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Katastrophe bringt Unterversicherung ans Licht

Strassenverkäufer in Jakarta: Er ist einer der Wenigen, deren Hab und Gut durch eine Mikro-Versicherung versichert ist. Reuters

Der Wiederaufbau auf den Philippinen, wo ganze Städte durch den Taifun Haiyan zerstört worden sind, wird nach der Nothilfe die nächste grosse Herausforderung sein. Erschwerend kommt der Mangel an finanziellen Mitteln dazu, der auch auf fehlende Versicherungen zurückzuführen ist.

“Die Situation ist wirklich apokalyptisch. Fast jedes Haus ist zusammengestürzt, das ganze Quartier war überflutet, das Wasser stieg in der Stadt bis auf eine Höhe von zwei bis drei Metern”, sagt Yann Libessart, Mitglied des Notfallteams von Ärzte ohne Grenzen in der zerstörten Stadt Tacloban gegenüber swissinfo.ch.

Die internationale Hilfe spielt eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau. Einige grosse Versicherungsgesellschaften plädieren derweil für eine Art Mikro-Versicherungssysteme, die speziell für Menschen mit einem bescheidenen Einkommen entwickelt wurden und bei Naturkatastrophen für die Schäden aufkommen müssten.

Auf den Philippinen machen die Prämien der Nichtlebens-Versicherungen laut dem Rückversicherer Swiss Re weniger als 0,49% des Bruttoinlandprodukts aus. Das ist weniger als der asiatische Durschnitt, der laut Clarence Wong, dem Swiss Re-Chefökonomen für Asien, 1,64% beträgt.

Geringe Nachfrage

“Wir nehmen an, dass sich die meisten versicherten Objekte in den städtischen Ballungsgebieten befinden. Frühere Taifune haben lediglich zu einer bescheidenen Zahl von gedeckten Schadensummen geführt”, sagt Wong gegenüber swissinfo.ch.

Mangelnde Akzeptanz von Versicherungen bei Klein-Verdienern in Entwicklungsländern ist ein Forschungsthema am Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen. Das Institut hat auch die Gründe für die extrem tiefe Versicherungsdeckung auf den Philippinen untersucht.

“Aus theoretischer Sicht würden Sie sich vorstellen, dass die Nachfrage sehr hoch sein sollte, aber in der Realität ist die Nachfrage relativ gering”, sagt Martin Eling, Professor für Versicherungs-Management , gegenüber swissinfo.ch.

Problem: Prämien

Mit Hilfe von Nicht-Regierungs- Organisationen werden in verschiedenen Ländern Mikro-Versicherungen eingeführt. Dies mit dem Ziel, ob ein alternatives Modell in der Praxis funktionieren kann.

“Mehr und mehr Regierungen wollen den Schutz für die Menschen, die von diesen Stürmen betroffen sind, verbessern. Regierungen oder NGO schlagen Versicherungslösungen für Menschen vor, die am unteren Ende der Pyramide leben”, sagt Reto Schnarwiler von Swiss Re.

Mikro-Versicherungen haben laut Eling je nach Situation unterschiedlichen Erfolg. “Natürlich müssen die Leute imstande sein, die Prämien zu bezahlen. Die Bauern, mit denen wir unser Experiment durchgeführt haben, konnten die Prämien lediglich für einige Monate bezahlen.”

Regierungen überfordert

Eine Herausforderung besteht auch darin, selbstfinanzierende Systeme zu entwickeln. “Die meisten Mikro-Versicherungen auf dem Markt müssen subventioniert werden”, sagt Eling. “Das führt natürlich nicht zu einer nachhaltigen Situation.”

Schnarwiler sieht das Problem der Deckung der Kosten nach einer Naturkatastrophe aus einer anderen Perspektive. Er verweist auf die hohen Kosten, welche die Regierungen nach einer Katastrophe zu tragen haben. “Sie können auf die internationale Hilfe zählen, auf den Kapitalmärkten Geld aufnehmen. Sie können auch versuchen, das Budget neu zu ordnen, aber in der Regel sind sie mit all dem überfordert.”

Laut Schnarwiler wäre es eine bessere Lösung, den Regierungen zu helfen, damit sie zusammen mit den NGO auf eine grössere Versicherungsabdeckung hinarbeiten könnten.

Der Taifun suchte die Philippinen am 8. November heim. Er erreichte Windstärken von 235 Stundenkilometern mit Spitzen bis zu 320  Stundenkilometern.

Der Taifun hat vermutlich Schäden in Milliardenhöhe angerichtet. Der Versicherungsdienstleister Air Worldwide geht davon aus, dass sie zwischen 6,5 und 14,5 Milliarden US-Dollar liegen.

Allerdings sind die meisten Häuser, Autos und Boote auf den Philippinen nicht versichert gewesen.

Weiterhin ist unklar, wie viele Menschen bei dem Taifun ums Leben kamen. Mehr als 4000 Tote wurden bislang offiziell geborgen, 1600 Menschen gelten als vermisst.

Klumpenrisiko Grösse

Die Studie der Universität St. Gallen hat mehrere Probleme mit Mikroversicherungen aufgezeigt, aber letztlich glaubt Eling an das Potential des Modells, wenn es mit Faktoren wie Bildung und  finanzieller Allgemeinbildung kombiniert wird. Denn damit würde das Vertrauen der Menschen in die Idee grösser werden.

“Viele der Institutionen, die in diesem Bereich aktiv sind, sind sehr klein und die meisten sind nur in einem geographisch sehr kleinen Bereich aktiv. Das führt zu unterschiedlichen Prämienmodellen. Dazu kommt, dass sie nicht wirklich die Grösse haben, um effizient zu sein und dass das kumulative Risiko sehr hoch ist.”

Eine bessere Regulierung der Versicherungen und gründliche Erhebungen von Daten über Versicherungsmärkte und Katastrophen würden laut Eling zu einer besseren Risikoabschätzung beitragen. International aufgestellte Versicherungsunternehmen könnten auch weiter helfen.

Glückskette ist aktiv

Auf den Philippinen hat der Wiederaufbau zurzeit nicht erste Priorität. Diese gilt der Unterkunfts-Bereitstellung der Hunderttausenden von Vertriebenen und der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung, Wasser und medizinischer Hilfe.

Doch auch wenn die Zeit gekommen ist, Häuser und Infrastrukturen wieder aufzubauen, wird der internationalen Hilfe eine zentrale Rolle zukommen. Für die Glückskette der SRG SSR nimmt der Wiederaufbau nach solchen Katastrophen bis zu 70% der gesammelten Spendengelder in Anspruch.

“Das sind Projekte, die mehrere Jahre dauern. Es geht um den Wiederaufbau von Häusern und Infrastrukturen, um Massnahmen, die Einkommen schaffen. Es ist ein ganzheitlicher Ansatz, der der Bevölkerung wieder ein Alltagsleben ermöglicht”, sagt Daniela Toupane, Mediensprecherin der Glückskette gegenüber swissinfo.ch.

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