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Nicht mehr sehr katholische Christlichdemokraten

Es scheint, als ob die Kirche für die Christlichdemokraten an Heiligkeit verloren hätte.

Innert weniger Tage haben sich drei Exponenten der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) ziemlich kritisch gegenüber der katholischen Kirche geäussert.

Ist das nun Wahlkampf-Opportunismus oder zeigt sich hier der klare Wille, dass sich die CVP nicht auf die rigorosen Positionen des Vatikans ausrichten will?

“Ich sehe keine objektive Begründung für den Zölibat und das Verbot der Frauenordination.” Solche Worte vermutet man eher von Gegnern der Kirche als aus dem Mund des Präsidenten der CVP.

In der NZZ am Sonntag vom 1. April geht Christophe Darbellay sogar noch weiter. “Wenn man diese Argumentation aber zu Ende denkt, dann müsste man ja auch weitere in der Politik oder in ihrem Beruf engagierte Leute zur Ehelosigkeit verpflichten, damit sie sich besser auf ihre Aufgabe konzentrieren können.”

Auch wenn er erklärt, er äussere dies “ganz privat als Christ und Mensch, nicht als Parteipräsident”, ist Darbellay nicht der erste CVP-Exponent, der gewisse Grundsätze der katholischen Kirche offen kritisiert.

“Ohne das Zölibat wäre ich Priester”

Schon eine Woche früher hat der scheidende Ständerat Carlo Schmid, auch in der NZZ am Sonntag, gegen den Zölibat geschossen, gegen das Verbot der Priesterweihe von Frauen und gegen das Verbot, dass sich Geschiedene religiös wiederverheiraten dürften.

Schmid, welcher die CVP von 1992 bis 1994 präsidierte, wagte einen Blick in die Zukunft und prophezeite, der Katholizismus in der Schweiz werde sich binnen einer Generation erledigt haben, weil es keine Priester mehr gebe.

Ins selbe Horn stösst auch der Waadtländer Kantons- und Altnationalrat Charles Neirynck, der sonst gerne seinen katholischen Glauben hochhält. Der emeritierte ETH-Professor erklärte in einem Interview mit der Monatszeitschrift der waadtländischen protestantischen Kirche, der Zölibat sei ein Fehler. Aus diesem Grund sei er Wissenschafter und nicht Priester geworden.

Der frisch ins Waadtländer Kantonsparlament Gewählte will dort einen Antrag einbringen, um die Finanzen der katholischen Kirche zu beschneiden, weil er deren Geschlechterdiskriminierung anprangert.

“Wenn wir schon überall gegen Diskriminierung kämpfen, dürfen wir diese Einstellung nicht mehr tolerieren”, erklärt Neirynck.

Persönliche Ansichten?

Welcher Teufel hat also diese CVP-Schwergewichte geritten? “Es liegt nicht an mir, über die Ansichten anderer zu entscheiden. Es handelt sich dabei um ihre persönlichen Ansichten. Auf den Gebieten, die direkt mit der Kirche in Zusammenhang stehen, kann man nicht im Namen der Partei sprechen”, erklärt CVP-Vizepräsident Dominique de Buman.

Und er fügt hinzu, dass diese Äusserungen eventuell mit einer der letzten Verlautbarungen aus dem Vatikan zusammenhängen. In seiner apostolischen Mahnung bestätigte Papst Benedikt der XVI. erneut seine tiefkonservative Position.

“Wir befinden uns in einem Wahljahr”, erinnert Andreas Ladner, Professor am IDHEAP, dem Hochschulinstitut für Öffentliche Verwaltung in Lausanne. Die CVP, deren Wählerschaft mehrheitlich katholisch sei, müsse unbedingt weitere Kreise gewinnen.”

“Sie hat in letzter Zeit oft Positionen verteidigt, die nicht auf der Linie der katholischen Kirche sind”, fügt der Soziologe hinzu. Er denkt dabei an die Verschärfung des Asylrechts oder die sonntäglichen Ladenöffnungszeiten.

