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Avanti beisst am Gotthard auf Granit

Zwischen 1981 und 2000 verzehnfachte sich der Schwerverkehr durch den Gotthard-Strassentunnel. swissinfo.ch

Der Kanton Uri sagt offiziell Nein zum Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative, der am 8. Februar vors Schweizer Stimmvolk kommt.

Der Gegenvorschlag verlangt einen Ausbau der Autobahnen, die Lösung der Engpässe in den Agglomerationen auf Schiene und Strasse und den Bau eines zweiten Strassentunnels am Gotthard.

Stolz steht er da, der in Bronze gegossene Tell. Die Armbrust geschultert, blickt er im Kantonshauptort Altdorf in die Ferne. Gleich daneben, an der Bushaltestelle “Telldenkmal”, prangt neben dem Fahrplan ein Aufkleber: “2. Gotthard-Strassenröhre – NIE!”

Autobahn und Bahntrassee dominieren die Talschaft mit ihren Brücken und Tunnels. Wie kein anderes Thema beschäftigt deshalb der Vorschlag des eidgenössischen Parlamentes, der am 8. Februar zur Abstimmung kommt, derzeit den Kanton.

Die Regierung stellt sich offiziell dagegen, und auch in der Bevölkerung scheint die Abneigung gegen das Ausbauprogramm zu überwiegen. Dabei werden die traditionellen Links-Rechts-Fronten zusehends überschritten.

Bevölkerung gegen zweite Röhre

“Ich finde es unverständlich, dass ein Urner ein Ja einlegen kann”, sagt etwa Bernadette Felber aus Altdorf, die mit ihren beiden kleinen Kindern einkaufen geht. Auch in ihrem Kollegenkreis sei absolut klar, dass für die Vorlage ein “klares Nein” auf den Abstimmungszettel komme, so die junge Mutter.

Für den 43-jährigen Armin Braunwalder aus Erstfeld, der auf den Bus wartet, ist ebenfalls klar: “Ein zweites Loch wollen wir nicht.” Er verweist auf den Alpenschutz-Artikel, der 1994 mit 52% Ja-Stimmen angenommen wurde, im Kanton Uri gar mit 87%. Die darin enthaltene Forderung, den Schwerverkehr auf die Schiene umzulagern, sei “viel gescheiter und billiger, als jetzt ein neues Loch zu bauen”.

Gleicher Meinung ist auch Augustin Gisler aus Isenthal. “Positiv wäre es von der Sicherheit her”, sagt der urchige Urner. Doch weil für ihn die negativen Punkte überwiegen, wird auch er Nein stimmen.

Positive Stimmen eher selten

Kioskfrau Vreni Zurfluh, 56, die in Schattdorf wohnt und direkt an der vielbefahrenen Hauptstrasse in Altdorf arbeitet, weist darauf hin, sie gehöre wohl eher zu einer Minderheit. Denn sie sei für den Gegenvorschlag. “Ich denke, es löst sich eher, der Stau und alles.”

Die Stau-Situation sei unbefriedigend, sagt auch der 36-jährige Bruno aus Flüelen, der unterwegs zur Arbeit ist. Deshalb werde er “voraussichtlich Ja” sagen. “Ausschlaggebend für mich ist primär der Sicherheitsaspekt. Es passieren oft Streifkollisionen im Gotthard-Tunnel. Zwei Röhren sind sicherer als eine.”

Noch unentschlossen ist eine 22-jährige Frau aus Isenthal, die ihren Namen nicht nennen möchte. “Es hat eher Nachteile.” Wenn der Transitverkehr konsequent auf die Bahn verlagert würde, brauche es für den Privatverkehr keine zweite Röhre, sagt sie.

Gemeindepräsidenten dagegen

Nichts von der zweiten Röhre wissen wollen diverse Gemeindepräsidenten der neun “Autobahn-Gemeinden”, wie eine kurze Umfrage von swissinfo per E-Mail ergeben hat. Sechs haben geantwortet; sie alle sind dagegen.

Das Hauptargument: Die im Alpenschutz-Artikel geforderte Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene. In Erstfeld wird derzeit der NEAT-Basistunnel (Neue Eisenbahn-Alpen-Transversale) von Norden her gebaut, der längste der Welt.

“Wir können es uns schlicht nicht leisten, einen so teuren Tunnel durch den LKW-Verkehr zu konkurrenzieren”, gibt Paul Jans zu bedenken, Gemeindepräsident des Eisenbahnerdorfes Erstfeld und Mitglied der Christlichdemokratischen Partei (CVP).

“Falsche Zeichen”

Für den sozialdemokratischen Gemeindepräsidenten von Altdorf, Heini Sommer, setzt der Avanti-Gegenvorschlag “in verschiedener Hinsicht falsche Zeichen”. So würden die “bisher erfolgreichen Anstrengungen zur Verlagerung vom Strassentransitverkehr auf die Schiene” untergraben.

Ein “falsches Signal” nennt es Gianpietro Cantoni (CVP), Gemeindepräsident von Seedorf, als “falsches Zeichen nach Europa” bezeichnet Alex Christen (CVP), Gemeindepräsident von Attinghausen, die Vorlage.

Für Beat Jörg (CVP), Gemeindepräsident von Gurtnellen, ist der Gegenentwurf eine “undemokratische Mogelpackung”, die zu einer “massiven Verkehrszunahme” führe.

Und der parteilose Gemeindepräsident von Wassen, Roland Gamma, vermutet: “Die Nein-Befürworter in der Gemeinde Wassen dürften in der Überzahl sein.” Im Grundsatz schliesse auch er sich der Begründung der Kantonsregierung an.

Regierung begründet Nein schriftlich

Die bürgerlich dominierte Urner Regierung stellte sich am 23. Dezember 2003 offiziell gegen die Vorlage. Sie will jedoch nicht aktiv in den Abstimmungskampf eingreifen.

Für den Kanton würden die Nachteile überwiegen, so das Fazit. Der Gegenvorschlag gefährde die von der Urner Regierung angestrebte Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene. Ausserdem stelle er “den Volkswillen von 1994 (Alpenschutz) in Frage”.

Obwohl in der Vorlage auch “durchaus positive Aspekte” vorhanden wären, sei es aus demokratischer Sicht “bedauerlich, dass sich das Volk zu den einzelnen Elementen des Gegenvorschlages nicht differenziert äussern, sondern nur ‘Ja’ oder ‘Nein’ sagen kann”.

swissinfo, Christian Raaflaub

Der Gegenentwurf zur “Avanti-Initiative” will die Schweizer Regierung beauftragen, dem Parlament innert eines Jahres ein umfassendes verkehrspolitisches Programm vorzulegen:

Das 1960 geplante Nationalstrassennetz soll fertig ausgebaut, zentrale Engpässe sollen gezielt behoben werden.

Der Bau eines zweiten Strassentunnels durch den Gotthard soll ermöglicht werden.

Der Agglomerations-Verkehr soll in allen Mobilitätsformen verbessert werden.

Zusätzlich soll das bestehende Nacht- und Sonntagsfahrverbot für Lastwagen in der Verfassung verankert werden.

Die Kosten für diese verschiedenen Massnahmen sollen durch einen neuen Infrastrukturfonds finanziert werden.

Die Gegner kritisieren am Paket die Lockerung des Alpenschutzes, einen einseitigen Ausbau der Strassen und die Kosten.

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