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Die Reha-Klinik für wilde Tiere

Eines der drei kleinen Wildschweine auf der Wildstation Utzenstorf. swissinfo.ch

Im bernischen Utzenstorf werden verletzte und verwaiste Wildtiere gepflegt und wieder auf ein Leben in der Wildnis vorbereitet.

Die Wildstation neben dem Schloss Landshut besteht bereits seit 1971. Heute ist sie auch für das interessierte Publikum teilweise zugänglich.

Tiere sind sein Leben. Seit über 30 Jahren arbeitet Peter Zimmermann mit Tieren: im Zirkus, im Tierspital und am Flughafen Zürich. Seit zwei Jahren nun ist er Betriebsleiter der Schweizer Wildstation in Utzenstorf. Eine Art Lebenstraum ist in Erfüllung gegangen.

“Hier kann ich mich voll entfalten”, sagt er, und schüttet den beiden jungen Steingeissen noch etwas Wasser nach. Eines der Jungtiere war im letzten Juni mit gebrochenem Bein von einem Wildhüter aus Lauterbrunnen in die Station gebracht worden.

Auswildern nicht immer möglich

Damit das Tier während seiner einjährigen Genesung nicht allein ist, stellte ein Wildpark ein zweites Geisslein zur Verfügung. “Im August werden wir sie auswildern”, erklärt Zimmermann.

Wo genau die Auswilderung geschehen werde, entscheide jeweils das Jagdinspektorat. Natürlich werde es ein Jagdbannbezirk sein, die gesundgepflegten Tiere sollen nicht gleich dem ersten Jäger vor die Flinte kommen.

Nach dem Besuch bei den Steingeissen führt mich Zimmermann zu einem weiteren Gehege, wo uns drei halbjährige Wildschweine begrüssen. “Spaziergänger haben sie mutterlos aufgefunden”.

Anders als die jungen Steinböcke können sie jedoch nicht mehr ausgewildert werden. Zu schnell gewöhnen sie sich an den Kontakt mit Menschen. Sie werden später in einen Zoo überführt, “weil sie keine Angst mehr vor Hunden, Katzen oder Menschen haben”.

Einmalige Anlage

Die Anlage ist mit 16’000m2 die grösste der Schweiz. Die einzige, die alle Arten von Wildtieren wie Luchse, Steinböcke oder Vögel betreuen kann, sagt Marianne Staub, Präsidentin der Wildstation.

“Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, Wildtiere vorübergehend so zu halten, dass sie gut wieder ausgewildert werden können. Wir wollen keinen Tierpark”, betont sie. Das Ziel sei immer die Auswilderung.

Eigentlich sei eine einzige Station dieser Art für die ganze Schweiz zu wenig, meint Tierschützerin Staub. “Wir leisten eigentlich Pionierarbeit.”

Es gebe kaum andere Angebote für Rehe, Gämsen, Steinböcke und spezielle Vogelarten. Gegenwärtig ist die Wildstation auch für Umsiedelungen von Luchsen zuständig.

Knappes Budget

Aus diesem Grund und weil der Kanton Bern ein Interesse daran hat, dass seine Wildhüter verletzte und verwaiste Tiere in die Wildstation bringen können, besteht eine Leistungsvereinbarung: Jährlich beteiligt sich der ehemalige Betreiber der Station mit 50’000 Franken am Gesamtbudget von 250’000 Franken. Ein überlebenswichtiger Beitrag.

Doch die Tiere kommen aus der gesamten Zentralschweiz: Aargau, Freiburg, Solothurn. “Mit ihnen sind wir im Gespräch, ob wir eine pauschale Abgeltung oder einen Betrag pro Tier bekommen.”

200’000 Franken stammen derzeit aus Stiftungen, von Privaten und Gönnern. “Es ist nicht ganz einfach, in dieser schwierigen Zeit das Geld zusammenzubringen”, so Staub.

Öffnung fürs Publikum

Daher setzt die Wildstation in letzter Zeit vermehrt auf Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehören etwa Patenschaften durch Prominente oder die Öffnung eines Teils der Anlage fürs breite Publikum.

“Dank der Stiftung ‘Clara Higy für Tierschutz’ konnten wir einen Wildpfad eröffnen”, erklärt Marianne Staub. Die Sensibilisierung der Bevölkerung sei neben der Pflege von Tieren in Not ein wichtiges Standbein.

“Was ist ein Wildtier, was braucht es, wie lebt es, was sind die Probleme, wo könnten wir Einfluss nehmen, um etwas zu verbessern?” Die Besucher würden positiv ansprechen.

Schulklassen und Kindergärten gehören zu den häufigsten Besuchern. “Sie werden später Rücksicht nehmen auf die Tiere und ihren Lebensraum, das ist das Ziel unserer präventiven Arbeit”, so Staub.

Auch für Betriebsleiter Zimmermann war die Öffnung fürs Publikum ein sehr wichtiger Schritt. “Die Wildtiere gehören zu unserer Fauna. Die Leute schätzen es, die Tiere auch draussen sehen zu können.”

Daher sei ein weiterer Ausbau des begehbaren Teils geplant, eventuell sogar mit einem Hochsitz. Den werden die beiden Steingeissen wohl nicht mehr erleben. Sie werden dereinst bereits wieder Klettertouren im Gebirge unternehmen.

swissinfo, Christian Raaflaub

Die Schweizer Wildstation ist 16’000m2 gross.
Maximal haben 200 Tiere Platz.
2003 wurden 278 Wildtiere aufgenommen, gepflegt und verarztet.
2004 waren es 465 Tiere.
3 Personen arbeiten auf der Wildstation.
Jährliches Budget: 250’000 Fr.

Die Schweizer Wildstation im bernischen Utzenstorf pflegt und verarztet verletzte und verwaiste Wildtiere mit dem Ziel, sie wieder in die freie Wildbahn zu entlassen.

Die Station existiert seit 1971 und wurde bis 2002 vom Kanton Bern betreiben. Heute wird sie getragen vom Dachverband Berner Tierschutz-Organisationen (DBT), dem Kanton Bern, Stiftungen und Gönnern.

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