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Ex-Olympiateilnehmerin erinnert sich an München

Margrit Meier ist für Schweizer Athleten in Vancouver die erste Adresse für all ihre Wünsche. swissinfo.ch

Wenn Olympionikin Margrit Meier einen Wunsch frei hätte für die Teams, die nach Vancouver gereist sind, wäre es der, dass sie mit anderen Erinnerungen heimkehren können, als sie selbst damals. Die Olympiade in München 1972 wurde vom Terror überschattet.

Meier hat während der letzten zwei Jahre hinter den Kulissen in Kanada als “Attachée Swiss Olympic Team 2010” gearbeitet.

Mit ihrem Wissen über die Stadt und die Olympischen Spiele sort sie dafür, dass sich die Schweizer Delegation in Vancouver wohlfühlt.

“Ich bin grundsätzlich für die kleinen Dinge verantwortlich, die auftauchen – Hotelzimmer für VIPs finden, Luftbefeuchter für die Athletinnen und Athleten besorgen, mit ihnen zu Ikea gehen. Wenn jemand eine SIM-Karte braucht, weiss ich, wo es die gibt.”

Meier ist in Zürich geboren und kam 1971 nach Kanada, um Englisch zu lernen und zu trainieren. Geplant war ein Aufenthalt von einem Jahr, doch vier Jahrzehnte später ist Vancouver immer noch ihr Daheim.

“Es ist so freundlich und schön hier mit den Bergen und dem Meer”, erklärt sie in fast perfektem Englisch. “Auch das Skifahren ist fantastisch. Es hält dem Vergleich mit Europa stand.”

Hingabe

Meiers eigener Olympia-Traum begann mit 18, als sie den attraktiven und talentierten Läufer Max kennenlernte, einen Zürcher Bankier, der später ihr Ehemann werden sollte.

“Ich war unter den Männern nicht so talentiert wie sie unter den Frauen”, sagt Max Meier. “Nach nur eineinhalb Jahren Training wurde sie 1966 Schweizermeisterin im 800-Meter-Lauf. Ich konzentrierte mich darauf, ihr Trainer zu werden.”

Das junge Paar wollte eigentlich das Abenteuer in der Ferne mit Englisch und Training in New York verbinden. Stattdessen landeten sie in Kanada, vorerst in Montreal, dann in Vancouver, wo das Wetter ein reguläres Wintertraining erlaubt.

“Man konnte damals nicht Vollzeit-Athletin sein”, sagt Margrit Meier. “Mein Sponsoring bestand aus zwei Paar Adidas-Turnschuhen und ab und zu einem Trainingsanzug. Ich rannte am Morgen vor der Arbeit und am Abend nach der Arbeit.”

Ihre Zeiten wurden immer besser – 11 Schweizer Rekorde insgesamt konnte sie verbuchen. Die grösste Belohnung für die Leichtathletin aber war, dass sie sich für die Sommerspiele 1972 in München qualifizieren konnte.

“Es war das erste Mal, dass die Frauen ein Rennen über 1500 Meter bestreiten durften”, erklärt Max Meier. “Das galt damals für Frauen als Langstrecke. Heute rennen sie natürlich Marathons.” Seine Frau ergänzt: “Als ich mich qualifizierte, war das unglaublich.”

Stimmung kippte

Für Meier, geboren als Margrit Hess, bleibt die Teilnahme an der Eröffnungszeremonie unvergessen. Ihr Rennen fand in der zweiten Woche der Spiele statt. Sie rannte ihre zweitbeste Zeit überhaupt, doch das reichte nicht, um sich für die zweite Runde zu qualifizieren. Doping sei damals allgegenwärtig gewesen, sagt sie.

Das Schweizer Team holte lediglich dreimal Silber. Trotz der glanzlosen Bilanz aber hatte Meier Grund genug, um mit Max feiern zu gehen. Als sie ins Olympische Dorf zurückkehrten, hatten Soldaten mit Maschinenpistolen die Gegend abgeriegelt.

