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Buntes Treiben in Botanischen Gärten

Blick ins Steppenhaus des Botanischen Gartens Bern. (botanischergarten.ch) swissinfo.ch

Sie sind Oasen der Ruhe wie auch Horte der Wissenschaft und manchmal Bühnen für Kultur und Unterhaltung.

Immer mehr Menschen interessieren sich für die Botanischen Gärten in der Schweiz. Im Vordergrund steht die Erholung, nicht das Interesse an der Wissenschaft.

“Wir sind uns nicht mehr bewusst, wie sehr wir alle von der Pflanzenwelt abhängig sind”, sagt Susanne Bollinger-Kobelt, Leiterin des Botanischen Gartens der Universität Freiburg, gegenüber swissinfo. “Im Laufe des Tages brauchen wir jede Minute etwas Pflanzliches, egal ob wir damit schreiben, essen, oder es zum Anziehen brauchen.”

Deshalb ist es für Susanne Bollinger-Kobelt äusserst wichtig, den Menschen die Pflanzenwelt mit “ihrem” Botanischem Garten näher zu bringen.

Sie versucht, Wissen und Einsichten in biologische Zusammenhänge zu vermitteln, und dies interessierten Kindern und Erwachsenen verständlich aufzuzeigen.

Immer wieder erhalten die Mitarbeitenden des Botanischen Gartens Freiburg Anfragen aus der Bevölkerung zu Heilpflanzen oder Bachblüten. Die Antworten gibts dann direkt vor Ort oder via Telefon oder E-Mail.

Zentrale Bedeutung der Wissenschaft

Anders die Situation im Botanischen Garten in Zürich: Hier steht die Wissenschaft an erster Stelle. Der Garten produziert und hegt Pflanzen für die Forschung. Zudem werden Pflanzen für die universitäre Lehre gezüchtet. Führungen, Ausstellungen, Artenschutz sowie Arterhaltung belegen die weiteren Plätze.

Peter Enz, Leiter des Botanischen Gartens Zürich: “Wir konnten der botanischen Rolle, die derzeit von uns verlangt wird, bislang gerecht werden. Wir müssen keine Konzerte und Kunstausstellungen und Modeschauen veranstalten.”

Trotzdem bietet der Botanische Garten Zürich pro Jahr 74 öffentliche Führungen an. Jeden Dienstag werden halbstündige Besichtigungen durchgeführt, an denen jeweils so zwischen 48 und 72 Personen teilnehmen.

Peter Enz, betont, dass er das “botanische Publikum” im Garten wolle. Wer Entertainment und Action bevorzuge, komme nicht in “seinen” Garten: “Wenn die Streetparade in Zürich stattfindet, kommen diejenigen, die Ruhe möchten, zu uns.”

Spannende Phänomene

Gartenleiter Enz redet sich ins Feuer, wenn er über spannende Phänomene spricht, die er Neugierigen bieten kann: “Bei schönem Wetter führen wir Besucher gern zu den Lotosblüten. Wir schütten Wasser über die Blütenblätter. Das Wasser perlt weg wie Quecksilber, und dann sieht man das Wasser ‘brodeln’. Es kocht jedoch nicht, es ist der Gasaustausch aus dem Wurzelbereich. Damit kann man die Physiologie der Pflanzen erklären.”

Die Struktur des Lotosblattes werde sogar beim Bau von Fassaden nachgeahmt. Auch das Phänomen des “Abperlens” wird studiert. Ziel: Die Herstellung selbstreinigender Fenster oder Fassaden.

Peter Enz will aber auch die Verletzlichkeit der Natur zeigen. Pflanzen, denen die Lebensgrundlagen entzogen worden sind, finden im Botanischen Garten “Asyl”, bis sie wieder ausgesiedelt werden können.

Die Besucher sollen zudem die Tricks der Natur kennen lernen: Schmarotzertum, Täuschmanöver und Fallenstellen. Dies sind für viele Pflanzen Überlebens-Strategien.

Abbild der Gesellschaft

Für Peter Erny, Leiter des Botanischen Gartens Basel, sind die Botanischen Gärten auch immer ein Abbild der Gesellschaft, ein Abbild der Finanzkraft und der Interessen, die eine Gesellschaft vertrete.

Auch der Direktor des Botanischen Gartens Bern, Klaus Ammann, sieht “seinen” Garten im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Publikumsinteresse.

Wegen akuter Finanzknappheit hat man in Bern dem früher universitären Garten einen halbprivaten Status verliehen. Eine Stiftung stellt die finanziellen Mittel für den Betrieb der nächsten Jahre sicher.

In den letzten Jahren ist der Botanische Garten Bern zu einem wahren Publikumsliebling avanciert. Er hat sich auch als Zentrum für Kunst und Kultur einen Namen gemacht.

Klaus Ammann: “Der Botanische Garten betreibt Öffentlichkeitsarbeit, die von mongolischen Schamaninnen bis zur Gentechnik reicht.” Aber auch Kunstausstellungen und Dichterlesungen haben sich etabliert.

Im für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich des Botanischen Gartens betreibt die Universität Bern Pflanzenforschung. “Wir züchten zum Beispiel Petunien, die wie der Mais so genannte ‘springende Gene’ besitzen”, erzählt Klaus Ammann. (Beim Mais zeigt sich das in verschiedenfarbigen Körnern)

“Die Ansprüche der Forscher sind halt so, dass sie vom Publikum in Ruhe gelassen werden, damit sie ihre heiklen Versuche durchführen können”, begründet Amman die Trennung des Gartens in einen öffentlichen und einen wissenschaftlichen Bereich.

Kleines Interesse der Pharmaindustrie

Für die Pharmaindustrie haben die Botanischen Gärten keine Bedeutung mehr. Neue Medikamente werden nicht mit Pflanzen und Wirkstoffen aus den Botanischen Gärten erforscht. Das internationale Biodiversitäts-Abkommen von Rio verlangt, dass Pflanzen, Genressourcen oder Wissen nur zur Forschung und Lehre weitergereicht werden dürfen.

Peter Erny: “Für das Ursprungsland muss ein Wissenschaftstransfer gewährleistet sein oder ein Benefit-Sharing. Es muss etwas zurückfliessen, entweder wissenschaftliche Informationen oder eine andere Dienstleistung.”

Die Botanischen Gärten geben Pflanzen denn auch nur mit einer schriftlichen Bestätigung weiter, dass keine kommerzielle Verwendung stattfindet.

swissinfo, Etienne Strebel

Weltweit gibt es zwischen 350’000 und 450’000 höhere Pflanzenarten. Die grössten Botanischen Gärten beherbergen bis 35’000 verschiedene Arten. Im Botanischen Garten Zürich sind es ungefähr 9000. In der Schweiz kommen etwa 3000 Pflanzenarten vor.

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