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Hauswirtschaft ade, Computerskills ahoi

Kochen in der Schule fördert bei jungen Menschen ein Bewusstsein für Lebensqualität. Keystone

Handarbeit und Hauswirtschaft, zwei traditionelle Schulfächer, fallen zunehmend dem Sparhammer zum Opfer. Eine verhängnisvolle Entwicklung, wie Fachleute warnen.

Was so gespart werde, müsse morgen in Form von Gesundheits- und Therapiekosten um ein Mehrfaches bezahlt werden.

Bislang konnte man nur vermuten, jetzt ist es Gewissheit: Die Kantone reduzieren aus Spargründen das traditionelle Schulfach Handarbeit. Der Hauswirtschaft geht es in einigen Kantonen ganz an den Kragen.

Im Durchschnitt mussten in den vergangenen Jahren eine bis zwei Wochenstunden Handarbeit und Hauswirtschaft auf Stufe Primar- und Sekundarschulen dran glauben. Das ist das Resultat einer Erhebung, die der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) bei den Bildungs-Departementen aller 17 Kantone der Deutschschweiz durchgeführt hat.

“Rüebli-RS” Nein danke – “Husi” Ja!

Noch bis in die 80er-Jahre gab es für alle Schülerinnen die obligatorischen fünfwöchigen Hauswirtschaftskurse, “Rüebli-RS” genannt. Die Frauenbewegung feierte es als grossen Erfolg, als der alte Zopf abgeschnitten, d.h. abgeschafft wurde.

Heute, rund 20 Jahre später, macht sich eine breite Koalition aus Hauswirtschafts-Lehrerinnen und Mittelschul-Lehrern, Gewerkschaften, Bildungspolitikern, Eltern und Bürgern stark für die Beibehaltung dieser – koedukativ genannten – Schulfächer.

Am stärksten formierte sich der Widerstand im Kanton Zürich. Handarbeiten/Werken wird dort auf Primarstufe reduziert, die dreiwöchigen Hauswirtschaftskurse (“Husi”) an den Mittelschulen ganz gestrichen. Die Petition “Ja zur Handarbeit – Nein zum Stundenabbau” wurde innert sechs Wochen von 53’000 Personen unterschrieben.

Die kantonale Initiative “Ja zur Handarbeit/Werken” wurde bereits von rund 10’000 Personen unterzeichnet. Eine Bildung des Kopfes sei ohne Förderung von Herz und Hand nicht möglich, postulierte das Initiativ-Komitee in Anspielung auf den Pädagogen Pestalozzi.

Unterstützung kommt aber auch von Schülerseite selber: “Es kann doch nicht sein, dass ich die schwierigsten Mathe-Aufgaben lösen kann, aber einen Reis kochen kann ich nicht”, klagte eine Mittelschülerin aus dem Kanton Zürich.

Lebens-Management

Früher wies der “Fünfwöcheler” den Schülerinnen den künftigen Platz hinter dem Herd, wie die Gegnerinnen monierten. Hauswirtschaft heute hat mit dem Zementieren der geschlechterspezifischen Rolle der Frauen nichts mehr gemein. Im Fach werden die jungen Menschen zu einer Art “Lebensmanagerinnen und –Manager” ausgebildet.

Hauswirtschaft schaffe ein Bewusstsein für Lebensqualität, Wohlbefinden, die Umweltproblematik und einen schonenden Umgang mit den Ressourcen, so Ursula Frischknecht gegenüber swissinfo. Als Fachlehrerin gehört sie der Kommission Hauswirtschaft im LCH an.

Frischknecht streicht die soziale und volkswirtschaftliche Komponente des Fachs heraus: “Ein grösserer Teil des Sozialproduktes wird schliesslich in den Haushalten verbraucht.”