“Wir wussten zuerst nicht, was los war”, erzählt sie. “Dann fanden wir heraus, dass die Israelis als Geiseln genommen worden waren. Meine Zimmerkameradin und ich wollten einen Schrank gegen die Tür stellen.”

Die Geschichte wurde in zahlreichen Büchern und Filmen wiedererzählt: Die militante palästinensische Terrorgruppe Schwarzer September hatte die Wohnung des israelischen Teams gestürmt, einige Ringer sofort erschossen und die weiteren Athleten und Betreuer als Geiseln genommen. 21 Stunden später waren alle 11 Israelis, ein deutscher Polizeioffizier und fünf Terroristen tot.

“Die ganze Olympia-Erfahrung war unglaublich schön gewesen, bis zur Nacht der Attacke”, erinnert sich Meier. “München war so friedlich und locker gewesen. Nach dem Terroranschlag änderte sich die Stimmung schlagartig.”

Rot-Weiss

Auch die Sicherheit bei Olympischen Spielen änderte sich stark.

In Vancouver waren viele der Veranstaltungsorte bereits Wochen vor den Spielen nicht mehr zugänglich, sogar für Meier.

Die Zeit meinte es gut mit den Meiers. Sie leben in der Innenstadt und kümmern sich hauptsächlich um die Verwaltung ihrer Investitionen. Margrit, heute in ihren Sechzigern, trägt eine weisse Igelfrisur und trainiert immer noch ihre Beine.

Bei der Frage, wen sie bei den Winterspielen anfeuern werden, sind die Beiden geteilter Meinung. Max war während Jahren Direktor des kanadischen Alpin-Teams und unterstützte kürzlich einen kanadischen Abfahrer für das Rennen 2010.

Trotzdem fiebern beide mit den Schweizern mit, besonders mit Didier Cuche, der schon mit dem Ehepaar in ihrem Chalet in Whistler wohnte.

“Wir unterstützen beide Seiten”, sagt Max. “Vielleicht ist Margrit etwas mehr für die Schweizer und ich für die Kanadier.” Und Margrit ergänzt: “Wenigstens starten beide Länder in Rot-Weiss.”

Tim Neville, Vancouver, swissinfo.ch
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

Vancouver ist mit 612’000 Einwohnern die drittgrösste Stadt in Kanada.

Mit zehntausenden Hotelbetten, einer soliden Infrastruktur und zahlreichen grossen, schon bestehenden Sportplätzen musste die Region nicht viele neue Anlagen bauen, um die Olympischen Winterspiele durchzuführen.

Die Stadt liegt an einem Hafen an der Strasse von Georgia , einer rund 240 Kilometer und 25 bis 30 Kilometer breiten Wasserstrasse, am Fuss einer Hügelkette, 45 Kilometer von den USA entfernt.

Benannt ist die Stadt nach dem britischen Kapitän George Vancouver, der die Region Ende des 18. Jahrhunderts erforschte.

Die Stadt entstand in den 1860er-Jahren während des Fraser-Canyon-Goldrauschs. Nach der Eröffnung der transkontinentalen Eisenbahn im Jahr 1887 entwickelte sie sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einer kleinen Sägewerksiedlung zu einer Metropole.

Die Wirtschaft basierte zu Beginn auf der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen von British Columbia: Forstwirtschaft, Bergbau, Fischerei und Landwirtschaft.

Nach der Eröffnung des Panamakanals erlangte der Hafen Vancouver internationale Bedeutung. Er ist heute der grösste in Kanada und exportiert mehr Güter als jeder andere Hafen in Nordamerika.

Vancouver liegt in der kanadischen Provinz British Columbia (BC) an der Westküste des Landes. Der Name der Provinz stammt vom Fluss Columbia, Hauptstadt ist Victoria.

Mit einer Fläche von 944’735 km² ist BC nach Québec und Ontario die drittgrösste Provinz. Bei der Volkszählung 2006 wurden 4’113’487 Einwohner gezählt, 13% der Bevölkerung Kanadas.

Die grosse Mehrheit der Bevölkerung ist europäischer Abstammung, im Südwesten leben ausserdem rund eine halbe Million Chinesen.
Quelle: Wikipedia

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