Erklärung gegen Innen

Damals hatte sich die Partei eine offene Kritik der Schweizerischen Bischofskonferenz eingehandelt. Deshalb macht man diesmal entsprechende Äusserungen im eher privaten Rahmen.

“Wie haben beschlossen, die Äusserungen dieser drei Persönlichkeiten nicht zu kommentieren. Wir wollen von nun an solche Fragen direkt mit der CVP klären”, erklärt Bischofskonferenz-Sprecher Walter Müller.

“Wir hatten vor sechs Monaten ein Treffen mit den Bischöfen, vor allem um die Positionen zu definieren”, erinnert sich Dominique de Buman, welcher zu den Initianten der Zusammenkunft gehört. “Wir haben den Kontakt zur Diskussion von Themen mit moralischer Konnotation verwendet, wo das Konzept der Politik notgedrungen nicht dasselbe wie das der Religion sein kann.”

Die Bischöfe pflegen auch Kontakt zu den anderen Parteien, denn “die Kirche gehört zur Gesellschaft”, wie Walter Müller sagt. Fragen, den Zölibat oder die Priesterweihe von Frauen betreffend, werden jedoch nicht auf schweizerischer Ebene diskutiert. “Sie werden von der universellen Kirche aufgenommen.”

Konfessionslos

Formell ist die CVP keine katholische Partei mehr. Ihre Grundsätze lassen sich von “einer christlichen Konzeption der Person und der Gesellschaft” leiten, ohne speziell einer Konfession verbunden zu sein.

Im Jahr 2004 fand eine ausgedehnte Debatte darüber statt, ob das “C” noch in den Parteinamen gehöre.

“Es ist schliesslich gestärkt daraus hervor gegangen”, erinnert sich Dominique de Buman. “Denn dieses ‘C’ ist ein Hinweis auf einige moralische Werte, mit denen sich auch Nicht-Christen identifizieren können.”

Die Anstrengungen der CVP, Wähler in den grossen Kantonen und in den grossen – mehrheitlich protestantischen – Städten dazu zu gewinnen, “werden im Moment von keinem grossen Erfolg gekrönt sein”, ist Andreas Ladner überzeugt.

swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)

Die Katholisch-Konservative Partei wird im 19. Jahrhundert in den Kantonen als das politische Organ katholischen Kreise der Schweiz gegründet.

1891 erhält sie einen Sitz in der Landesregierung. Damit wird die Formel “7 Freisinnige” geknackt, die seit 1848, der Entstehung der modernen Schweiz, bestand.

1912 wird die nationale Partei unter dem Namen Schweizerische Konservative Volkspartei gegründet. 1919 erhält sie einen weiteren Bundesrats-Sitz.

1957 tauft sie sich in Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei um.

Seit 1970 führt sie ihren heutigen Namen Christlichdemokratische Volkspartei (CVP).

Nach einer langen Periode der Stabilität (rund 20% der Wählerschaft von 1919 bis 1987), setzt gegen Ende der 1980er-Jahre ein Erosionsprozess ein, vor allem zugunsten der am rechten Flügel der Parteienlandschaft operierenden Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Bei den Wahlen 1999 wird die CVP auf den letzten Rang der an der Regierung beteiligten Parteien verwiesen. 2003 verliert sie weitere Stimmen und fällt auf 14,4%. Konsequenz: Räumung des zweiten Bundesratssitzes zugunsten der erstarkten SVP.

Heute, wie in den meisten europäischen Ländern, ist die CVP Schweiz nicht mehr der politische Arm der katholischen Kirche, selbst wenn ihre Wählerschaft mehrheitlich katholisch ist. In den Parlamenten und Regierungen der Kantone mit einer katholischen Mehrheit repräsentiert sie sich jedoch immer noch als wichtige politische Kraft.

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