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Bewährungsfall für Schweizer Justiz

Der Zürcher Privatbankier Oskar Holenweger. RDB

Am Montag beginnt vor dem Bundesstrafgericht der mit Spannung erwartete Prozess gegen den Privatbankier Oskar Holenweger. Der Beginn der Ermittlungen liegt 8 Jahre zurück. Das Verfahren wurde zum Spielball politischer Interessen und zu einem Justizskandal.

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona stellt sich auf einen Ansturm von Medienschaffenden ein. Nicht ohne Grund: Der “Fall Holenweger” gehört zu den grossen Justizaffären, welche die Schweizer Öffentlichkeit seit Jahren beschäftigt, zumal die politischen Verästelungen des Falls 2006 zum Rücktritt von Bundesanwalt Valentin Roschacher führten und ein Jahr später die Abwahl von Christoph Blocher als Bundesrat beeinflussten.

Allein schon die Dauer des Justizverfahrens ist skandalös und muss Vergleiche mit italienischen Verhältnissen nicht scheuen. Ende 2003 wurde der Zürcher Privatbankier und damalige Besitzer der Tempus Privatbank AG, Oskar Holenweger, inzwischen 66 Jahre alt, unter dem Verdacht der Geldwäscherei für südamerikanische Drogenkartelle für sieben Wochen in Untersuchungshaft gesetzt.

Von diesem Anfangsverdacht, der durch eine Information des eingeschleusten und äusserst zweifelhaften Drogenhändlers Ramos zustande kam, ist nichts geblieben. Das hat die Bundesanwaltschaft (BA) im Mai 2010 bereits eingeräumt, als sie ihre Anklageerhebung kommunizierte. Eine Connection zu südamerikanischen Drogenringen konnte nicht nachgewiesen werden.

Geldwäscherei und schwarze Konten

Gleichwohl muss sich Holenweger wegen Geldwäscherei verantworten. Gemäss Anklageschrift nahm Holenweger im Jahr 2003 rund 840‘000 Euro vom verdeckten Ermittler Markus Diemer an, der eine Herkunft dieser Gelder aus Drogengeschäften vortäuschte. Über die Hintergründe des Einsatzes von Diemer ist in der Anklageschrift nichts zu lesen, genauso wenig wie über Ramos, dessen Hinweise die ganzen Ermittlungen gegen Holenweger auslösten.

Die Anklage konzentriert sich auf die Rolle von Holenweger als Mittelsmann für den französischen Energie- und Transportkonzern Alstom bei der Äufnung von “schwarzen Kassen”. Alstom sollen diese Kassen dazu gedient haben, “Vertragsabschlüsse im Ausland zu erleichtern”. Auf Deutsch: Mit den Geldern wurden Funktionäre, etwa in Brasilien, Venezuela und Indonesien bestochen, um an Aufträge zu kommen.

Holenweger soll diese Zahlungen über Off-Shore-Konten, etwa auf den Bahamas, abgewickelt haben. Zahlungen der Alstom nahm er über fingierte Beraterverträge entgegen, um die Gelder via Transitkonten aus der offiziellen Buchhaltung zu schleusen. Er selbst profitierte angeblich von den Zinserträgen der schwarzen Kassen. Durch die Verschiebung der Gelder hat Holenweger laut BA den Straftatbestand der Geldwäsche ebenfalls erfüllt.

Unter finanziellem Druck

Die BA klagt Holenweger wegen Urkundenfälschung, Gehilfenschaft zu ungetreuer Geschäftsführung, Bestechung fremder Amtsträger und schliesslich Geldwäscherei an. Der gesamte Delikterlös wird auf knapp eine Million Franken beziffert (948‘156,05 Franken).

Sicher ist: Holenweger stand seinerzeit unter wirtschaftlichem Druck. Seine Bank schrieb zwischen 1998 und 2003 Verluste in Millionenhöhe. Die BA spricht von einer “dramatischen finanziellen Situation”. Es wird insinuiert, er habe dubiose Geschäfte gemacht, um seine Bank zu retten. Nach Absitzen der Untersuchunghaft musste Holenweger 2004 im Übrigen seine Bank verkaufen.

