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“Ein Sieg der Konkordanz”

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Die Vernunft hat gesiegt, Rückkehr zur Stabilität: So kommentiert die Schweizer Presse die Wahl Didier Burkhalters in den Bundesrat. Aber schon 2011 bei den nächsten Gesamterneuerungs-Wahlen dürfte es wieder turbulenter zugehen, so der Tenor.

Ruhig und lösungsorientiert, charakterisieren die Medien den freisinnigen Neuenburger Didier Burkhalter, der im Dezember Pascal Couchepin in der Schweizer Regierung ablösen wird.

“Kontinuität, aber kein Aufbruch”, kommentiert die Aargauer Zeitung das Ergebnis. Auch wenn sie niemanden in Euphorie versetze: “Burkhalter ist eine gute Wahl. Dank ihm wird die Konkordanz gewahrt, mit der die Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten gut gefahren ist.”

Wieder langweiliger

Auch der Berner Bund begrüsst die Rückkehr zum politischen Alltag. “Wenn Bundesratswahlen nach all der Aufregung der letzten Jahre wieder etwas langweiliger werden, ist das für die Schweizer Politik durchaus gut.” Die letzten, unberechenbaren Regierungswahlen dagegen seien schlecht für das politische Klima im Land und die Zusammenarbeit der Parteien gewesen.

“Mit der Wahl hat die Bundesversammlung Vernunft walten lassen”, so die Neue Zürcher Zeitung. Links-Grün habe darauf verzichtet, in letzter Minute einen Sprengkandidaten aus dem Hut zu zaubern.

Auf der rechten Ratsseite sei die Schweizerische Volkspartei nach dem Rückzug des zweiten freisinnigen Kandidaten auf Burkhalter umgeschwenkt. “Die Konkordanz wurde dadurch nicht strapaziert, sondern stabilisiert.”

Doch dieses Muster dürfte kaum Bestand haben. Schon die nächsten Bundesratswahlen würden wieder Zunder verheissen, so die NZZ. Moritz Leuenberger, Hans-Rudolf Merz und Micheline Calmy-Rey könnten bald demissionieren, “vielleicht im Dezember 2011, vielleicht schon früher.”

“Nach der Wahl ist vor der Wahl”

Die Basler Zeitung traut der Ruhe ebenfalls nicht. “Der nächste Showdown kommt”, kündigt die BaZ an.

Mit der Wahl Burkhalters, die von gegenseitigem Respekt geprägt gewesen sei, sieht der Blick “alte Wunden am Verheilen”. Erstmals seit der heimlich eingeleiteten Abwahl Christoph Blochers “sieht sich die SVP von der Linken wieder offen und ehrlich behandelt und damit respektiert”.

Doch auch die Boulevardzeitung misstraut dem Frieden. “Steht beim Merz-Rücktritt der nächste Parteienkrieg an?”, fragt sie. Denn “nach der Wahl ist vor der Wahl”, so der Blick in Abwandlung der lapidaren Weisheit aus dem Nähkästchen der Fussballtrainer.

Genugtuung in der Westschweiz

Die Westschweizer Zeitung Le Temps spricht von einer “logischen” Wahl, die dem schweizerischen Bedürfnis nach dem Gleichgewicht hochgradig entspreche.
“Die Wahl von Didier Burkhalter rettet die Konkordanz und garantiert Stabilität in der Kontinuität”, notiert die Tribune de Genève.

“Ein ehrlicher Mann, aufrichtig, intelligent, überlegt”, beschreibt 24 heures den neuen Magistraten. Gross ist die Freude bei den Neuenburger Zeitungen L’Express und L’Impartial. Zwar sei Burkhalter kein politisches Alpha-Tier, doch “riskiere der neue Bundesrat, mehr als den einen oder anderen zu überraschen”.

Die als etwas oberflächlich empfundene Art Burkhalters täusche darüber hinweg, dass er über einen Willen zu Reformen verfüge, schreiben die beiden Zeitungen.

Frust in Freiburg

Laut Berner Zeitung ist der Sieg Burkhalters “ein Sieg der Parteistrategen”. Im Hinblick auf die bevorstehenden eigenen Kampagnen seien Linke wie Rechte dem Drehbuch des Freisinns “schon fast handzahm” gefolgt. Verlierer seien die Christlichdemokraten. Die CVP habe mit Urs Schwaller “das weit beste Ross im Stall” verheizt.

Die Freiburger Nachrichten sehen den gescheiterten Deutschfreiburger Schwaller als “Opfer der ‘Konkordanz'”. Bei einigen Romands “purs et durs” habe zudem die Sprachenfrage eine Rolle gespielt.

Frust im Tessin

Mit bitterer Ironie äussert sich das Giornale del Popolo. “Einmal mehr hat die Genialität des helvetischen Systems funktioniert: Drei Monate, um die Besten zu eliminieren, drei Monate, um zurückzustutzen, was über das Mittelmass hinausragt.”

Aus diesen Zeilen spricht die Enttäuschung darüber, dass Fulvio Pelli, der Tessiner Präsident der freisinnig-liberalen Partei der Schweiz, Burkhalter in der parteiinternen Ausmarchung unterlegen war.

La Regione freut sich immerhin darüber, dass sich die Strategie Fulvio Pellis mit der Haltung des FDP-Regierungssitzes ausbezahlt habe. Aber auch sie bedauert, dass der Parteipräsident diese goldene Gelegenheit nicht selber habe wahrnehmen können. “In Bern geschätzt und anerkannt, wäre Pelli ohne Probleme gewählt worden”, tröstet La Regione sich und seine Leser.

Renat Künzi, swissinfo.ch

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