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Regierungssystem besteht Belastungsprobe

Schweizer Parlament: Viele Dossiers sind in der ersten Hälfte der Legislaturperiode liegengeblieben Keystone

Die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei. Die letzten zwei Jahre waren von aussergewöhnlichen Ereignissen geprägt. Die nationale Politik wurde zwar nicht radikal umgekrempelt, aber das Konkordanz-System erlebte doch bisher undenkbare Veränderungen.

Ein amtierender Bundesrat wird nicht wiedergewählt. Die grösste politische Partei des Landes geht für ein Jahr in die Opposition. Zwei Minister wechseln ihre Parteizugehörigkeit. Die sieben Regierungsmitglieder gehören erstmals fünf Parteien an.

Das sind einige der ausserordentlichen Ereignisse aus der ersten Hälfte der Legislaturperiode 2007-2011. Es sind Ereignisse, die für Schweizer Verhältnisse von teils historischer Bedeutung sind.

Denn die Schweiz galt traditionell als sehr stabile Demokratie mit wenig Veränderungen. Man denke nur daran, dass die Verteilung der Regierungssitze zwischen den grössten politischen Parteien zwischen 1959 und 2003 unverändert geblieben ist. Es waren die Zeiten der so genannten Zauberformel.

Trotz der erwähnten, aussergewöhnlichen Ereignisse ist das politische System der Schweiz nicht zusammengebrochen, wie von einiger Seite befürchtet. Ganz im Gegenteil: Es beweist sich eine Stabilität. Die Positionen und Stärken der Parteien sind praktisch gleich geblieben, genauso wie die Koalitionen zwischen Fraktionen und Regierungsmitgliedern.

Veränderung in kleinen Schritten

“Die politischen Turbulenzen der letzten Jahre sollte man nicht unter-, aber auch nicht überschätzen”, meint der Politologe Andreas Ladner vom Institut Idheap in Lausanne. Seiner Meinung nach haben die Weltwirtschaftskrise und die Globalisierung einen weit grösseren Einfluss auf das Leben der Menschen gehabt als die politischen Spielchen der Parteien.

“Zudem muss man sehen, dass sich das politische System der Schweiz stets nur langsam verändert. Es gibt viele Hürden und Einschränkungen, welche rasche Veränderungen verhindern,” meint Ladner. Und dies werde so bleiben, so lange die Parteistärken sich nicht radikal änderten. Denn bis heute gebe es weder eine Mitte-Rechts noch eine Mitte-Links-Mehrheit im Parlament.

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Konkordanz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Unter Konkordanz versteht man die unablässige Suche eines Gleichgewichts oder eines Kompromisses sowohl zwischen Parteien wie auch zwischen den verschiedenen sprachlichen, sozialen und politischen Kulturräumen, welche die Schweiz ausmachen. Einer der offensichtlichsten Aspekte des Konkordanzsystems ist die Aufteilung der sieben Bundesrats-Sitze auf die wichtigsten Parteien nach ihrer proportionalen Wählerstärke, unter Respektierung des sprachlichen Gleichgewichts der…

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Neue Konkordanz

Die Turbulenzen der letzten Jahren haben jedoch das politische Modell der Schweiz in ein neues Licht gerückt. Die Konkordanz-Regierung, die nur im Rahmen der Zauberformel Bestand zu haben schien, hat sich als anpassungsfähig erwiesen.

Sie hat selbst den erbitterten Kampf überstanden, welchen sich die Mitte-Parteien CVP und FDP bei der Wahl um die Nachfolge von Bundesrat Pascal Couchepin geliefert haben.

“Konkordanz lässt sich nicht auf die Verteilung von Regierungssitzen unter den grossen Parteien reduzieren. Konkordanz verhindert auch nicht ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Positionen. Konkordanz zeigt sich in der Fähigkeit, am Ende gemeinsame Entscheide zu fällen und im Willen, die Institutionen zu stützen”, meint Silvano Moeckli, Dozent für Politikwissenschaft an der Universität St.Gallen.

Kritik an der Regierung

Doch gerade einige Entscheidungen des Bundesrats haben in jüngster Zeit zu heftigen Kontroversen geführt und Kritik ausgelöst. Insbesondere warf man der Regierung Schwäche im Umgang mit der Finanzkrise, bei der Verteidigung des Bankgeheimnisses sowie im Fall Libyen vor.

“Zumindest in Bezug auf das Bankgeheimnis und die Libyen-Krise hat der Bundesrat keine klare Strategie an den Tag gelegt und keine einheitliche Position nach aussen kommuniziert”, so Silvano Moeckli. Da die einzelnen Minister keine grosse Macht hätten, könne die Regierung nur stark sein, wenn sie geeint nach innen und aussen auftrete. Das Problem sei nicht das System, “sondern die einzelnen Personen, welche die Regierung zusammensetzen”.

Zahlreiche Baustellen

Das Parlament seinerseits hat in den ersten beiden Jahren dieser Legislaturperiode viele wichtige Dossiers nicht angepackt. Das Parlament musste häufig bereits getroffene Entscheidungen der Regierung einfach abnicken.

“Das Parlament musste viel Energie und Zeit in Dossiers wie UBS und Bankgeheimnis stecken, die gar nicht auf dem offiziellen Legislaturprogramm standen. Zudem hat der politische Streit um die Nachfolge von Samuel Schmid und Pascal Couchepin viel Zeit geraubt”, bemerkt Moeckli.

Dies habe zur Folge, das wichtige Dossiers liegen blieben – beispielsweise die AHV-Revision oder die Reform des Krankenversicherungsgesetzes. Moeckli kommt zum Schluss: “Das Parlament hat in der zweiten Legislaturhälfte viel Arbeit vor sich.”

Armando Mombelli, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

1959-2003

Die lange Periode der Zauberformel im siebenköpfigen Bundesrat: 2 Sozialdemokraten (SP), 2 Freisinnige (FDP), 2 Christlichdemokraten (CVP), 1 Vertreter der Volkspartei (SVP)

2004-2007
Die SVP erobert mit Christoph Blocher einen Sitz der CVP: 2 SP, 2 FDP, 2 SVP, 1 CVP

2008
Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid treten aus der SVP aus und in die neue Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) ein: 2 SP, 2 FDP, 2 BDP, 1 CVP

2009
Die SVP kehrt mit der Wahl von Ueli Maurer als Nachfolger von Samuel Schmid in den Bundesrat zurück: 2 SP, 2 FDP, 1 CVP, 1 BDP, 1 SVP

Am 16.September 2009 hat die Bundesversammlung den Neuenburger FDP-Ständerat Didier Burkhalter zum Nachfolger von Pascal Couchepin. Die Verteilung im Bundesrat gemäss Parteien ändert sich nicht.

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