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Fasnachtszeit – Narrenzeit

Sergius Golowin, Volkskundler und Mythenforscher swissinfo.ch

Närrisches Treiben ist vor allem in katholischen Gegenden - in der Innerschweiz, im Wallis und im Tessin - hoch im Kurs. Die wohl berühmteste Fasnacht geht jedoch jedes Jahr in Basel über die Bühne. Für Volkskundler Sergius Golowin ist die Fasnacht der "künstliche Sommer im Winter".

Für “eingefleischte” Fasnächtler findet die Fasnacht nicht statt, sondern sie bricht aus. Zeit und Raum treten in den Hintergrund, die Alltagssorgen gehen in lustvollem Narrentreiben unter. Die Fasnacht ist eine Zeit, in der die gewohnte Ordnung ausser Kraft gesetzt wird. Wenige der aktiven Fasnächtlerinnen und Fasnächtler kümmert es, was es mit den Volksbräuchen auf sich hat.

“Die Fasnacht ist im Grunde genommen, mit all ihren Masken und Farben, der künsliche Frühling, der künstliche Sommer im Winter”, sagt der Schweizer Schriftsteller und Volkskundler Sergius Golowin.

Archaisch, heidnisch, griechisch, römisch, germanisch oder christlich?

Schon beim Ursprung der Fasnacht sind sich Volkskundler nicht einig: Als veraltet aber nicht widerlegt gilt, dass die Fasnacht auf einen heidnisch-germanischen Brauch oder die römischen Saturnalien oder ähnliche Feste zurückgeht. Wahrscheinlicher ist, dass die Entwicklung des Fasnacht-Brauchtums eng mit der christlichen Kirche verbunden ist. Tatsächlich stammen die ältesten bekannten Belege zur Fasnacht aus dem kirchlichen und klösterlichen Leben.

Fasten, faseln, Fass

Die einen Brauchtums-Forscher leiten Fasnacht von faseln ab, was so viel heisst wie dummes Zeug reden. Andere sehen einen Zusammenhang mit “Fass”. Immerhin hiessen die fidelen Tage in Kalendern des 16. Jahrhunderts “Fassnacht”. Am Naheliegendsten ist aber, dass Fasnacht von Fastnacht kommt, der Nacht vor der Fastenzeit. So könnten die Fasnachtsbräuche als Ventil vor der entbehrungsreichen Fastenzeit interpretiert werden.

Über Jahrhunderte verboten

Im 15. Jahrhundert versuchte die Obrigkeit, den Maskenlauf des “gemeinen” Volks aus Angst vor dem subversiven Charakter der Fasnacht zu zügeln. Die Reformatoren verboten dann die Fasnacht, und auch die katholische Kirche gab im Zuge der Gegenreformation ihre Billigung der Fasnacht auf. Die Verbote lockerten sich erst im 18. Jahrhundert.

Basel und Luzern

Im 20. Jahrhundert hat sich die Strassenfasnacht etabliert. Basel perfektionierte seine Trommler- und Pfeifenszene mit den Schnitzelbänken. Luzern wurde nach dem 2. Weltkrieg zum Mekka der Guggenmusik. Bekannt sind auch die Lötschentaler “Tschäggäta” und der von Mailand inspirierte Carnevale in Bellinzona. Die Fasnachts-Tradition in Bern ist aufgrund reformatorischer Verbote noch jung: Erst 1982 wurde sie wieder ins Leben gerufen.

Unterschiedliche Bräuche – gemeinsamer Nenner

Die Fasnachtsbräuche in der Schweiz weisen eine grosse Vielfalt auf. Eine Gemeinsamkeit lässt sich aber ausmachen: Lärmorgien und Konfettiregen, lustvoller Rollentausch mit Masken und Verkleidung, allerhand Narretei sowie Essen und Trinken prägen die Narrenzeit allerorts.

“Der Mensch braucht Bräuche”

Der Schriftsteller und Volkskundler Sergius Golowin ist überzeugt: “Unser Brauchtum ist ein Vulkan unseres Geistes, unserer Seele, unserer schöpferischen Kräfte. Bräuche sind der Ursprung der Kunst, der Kultur, der Kreativität.”

Gaby Ochsenbein

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