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“Zweifache Eigenheit”

Der Alltag in der Schweiz mit Augenzwinkern. Keystone

Der Schweizerische SchriftstellerInnen-Verband SSV hat eine Anthologie über neuere jüdische Literatur in der Schweiz herausgegeben.

“Zweifache Eigenheit” steht im Zusammenhang mit der Aufarbeitung eines düsteren Stücks Verbandsgeschichte, das 1997 in der Schweiz Schlagzeilen machte: Im Zweiten Weltkrieg sorgte der SSV mit negativen Gutachten dafür, dass viele Asylgesuche von jüdischen Autorinnen und Autoren abgelehnt und manche von ihnen in den Tod geschickt wurden.

Gegenwart wichtiger als Vergangenheit

Seither hat der SSV kontinuierlich an der Bewältigung seiner historischen Rolle weitergearbeitet. Als Teil dieses Prozesses war ursprünglich eine Anthologie geplant mit Texten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die aufgrund der Intervention des SSV dem Faschismus ausgeliefert worden waren.

Schliesslich hielt es die Leitung aber für dringlicher, “einen sehr lebendigen, farbenprächtigen und dennoch oft vernachlässigten Bereich der aktuellen Schweizer Literatur in den Vordergrund zu stellen” – auch “um noch immer bestehende Grenzen überbrücken zu helfen”.

Vergangenheit ohne Zeigefinger

Das “typisch” Jüdische an manchen der Textausschnitte ist historischer Art: In Daniel Ganzfrieds preisgekröntem Roman “Der Absender” glaubt zum Beispiel ein Mitarbeiter des New Yorker “Oral-History- Archivs”, in einem Tonbandbericht über das Leben im KZ die Stimme des Vaters zu erkennen.

In “Eljascha” erzählt Yvonne Léger von einer Schweizerin jüdischen Glaubens, die durch ihre Heirat mit einem Deutschen bei der Heimkehr zum illegalen Grenzübertritt genötigt wird. “Der Schneider” von Marta Rubinstein handelt von einem Mann, der Pogrom und KZ überlebt, Frau und Kinder verliert, aber nicht ohne seine alte Nähmaschine nach Palästina auswandern will.

Gegenwart mit Humor

Mehrere Texte befassen sich mit modernem jüdischen Leben in der Schweiz. Krassen Antisemitismus präsentiert indes nur Shelley Kästner in ihrem bekannten Theaterstück “Antisemitismus oder die Lust, gemein zu sein”, einem Sammelsurium von stammtisch- und leserbriefartigen Zeugnissen schweizerischer Judenfeindlichkeit.

Im allgemeinen aber wird der jüdische Alltag in der Schweiz mit Augenzwinkern erzählt. Regine Mehmann Schafers “Trefe und Kascher” handelt von einer jüdischen Hausfrau, deren katholische Schwiegerfamilie ihr Gastmahl boykottiert und sich mit Mitgebrachtem verköstigt.

Ein kleiner Leckerbissen ist der Drehbuchauszug aus Stina Werenfels’ “Pastry, Pain & Politics”: Während eines Schweiz-Urlaubs muss der US-Amerikaner Weintraub hospitalisiert werden. In der Klinik weigert er sich, eine palästinensische Krankenschwester zu akzeptieren. Die Situation entspannt sich, als die Palästinenserin Weintraubs Frau auf einem irrwitzigen Ausflug von ihrem Deutschland- Trauma erlöst.

swissinfo und Agenturen

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