Europa-Pionier Henri Rieben verstorben
Eine grosse Persönlichkeit der europäischen Integration ist tot: Der Waadtländer Professor Henri Rieben ist im Alter von 85 Jahren gestorben.
Er hatte 1978 die Stiftung «Jean Monnet für Europa» gegründet.
Henri Rieben ist am Mittwoch bei sich zu Hause in Epalinges, Kanton Waadt, an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.
Er war der erste Ordinarius des 1957 in Lausanne geschaffenen Lehrstuhls über Fragen der europäischen Integration – der erste Lehrstuhl dieser Art überhaupt in Europa.
Weggefährte grosser Europäer
Henri Rieben wurde am 23. März 1921 in Epalinges als Sohn von Bauern geboren. 1954 schloss er sein Studium als Doktor der Ökonomie ab.
In den Fünfziger- und Sechzigerjahren war er Mitarbeiter und Weggefährte des französischen Staatsmannes Jean Monnet, der zusammen mit Robert Schuhmann als einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft (EG) und damit der heutigen Europäischen Union (EU) gilt.
Ein Ort der Reflexion
1978 gründete Rieben die Stiftung «Jean Monnet für Europa». Die auf dem Campus der Universität Lausanne gelegene Stiftung ist ein Ort der Erinnerung, der Forschung, der Reflexion und der Begegnung.
Die Stiftung stellt Wissenschaftern und Studenten wichtiges Archivmaterial über Gründung und Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Verfügung. Für die Öffentlichkeit zugänglich ist eine Mediathek mit 8000 Fotos von Jean Monnet und der europäischen Integration, Interviews mit Europa-Pionieren, alte Filme über Monnet und sein Lebenswerk sowie eine Sammlung von aktuellen Fernseh- und Radiosendungen über Europa.
Insgesamt werden im Archiv der Stiftung zwölf Tonnen von Monnet hinterlassene Dokumente verwaltet. Das von ihm geleitete Institut publizierte unter anderem so genannte «Rote Hefte» zu europäischen Themen.
Schweiz darf sich Europa nicht verweigern
Für Rieben steckte in Europa 1991 der gleiche Gedanke, der die Schweizer zum Zusammenschluss ihrer Kantone zur Eidgenossenschaft bewog. Die Schweiz dürfe sich deshalb Europa nicht verweigern, sondern müsse ihre langjährige Föderationserfahrung aktiv in den laufenden Integrationsprozess einbringen, sagte er damals.
Die Eigenständigkeit kann laut Rieben erst durch eine Öffnung zur Welt gewahrt und bewiesen werden. Er war deshalb überzeugt, dass die Schweiz alles Interesse an einem «Europa der Kantone» haben müsste.
Neben seinen Tätigkeiten als Uniprofessor und Forscher engagierte sich Rieben für viele andere Aufgaben. So war er unter anderem 1958 Mitbegründer der Waadtländer Wirtschaftsförderung sowie Mitglied des Leitungsgremiums der Expo 1964 in Lausanne. Für seine Arbeit ist Rieben mit unzähligen Preisen und Auszeichnungen bedacht worden, so unter anderem mit der französischen Ehrenlegion.
Leuenberger: «Grosser Europäer»
Bundespräsident Moritz Leuenberger würdigte Rieben als «grossen Europäer». Die Stiftung «Jean Monnet» habe einen wichtigen geistigen Beitrag zur europäischen Integration geleistet.
Rieben habe damit eindrücklich bewiesen, dass Schweizerinnen und Schweizer im Herzen Europas mitwirken könnten, obwohl das Land bisher einen eigenen Weg der bilateralen Annäherung gesucht habe. Für alle Europäer werde die Stiftung ein lebendes Denkmal für eine europäische Utopie bleiben, die in Erfüllung gegangen sei.
Rieben habe die europäische Flamme in unserem Land mit der Leidenschaft derjenigen, die von Beginn weg vom Friedensprojekt Europa überzeugt waren, am Leben erhalten, schrieb die Neue Europäische Bewegung Schweiz (Nebs) in einer Mitteilung. Er sei einer der letzten grossen europäischen Visionäre in diesem Land gewesen, die Jean Monnet noch persönlich gekannt hätten.
swissinfo und Agenturen
Henri Rieben wurde 1921 geboren. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne, das er 1952 mit der Promotion abschloss, erfolgte seine Ernennung zum ersten Titularprofessor für Europäische Integration an seiner «alma mater».
Im selben Jahr gründete er das Institut für europäische Forschung, dem er seither vorsteht. Als Generalsekretär des Aktionskomitees für ein Vereinigtes Europa und Präsident der Stiftung «Jean Monnet für Europa» erhielt er verschiedene Ehrungen, unter anderem die Goldmedaille für Europäische Verdienste (1973).
Henri Rieben ist Träger des Verdienstordens des Grossherzogtums von Luxemburg und wurde in Frankreich als Ritter der Ehrenlegion ausgezeichnet. Im Angola-Krieg war er mit der Vermittlung zwischen dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und der Rebellenbewegung UNITA beauftragt.
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