Prävention im Gesundheitsbereich

Die Innerschweizer Fachlehrerin Marina Casparis formuliert es so: “Die Hauswirtschaft ist vernetzt mit den elementarsten Handlungen und Bedürfnissen der Alltagsgestaltung eines Menschen.”

Hauswirtschaftliche Bildung fördere und unterstütze durch Konsumentenschulung gezielt die Wirtschaft, und durch die Bewältigung von Schul-, Berufs- und Alltagsleben käme sie der Gesellschaft allgemein zu Gut. Schliesslich fördere die Prävention von ernährungsbedingten Folgeerkrankungen wie Essstörungen, Übergewicht und Diabetes die Gesundheit, so Casparis.

Nützliche motorische Fähigkeiten

Sukkurs erhalten die Hauswirtschaftslehrerinnen auch von Nutrinet, einem unabhängigen Netzwerk für Ernährung und Gesundheit. Man könne nicht dicke Kinder und deren Eltern an den Pranger stellen, dabei aber genau diejenigen Fächer kürzen oder abbauen, in denen das Wissen um gesunde Ernährung vermittelt werde.

Schützenhilfe kommt auch von einer eher unerwarteten Seite, nämlich der Hirnforschung. Lernen und Perfektionieren von motorischen Fertigkeiten unterstütze das Lernen in allen Bereichen, so die Erkenntnis. Geschickte und körperbewusste Kinder hätten es auch in den sogenannten Leistungsfächern wie Mathematik und Sprache einfacher.

Umbau der Bildungspolitik

Die Entwicklung ist aber nicht allein Folge der leeren Kantons-Kassen. Die Kürzungen bei der Handarbeit sowie die Streichung der Hauswirtschaft markieren einen Ab- und Umbau in der Schweizer Bildungspolitik: Computerskills und Englisch stehen hoch im Kurs, Hauswirtschaft und Werken, die keine Wissenschaften hinter sich haben, stehen auf der Abschussliste.

Teures Sparen

Heute Sparen, morgen das Mehrfache davon bezahlen: Das die absehbare Folge dieses Trends. “Ein Fehlen dieses Fachbereichs in einer umfassenden Bildung könnte ziemlichen Schaden anrichten”, warnt Rita Nüesch vom LCH.

Steigende Gesundheitskosten aufgrund mangelhafter Ernährung sind das eine. Teure Einzelstunden in Ergotherapie zur Förderung des Körperbewusstseins das andere.

In Deutschland hat sich diese Erkenntnis bereits durchgesetzt. Dort sind textiles Gestalten und Werken wieder am Kommen. “Diese Fächer waren in der Schweiz länger unumstritten. In Deutschland dagegen wurde früher gekürzt, und jetzt kommt der Bewusstseinsprozess, dass es so nicht geht, in Deutschland wieder früher”, sagt die Schweizer Philosophin und Sozialethikerin Ina Praetorius.

Bildungspolitisch hat der nördliche Nachbar laut der ehemaligen Deutschen die Nase vorn: “Die Schweiz ist noch an dem Punkt, wo man meint, es sei die Speerspitze der Moderne oder der Postmoderne, wenn man diese Fächer streicht.”

swissinfo, Renat Künzi

Die Lektionen in Handarbeiten und Hauswirtschaft wurden in den letzten Jahren aus Spar-Gründen um zwei Stunden gekürzt.

Kurse in Haus-Wirtschaft werden teils ganz gestrichen, so z. B. in Zürich.

Dies ergab eine Erhebung in allen 17 Kantonen der Deutschschweiz.

Gegen die Kürzungen oder Streichungen bei Handarbeiten und Hauswirtschaft gibt es politische Opposition.

Fach-Lehrerinnen argumentieren, dass die Fächer von grossem gesellschaftlichem Nutzen sind (Konsumentenschutz, Lebens- und Alltags-Management, Gesundheits-Prävention).

Deutschland, wo der Abbau früher als in der Schweiz einsetzte, baut das Angebot in den beiden Fächern wieder aus.

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