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Auf der Suche nach umweltbewussten Europäern

Wie ökologisch sich jemand verhält, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Keystone

Der Psychologe Florian Kaiser erforscht, wie Umwelt-Bewusstsein in der Bevölkerung nachhaltig gefördert werden kann. Dazu hat der Schweizer Professor an der Uni Magdeburg unter anderem das Umweltverhalten von Schweizern und Spaniern verglichen.

Spanier essen mehr Obst und Gemüse aus dem eigenen Land und bilden häufiger Fahrgemeinschaften als Schweizer.

Dafür sind die Eidgenossen unschlagbar in Sachen Recycling, benutzen öfters aufladbare Batterien und unterstützen in stärkerem Mass Umweltorganisationen als die Iberer.

Besitzen nun die Spanier oder Schweizer ein höher ausgeprägtes Umweltbewusstsein?

Florian Kaiser lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Der Professor für Umweltpsychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg untersucht länderspezifische Defizite im Umweltverhalten und hat dazu spanische und Schweizer Studenten befragt. Auf diese Frage scheint er geradezu gewartet zu haben.

“Wie ökologisch sich jemand verhält, hängt nicht nur vom Umweltbewusstsein ab, sondern auch von den politischen und kulturellen Rahmenbedingungen des Landes”, sagt der gebürtige Schweizer.

“Und diese Bedingungen unterscheiden sich innerhalb Europas ganz wesentlich.” So besitzt die Schweiz ein bestens organisiertes Recyclingsystem. Entsprechend einfach ist es, seine alten Flaschen und Blechdosen umweltgerecht zu entsorgen.

In Spanien dagegen existiert kein flächendeckendes Mülltrennungs-System, was es erschwert, sich in diesem Punkt umweltbewusst zu verhalten. “Ein Spanier, der seinen Müll trennt, zeigt also im Grunde genommen ein höheres Umweltbewusstsein als ein Schweizer, da er einen grösseren Aufwand auf sich nimmt”, sagt Kaiser.

Wäschetrockner und Ampelphasen

Für den Psychologen liefern die Landesstrukturen den Schlüssel für das Verständnis individuellen Umweltverhaltens. Kaiser nennt ein weiteres Beispiel für diese These: In Holland würden Wäschetrockner exzessiv genutzt – aus dem einfachen Grund, weil die Häuser klein seien und deshalb Trockenräume fehlten.

“Da wird jeder Quadratmeter als Wohnraum benötigt”, weiss der Schweizer, der acht Jahre an der Technischen Universität im niederländischen Eindhoven gelehrt hat. In dieser Zeit beobachtete Kaiser ein weiteres länderspezifisches Defizit im Umweltverhalten der Holländer.

“In der Schweiz und in Deutschland stellen viele Autofahrer den Motor bei Rotlicht aus. In den Niederlanden macht das wegen der fehlenden Gelbphase kaum jemand.”

Der Umweltpsychologe schlug der Eindhovener Stadtverwaltung vor, eine Gelbphase einzuführen und Hinweisschilder an die Strasse zu stellen, dass der Motor vom vierten Auto an abgestellt werden sollte. “Die Stadtverwaltung zeigte zwar Interesse, doch umgesetzt hat sie die Anregung leider nicht.”

Sackgebühr und Solaranlagen

Heutzutage werde das Umweltverhalten in der Bevölkerung zu einem grossen Teil über Bestrafungs- und Belohnungsanreize gesteuert, so Kaiser. Ein Beispiel hierfür ist die Sackgebühr in der Schweiz, die zu einer erheblichen Reduktion der Abfallmenge aus Privathaushalten geführt hat. In Deutschland wiederum kam es in den vergangenen Jahren zu einem wahren Boom von privaten Solaranlagen, da Eigenheimbesitzer mit Fördergeldern rechnen können.

Der Psychologe Kaiser steht solchen finanziellen Anreizen indes skeptisch gegenüber. “Das funktioniert nämlich nur, solange der Anreiz besteht. Fallen Gebühren oder Zuschüsse weg, kehren Menschen zu ihrem ursprünglichen Verhalten zurück”, macht er klar.

Um ökologisch sinnvolles Verhalten in der Bevölkerung nachhaltig zu verankern, sollten Politiker stattdessen auf massgeschneiderte Motivationskampagnen und Interventionsprogramme setzen.

In einem ersten Schritt müsste man dafür Gemeinden, Stadtteile und Nachbarschaften mit schlecht entwickeltem Umweltbewusstsein aufspüren, erklärt Kaiser. Auf diese so genannten “Umweltbewusstseins-Senken” könne man dann mittels sozialem Druck einwirken:

“Die Bewohner der Senke werden durch Plakate oder Handzettel mit dem umweltschonenderen Verhalten der übrigen Stadtbewohner konfrontiert. Dadurch sehen sie, was die Mehrheit bereits tut und was sie auch tun könnten.” Kaiser will solche psychologischen Methoden nun anhand einer grösseren Erhebung auf ihre Praxistauglichkeit testen.

Im Bundesland Sachsen-Anhalt sollen demnächst rund 4000 Menschen nach ihrem Umweltverhalten befragt werden, um so Senken zu lokalisieren. “Sobald diese definiert sind, wollen wir gezielt Motivationskampagnen entwickeln.”

Paola Carega, Magdeburg, swissinfo.ch

Die Umweltpsychologie ist eine relativ junge Teildisziplin der Psychologie.

Sie untersucht die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt, wobei unter anderem Fragestellungen zur Globalisierung und nachhaltigen Entwicklung zu den Arbeitsgebieten eines Umweltpsychologen gehören.

In Deutschland kann man an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg den Master of Science in Psychologie mit dem Schwerpunkt “Umweltpsychologie” erwerben.

Weiter ist die Umweltpsychologie auch an der Uni Hamburg, Ruhr Uni Bochum und an der Fern-Uni Hagen in Lehre und Forschung vertreten.

In der Schweiz ist es die Abteilung Umweltwissenschaften an der ETH Zürich, die im Bereich der Hochschulen das interdisziplinäre Feld der Umweltforschung abdeckt.

Weiter gibt es die Initiative Psychologie im Umweltschutz IPU Schweiz, ein internationales Netzwerk von Studierenden und Berufstätigen zur Förderung von Umweltschutz und Nachhaltigkeit mit den Mitteln der Psychologie.

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