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Erfolgreicher Ketzer

Global Player: Hans Küng, Prophet des Weltethos. Keystone

Der streitbare Schweizer Theologe Hans Küng wird 75. Seine Kritik an der Unfehlbarkeit des Papstes kostete ihn 1979 die Lehr-Erlaubnis und machte ihn weltberühmt.

Heute fördert Küng mit seiner Stiftung Weltethos engagiert den Dialog zwischen den Religionen.

Hans Küng hat wieder einmal Recht: Wer noch vor kurzem einen globalen moralischen Grundkonsens in Abrede gestellt hat, sieht sich durch die Proteste gegen den drohenden Irak-Krieg widerlegt. “Das Aufbegehren weiter Teile der Bevölkerung ist ermutigend”, sagt Hans Küng im Gespräch mit swissinfo.

“Im Protest gegen das willkürliche Morden, das mit diesem Krieg verbunden ist, kommt ein Weltethos zum Ausdruck, das sich in allen Traditionen findet.” Selbst im Sicherheitsrat sei man nicht mehr bereit, Krieg als ein Mittel der Politik zu akzeptieren.

Mit seinem “Projekt Weltethos” beweist Hans Küng sein Gespür für relevante aktuelle Themen. 1990, kurz vor dem ersten Golfkrieg, hatte Küng die Notwendigkeit einer gemeinsamen moralischen Grundlage postuliert, um einen Krieg zwischen den Religionen zu vermeiden.

“Seit dem 11. September 2001 hat die Aufmerksamkeit gegenüber dem Projekt Weltethos gewaltig zugenommen. Man merkt jetzt, dass es hier um ganz wesentliche Fragen der Menschheit geht.”

Das “Projekt Weltethos” ist laut Küng die Antwort der Ethik auf die Herausforderung der Globalisierung. Das konfliktfreie Zusammenleben verschiedener Religionen und Weltanschauungen benötige gemeinsame ethische Standards. Diese müssten indes nicht erst geschaffen werden, sondern seien in allen Religionen bereits vorhanden.

Konzentrische Kreise

Das Wirken von Hans Küng hat mit seinem “Projekt Weltethos” selbst eine globale Dimension erhalten. “Küng hat wie mit einem Zirkel konzentrische Kreise gezogen”, sagt Dietrich Wiederkehr, emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Luzern.

Küng habe sich von innertheologischen Fragen, über zwischenkirchliche bis hin zu weltpolitischen Fragestellungen vorgearbeitet.

Der Kapuziner Wiederkehr, der selbst nie in Blatt vor den Mund nahm, war 1979 auf der Treppe der Luzerner Hofkirche gestanden, um zusammen mit anderen Demonstranten gegen die Verurteilung Küngs durch den Vatikan zu protestieren.

Die Kritik Küngs an der Unfehlbarkeit des Papstes sei nötiger denn je, unterstreicht Wiederkehr. “Der Papst nimmt heute die Unfehlbarkeit für seine private und persönliche Kirchenideologie in Anspruch.”

Damals hätten einige zwar die Ansicht vertreten, Küng schiesse über das Ziel hinaus. “Unfehlbarkeit war damals noch eine seltene Sache. Heute klemmt der Papst mit der Unfehlbarkeit jedoch gezielt Diskussionen ab.”

Küng hat laut Wiederkehr innerhalb der Kirche massgeblich zum Abbau von falscher und überrissener Autorität beigetragen. Dabei war Küng keineswegs der einzige Theologe, der solche Ansichten vertrat.

Einflussreicher Publizist

Der Erfolg von Küng liegt in seinen Fähigkeiten, komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Mit seinen späteren Werken findet Küng selbst in der säkularen und pluralistischen Öffentlichkeit Gehör. Dafür wird Küng beneidet, aber auch kritisiert.

Küng habe ein grosses Sendungsbewusstsein und betreibe geschicktes Marketing, sagt der Sozialethiker Thomas Wallimann. “Er kann sagen, was er will, es wird gedruckt.” Das Problem sei, dass Küng heute zu allem etwas sage.

Der Ethiker Klaus Peter Rippe attestiert Küng ausgezeichnete Kontakte zur Öffentlichkeit und enormen Einfluss. Küng habe den Publicity-Effekt nach seinem Streit mit dem Vatikan geschickt ausgenutzt.

“Das Projekt Weltethos ist zwar politisch sehr relevant, für Ethiker aber langweilig”, meint Rippe, der die Eidgenössische Ethikkommission für Gentechnik im ausserhumanen Bereich präsidiert. “Die Art wie Küng Ethik betreibt, hat etwas sehr Ungefährliches. Er tut niemandem weh, Ethik muss manchmal aber wehtun.”

Strategisches Denken

Mit der Gründung von Organisationen und Instituten wie der Stiftung Weltethos zeigt der Theologe organisatorisches Geschick und verschafft sich und seinen Ideen eine solide Plattform.

“Küng hat sowohl die Fähigkeit, verständlich zu schreiben, als auch die Begabung, effiziente kirchen- und religionspolitische Strategien zu entwickeln und umzusetzen”, erklärt der Kapuziner Wiederkehr.

Bei Küng spüre man die Lust an der operativen Umsetzung. Dies unterscheide ihn von deutschen Theologen, die in organisatorischen Angelegenheiten furchtbar kompliziert seien. “Küng könnte durchaus ein schweizerischer Parteipräsident sein.”

Warten auf den nächsten Papst

Er sei froh, dass er durch seine Schweizer Herkunft einen Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit bekommen habe, sagt Küng. “Und einen pragmatischen Sinn, der versucht, auch hohe Dinge der Theologie so auszudrücken, dass sie auch vom Volk verstanden werden.”

Als nächstes will Küng sein grosses Buch über den Islam fertig stellen. Erst dann will er den zweiten Band seiner Memoiren schreiben, der seinen Streit mit dem Vatikan behandelt. Hier spielt Küng auf Zeit.

Bis dann könnte es nämlich doch noch zu einer Aussöhnung mit dem Vatikan kommen. Küng skizziert gegenüber swissinfo zwei Möglichkeiten: Entweder man diskutiere ernsthaft die von ihm aufgegriffenen Fragen oder man versuche eine pragmatische Einigung indem man die Differenzen angesichts der ernsten Zeiten ausklammere und Küng als katholischen Theologen anerkenne. “Wenn das der jetzige Papst nicht tut, so vielleicht der nächste.”

swissinfo, Hansjörg Bolliger

Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Kanton Luzern, studierte an der Päpstlichen Universität in Rom Philosophie und Theologie, nahm als Experte am Zweiten Vatikanischen Konzil teil, ist katholischer Priester und Professor emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Präsident der Stiftung Weltethos.

Ihm wurde 1979 – wegen kritischer Äusserungen – vom Papst die kirchliche Lehrbefugnis entzogen.

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