Mysteriös sind die von der Anklage beschriebenen privaten Geschäfte von Holenweger, die er offenbar säuberlich von den offiziellen Bankaktivitäten trennte. Für diese Geschäfte richtete er einen eigenen Server ein, auf den nur er und seine beiden Sekretärinnen Zugriff hatten. Eine dieser Sekretärinnen wurde Holenweger zum Verhängnis. Sie gab die Unterlagen schliesslich der Eidgenössischen Bankenkommission weiter.

Starverteidiger für Holenweger

Drei Richter unter dem Vorsitz von Bundesstrafrichter Peter Popp werden die auf eine Woche angesetzte Hauptverhandlung führen. Oskar Holenweger wird vom Zürcher Staranwalt Lorenzo Erni verteidigt. Für die Bundesanwaltschaft vertritt Lienhard Ochsner die Anklage. Das Datum der Urteilverkündung steht noch nicht fest.

Wird Holenweger vom Gericht in allen Anklagepunkten für schuldig befunden, drohen ihm mehrere Jahre Gefängnis. Wird er freigesprochen, kann sich der Staat auf gewaltige Schadenersatzforderungen einstellen. Für das definitive Strafmass ist zu beachten, dass gegen das erstinstanzliche Urteil von Bellinzona Rekurs eingelegt werden kann.

Sicher ist, dass in diesem Fall die Glaubwürdigkeit der Schweizer Justiz und insbesondere der Bundesanwaltschaft auf dem Spiel steht. Immerhin steht Holenweger seit bald acht Jahren unter Verdacht, ein Geldwäscher zu sein, auch wenn – wie die Bundesanwaltschaft betont – “für den Angeklagten bis zur gerichtlichen Beurteilung die Unschuldsvermutung gilt”.

Sommer 2003: Die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) unter Bundesanwalt Valentin Roschacher beginnt Ermittlungen gegen den Zürcher Privatbankier Oskar Holenweger, Chef der Tempus-Privatbank und weitläufiger Bekannter von Bundesrat Blocher, wegen Verdachts auf Drogengeldwäsche. Informant der BA war der verurteilte kolumbianische Drogenboss José Manuel Ramos. 

Dez. 2003: Oskar Holenweger wird auf Initiative von Roschacher wegen des Verdachts auf Geldwäscherei für mehrere Wochen inhaftiert

 

15. März 2004: Der eidgenössische Untersuchungsrichter Ernst Roduner übernimmt die Voruntersuchungen.

Mai/Juni 2006: In der Presse wird Roschacher für schlampiges und übereifriges Vorgehen gegen Holenweger gerügt. Die Weltwoche schreibt, Roschacher sei einem Bluff seines Informanten José Manuel Ramos aufgesessen. Blocher verfügt daraufhin eine Untersuchung der BA.

5. Juli 2006: Roschacher tritt zurück, nachdem er bei Justizminister Christoph Blocher jede Unterstützung verloren hatte.

Aug. 2007: Die Subkommission erhält von der Bundesanwaltschaft vermeintlich brisante Dokumente: Die von Holenweger erstellten Notizen sollen einen Plan zum Sturz Roschachers unter Beteiligung Blochers darstellen.

5. Sept. 2007: Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz, Präsidentin der Kommission, gibt bekannt, die Möglichkeit einer Verschwörung gegen Roschacher zu überprüfen. Christoph Mörgeli macht die Notizen tags darauf öffentlich und kann dadurch den Komplott-Verdacht weitgehend entkräften.

12.  Dez. 2007: Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher durch das Eidg. Parlament. 

 

9. Juli 2008: Untersuchungsrichter Roduner tritt zurück. Er beruft sich auf ein Fax mit Drohungen. Nur: Er hat das Schreiben selbst verfasst. Er wird später wegen Irreführung der Justiz verurteilt

8.  Dez. 2009: Das Eidg. Untersuchungsrichteramt schliesst seine Voruntersuchungen im Fall Holenweger ab.

 

6. Mai 2010: Die Bundesanwaltschaft erhebt gegen Holenweger Anklage wegen Geldwäscherei, Urkundenfälschung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Bestechung. Die mutmasslichen Delikte drehen sich fast ausschliesslich um schwarze Kassen des Unternehmens Alstom. Vom Anfangverdacht keine Spur mehr.

11.April 2010: Prozessbeginn gegen Oskar Hollenweger vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona.

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