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Polanski: Offizielles Auslieferungsgesuch

Roman Polanski am Bangkok Filmfestival 2005. Reuters

Das Auslieferungsgesuch der USA für Regisseur Roman Polanski ist am Donnerstag in der Schweiz eingetroffen, teilte das Bundesamt für Justiz (BJ) mit. Ihm wird sexueller Missbrauch einer 13-Jährigen im Jahr 1977 vorgeworfen.

Am Donnerstag übermittelte die US-Botschaft in Bern innerhalb der vom bilateralen Auslieferungsvertrag vorgesehenen Frist von 40 Tagen dem BJ das formelle Auslieferungsersuchen. Dieses stützt sich auf einen US-Haftbefehl vom 1. Februar 1978.

Diesen hatte ein kalifornisches Gericht erlassen, weil Polanski entgegen seiner Zusicherung nicht vor dem Richter erschienen war. Der Regisseur hatte vorher in einer Strafuntersuchung zugegeben, Sex mit einer Minderjährigen gehabt zu haben.

Für das Geständnis handelten seine Anwälte damals eine milde Strafe aus. Als es Anzeichen gab, dass der Richter sich nicht an die Absprache halten wollte, war Polanski aus den USA geflohen und nie mehr dorthin zurückgekehrt. Selbst seinen Oscar für den Film “Der Pianist” nahm er 2003 nicht persönlich entgegen.

Das internationale Haftersuchen der USA besteht seit 2005.

Das BJ wird das Auslieferungsgesuch nun an den Kanton Zürich weiterleiten. Gestützt auf die Anhörung von Polanski und die Stellungnahme seines Anwalts wird das BJ über die Auslieferung entscheiden.

Formelle und materielle Voraussetzungen

Damit einem Auslieferungsgesuch stattgegeben wird, müssen formelle und materielle Voraussetzungen gegeben sein. So klärt das Bundesamt für Justiz ab, ob die vorgeworfene Tat auch in der Schweiz strafbar ist.

Ein Auslieferungsgesuch wird auch abgelehnt, wenn das Verfahren im ersuchenden Staat den Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht.

Zudem wird die Auslieferung für eine Tat, die bereits verjährt ist, nur dann bewilligt, wenn dies staatsvertraglich vorgesehen ist – was im Vertrag mit den USA der Fall ist.

Laut BJ-Sprecher Folco Galli gibt es keine Frist für die Anhörung. In einem Interview des französischen Radiosenders Europe 1 sagte Galli, dass Polanski höchstens eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren drohe. Er habe sexuellen Kontakt zu einer Minderjährigen zugegeben. Für andere Delikte könne er nicht belangt werden.

Bis anhin war allerdings – aufgrund des Fahndungsgesuchs aus dem Jahr 2005 – stets die Rede von einer drohenden Gefängnisstrafe von bis zu 50 Jahren gewesen.

Selbst das Bundesstrafgericht hatte sich bei seinem Entscheid, Polanskis Haftbeschwerde abzuweisen, darauf gestützt und diese drohende Höchststrafe mit als Grund angegeben, weshalb die Fluchtgefahr als hoch eingestuft werde.

Rechtsmittel

Der 76-Jährige kann gemäss BJ gegen einen Auslieferungsbeschluss Rechtsmittel einlegen. Polanski, der die französische und die polnische Staatsbürgerschaft besitzt, war auf Ersuchen der USA bei seiner Einreise in die Schweiz am 26. September verhaftet worden.

Laut Folco Galli, hat Polanski nach wie vor die Möglichkeit, in eine vereinfachte Auslieferung einzuwilligen. Erklärt er sich damit einverstanden, kann die Übergabe relativ rasch veranlasst werden.

Ansonsten dauert das Verfahren wohl Monate. Kommt das Bundesamt für Justiz zum Schluss, dass Polanski ausgeliefert werden soll, kann der 76-Jährige den Beschluss zunächst vor Bundesstrafgericht anfechten. Letzte Rekursinstanz ist das Bundesgericht.

Polanskis französische Anwälte hatten sich zuletzt widersprüchlich über die Absichten ihres Mandanten geäussert. Während Georges Kiejman eine Einwilligung in die Auslieferung nicht mehr völlig ausschloss, verneinte Herve Temime eine Strategieänderung und bekräftigte den angekündigten Widerstand.

Lorenz Erni, Polanskis Schweizer Anwalt, wollte das Ersuchen der USA am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur SDA nicht kommentieren.

swissinfo.ch und Agenturen

Raymond Polanski wurde als Sohn polnisch-jüdischer Eltern am 18. August 1933 geboren. Er verbrachte die ersten drei Jahre in Paris, bevor die Familie nach Polen zurückkehrte.

1940 floh er aus dem Warschauer Ghetto. Seine Mutter starb in Auschwitz.

Sein erster Film “Knife in the Water” gewann auf Anhieb Preise.

1969 wurde Polanskis schwangere Ehefrau Sharon Tate und sechs weitere Menschen von Mitgliedern der Sekte von Charles Manson brutal umgebracht.

2003 gewann Polanski einen Oscar als bester Regisseur für “Der Pianist”. Ein Jahr vorher hatte er in Cannes die Goldene Palme gewonnen.

Roman Polanski hatte 1977 gestanden, eine damals 13-Jährige sexuell missbraucht zu haben. Das Mädchen war dabei unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen gestanden.

Noch vor seiner Verurteilung 1978 hatte er sich nach einem Aufenthalt von rund 45 Tagen in einer Gefängnisklinik zu einer psychiatrischen Abklärung abgesetzt und war nach Frankreich geflohen, wo er seither lebt.

Da ihm bei einer Rückkehr in die USA die Festnahme drohte, hatte er auch 2003 seinen Oscar für “Der Pianist” in Abwesenheit empfangen

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