung nötig. Zur Abstimmung könnte sie gegen Ende 2004 kommen.

Über die erleichterte Einbürgerung junger Ausländerinnen und Ausländer der zweiten Generation konnte das Stimmvolk übrigens schon einmal entscheiden. Die Revision der Bürgerrechtsregelung erzielte 1994 beim Volk zwar 52.8% Ja-Stimmen, scheiterte jedoch am Ständemehr der Kantone.

swissinfo, Christian Raaflaub

Rund 330’000 Secondos in der Schweiz geboren
Weitere rund 110’000 Secondos mit mindestens 5 Jahren Schulbesuch in der Schweiz
Zwischen 5000 und 10’000 Kinder der 3. Generation werden pro Jahr in der Schweiz geboren
Offizielle Zahlen gibt es nicht
Die Meisten sind jung

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