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Der Tellkult am Seeufer

Der Schutzheilige der Bootsfahrer

Eine Steintreppe führt bis zum Seeufer. Ab und zu wird die Tellskapelle sichtbar, dann verschwindet sie wieder im üppigen Grün der Vegetation. Unter ihr eine Terrasse, die einen atemberaubenden Ausblick bietet. Alpenromantik pur.

Helmi Gasser hat den Schlüssel zu den Örtlichkeiten. Sie erinnert uns ein wenig an Edith Piaf. Und ihre Augen leuchten, wenn sie von ihrer Region erzählt.

Sie hat viele Jahre mit Begeisterung im Archiv von Uri Kunst und Geschichte studiert und kennt jede Einzelheit des Gebäudes. “Sie ist die älteste der drei Tell gewidmeten Kapellen. Bereits 1518 wird sie zum erstem Mal erwähnt.”

Es ist auch die spektakulärste. Der Raum ist gegen den See hin geöffnet, so dass das grüne Wasser des Vierwaldstättersees einbezogen ist. Durch zwei Mauerbogen sind die Fresken zu sehen, die der Basler Ernst Stückelberg 1880 gemalt hat.

“Man müsste eigentlich vom See her zur Kapelle kommen”, findet Gasser. “Nur so kann man verstehen, warum sie genau hier gebaut wurde.” Uri liegt am Fuss der Berge. Das Wasser ist seit jeher der schnellste und sicherste Verbindungsweg. Wenn auch mit Einschränkungen.

Denn manchmal entfesselt der Föhn, der vom Gotthard her kommt, die Elemente. Der Himmel verdunkelt sich urplötzlich, der See ist aufgewühlt, und die kleinen Boote werden von hohen Wellen herum geworfen. “In wenigen Minuten kann das hier zur Hölle werden”, versichert Gasser.

Hier soll Wilhelm Tell in einem dieser heftigen Stürme seine Geschicklichkeit als Bootsführer bewiesen haben. Noch heute gibt es alle Jahre am Tag nach der Auffahrt eine Pilgerfahrt im Boot hierher.

“Früher galt Tell nicht nur als Held, er wurde auch als Heiliger verehrt”, erzählt Helmi Gasser. “Er steht in Bürglen nicht von ungefähr neben Niklaus von der Flüe.”

Heimataltar

Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Kapelle komplett renoviert. “Die Witterung hatte ihr stark zugesetzt. Aber die Urner hatten kein Geld, um sie zu restaurieren”, erklärt unsere Führerin. Deshalb wandte sich der Kanton an den Schweizerischen Kunstverein.

Unter der Leitung dieses ‘Sponsors’ wurde die Kapelle zu einer Art Heimataltar. Vier monumentale Fresken lassen die Sage von Tell auferstehen. Das Heilige trat in den Hintergrund und machte einem Laienkult Platz, der dem Ursprung der Heimat gewidmet ist.

Damit ist die Geschichte zu Ende, unser Besuch auch. Auf einem aber beharrt unsere Führerin noch: “Sie müssen unbedingt die Glocke hören.” Ein kristallklarer Ton klingt über die grünen Wellen des Sees.

swissinfo, Daniele Papacella und Alexandra Richard, Sisikon
(Übertragen aus dem Französischen: Charlottte Egger)

Im 16. Jahrhundert werden drei Kapellen gebaut, die Wilhelm Tell gewidmet sind. Er ist zwar kein Heiliger, geniesst aber im Volksglauben besonderen Wert.

Je ein Gebäude wird in seinem Geburtsort Bürglen, in Küssnacht unweit der Hohlen Gasse sowie am Seeufer erstellt.

Die Kapellen und ihre Altare sind zwar dem Schutzpatron der Bogen-Schützen, dem Heiligen Sebastian, oder der Mutter Maria gewidmet. Aber alle Fresken erzählen die Geschichte des Nationalhelden.

Die Kapelle von Sisikon steht am Seeufer, da wo Wilhelm Tell aus dem Boot des Landvogts Gessler floh.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie vollständig renoviert. Aus einem heiligen Ort wurde eine Art Tempel für das Vaterland.

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