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Schaulustige leisten Nationalpark Bärendienst

Der zugewanderte Bär, die neue Attraktion des Nationalparks im Engadin. Keystone

Die Bündner Jagdbehörde will dem Rummel um den Bären ein Ende setzen. Mit Gummischrot soll er aus der Nähe von Menschen vertrieben werden.

Mit der Aktion wollen die Behörden unerfreuliche Begegnungen mit Schaulustigen verhindern.

In den vergangenen Tagen sei der Bär im Schweizerischen Nationalpark öfter in der Nähe der Strasse gesichtet worden. Unvorsichtige Touristen hätten sich ihm immer wieder in unverantwortlicher Weise genähert, begründete das Amt für Jagd und Fischerei Graubünden am Donnerstag seine Absicht. Internationale Bärenspezialisten hätten zu einer so genannten Vergrämungsaktion geraten.

Bei der Munition die dafür verwendet wird, handelt es sich laut dem Bündner Jagdinspektor Georg Brosi um relativ grobes Plastikschrot, ähnlich dem Material, das die Polizei bisweilen gegen Demonstranten verwendet. Eine Vergrämungsaktion hält auch die Umwelt-Organisation WWF für sinnvoll.

Ein untypischer Bär

Die Aktion wurde unter anderem auch deswegen beschlossen, weil der Bär am Ofenpass keine Angst vor Menschen zeigt. Das sei aussergewöhnlich, sagt Peter Roth, Wildhüter des Nationalparks im Engadin, gegenüber swissinfo.

“Er hielt sich während mehrerer Tage in der Nähe der Passstrasse auf. Das ist sehr untypisch für einen wilden Bären, der normalerweise allein ist.”

Durch die zahlreichen Schaulustigen gewöhne sich der Bär möglicherweise noch stärker an die Menschen, gibt Roth zu bedenken. “Es wird nicht einfach für ihn, hier zu leben”.

Am Freitag wieder gesichtet

Der Lebensraum im Nationalpark sei zwar gross genug. Er werde aber von Störfaktoren wie Strassen und Wanderwegen durchzogen. “Es gibt auch grosse Waldgebiete im Nationalpark, in die er sich zurückziehen könnte, die sind aber vermutlich zu klein, um ihm ein Leben in Frieden zu erlauben”, sagt Roth weiter.

Um den Bären in die wilderen Gebiete des Parks zu vertreiben, planten die Jagdbehörden bereits für Mittwochabend eine erste Vergrämungsaktion. Aber der Bär kreuzte nicht auf. Privatpersonen haben das Tier erst am Freitag wieder gesichtet.

In den letzten Tagen waren Spekulationen aufgekommen, der Bär sei möglicherweise weiter gezogen, etwa in den Kanton Tessin. Das Tier war wiederholt und letztmals am Abend des 1. August unweit der Passstrasse auf der Südseite des Ofenpasses beobachtet worden.

Rückkehr nach 100 Jahren

Am Dienstag letzter Woche war der Braunbär erstmals am Ofenpass im Gebiet des Nationalparks im bündnerischen Münstertal gesehen worden. Das geschützte Grossraubtier galt in der Schweiz seit über 100 Jahren als ausgerottet. Fachleute gehen davon aus, dass der Bär aus dem Südtirol zugewandert ist.

Die Rückkehr des Bären löste in der Schweiz grosses Echo aus. “Nachdem sie vom Bären gehört haben, besuchten viele Menschen den Nationalpark, in der Hoffnung das Tier zu sehen. Im Münstertal sind alle Hotels ausgebucht”, sagte Peter Roth weiter. Die Besucherzahlen des Nationalparks seien in der letzten Woche um 20% gestiegen.

Nach drei Tagen hat sich der Bär nun offenbar wieder gezeigt. Aus Rücksichtnahme wollen die Behörden den Aufenthaltsort des Tieres nicht bekannt geben. Der Bär brauche dringend Ruhe, teilte das Amt für Jagd und Fischerei Graubünden am Freitag mit.

Nicht idealer Lebensraum

Zum vorübergehenden “Verschwinden” des Bären erklärte Jagdamtsvorsteher Brosi weiter, es sei gut möglich, dass dem Tier der Rummel zu viel geworden sei. Einen anderen möglichen Grund sah der oberste Wildhüter des Bundes, Reinhard Schnidrig. Der Braunbär habe sich möglicherweise Richtung Tessin verschoben, wo es Kastanien habe, sagte er in einem Interview der “Basler Zeitung”.

Der Nationalpark sei eine sehr karge Gegend und deshalb nicht der ideale Lebensraum. Auch dass der Bär ein Kalb gerissen habe, deute darauf hin, dass er hungrig sei.

“Es wäre schade, wenn er uns wieder verlassen würde. Wir haben so lange auf die Rückkehr des Bären gewartet und würden uns freuen, wenn er sich hier wieder niederliesse”, sagt Roth und gesteht, dass er den Bären liebend gerne einmal sehen möchte – am liebsten innerhalb der Grenzen des Nationalparks.

swissinfo und Agenturen

Der Braunbär ist ein Tier, das die Menschen normalerweise meidet. Ausserdem ist er sehr intelligent, schlau, faul und sucht eher den Weg des geringsten Widerstandes.

Deshalb sollten Bären unter keinen Umständen gefüttert werden. Durch regelmässige Fütterung könnten sie sich an die Menschen gewöhnen und agressiv werden, wenn sie einmal kein Futter bekommen.

Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass der Braunbär ein Raubtier ist. Er wiegt bis zu 300 kg, kann bis zu 60 km/h schnell rennen und zudem auf Bäume klettern. Bei einer Konfrontation mit Bären haben unbewaffnete Menschen keine Chance. Aber der Braunbär ist ein geschütztes Tier.

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