Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Konjunktursichere Arbeitslosenversicherung?

Sichere Finanzierung oder Abstriche für Versicherte? swissinfo.ch

Eine Arbeitslosenversicherung für gute und schlechte Zeiten: Dies soll mit der Revision des Arbeitslosenversicherungs-Gesetzes erreicht werden.

Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen weniger bezahlen, dafür wird die Beitragszeit verlängert und die Bezugsdauer verkürzt. Linke und Gewerkschaften haben das Referendum dagegen ergriffen.

Seit 1995 wird die Arbeitslosenversicherung (ALV) mit Notmassnahmen finanziert, weil damals die Arbeitslosenzahlen rasant angestiegen waren. Von Anfang an war klar, dass es sich um befristete Massnahmen handeln sollte, um die Finanzierung der Versicherung nicht zu gefährden.

Tiefere Beiträge

Ende 2003 laufen diese Notmassnahmen zur Schuldentilgung mit dem erhöhten Satz von 3 Lohnprozenten aus. Mit dem Ende der Massnahme wird der Beitragssatz wieder auf 2 Prozent sinken. Die Arbeitslosenkasse muss dieses fehlende Geld, rund eine Milliarde Franken, auf andere Art und Weise erwirtschaften.

Einen Teil des fehlenden Geldes sollen Bund und Kantone mit festen Beiträgen von jährlich rund 300 Millionen beziehungsweise rund 100 Millionen Franken an die Arbeitslosenversicherung beisteuern.

Abstriche für Versicherte

Doch es sind auch einige Abstriche für die Versicherten eingeplant, und diese rufen die Gewerkschaften auf die Barrikaden: Der Schutz durch die Versicherung soll für alle Versicherten unter 55 Jahren von heute 520 auf 400 Tage gekürzt werden.

Zudem soll der Versicherungsschutz erst 12 Monate nach der ersten Einzahlung beginnen. Heute greift die Versicherung schon nach 6 Monaten.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat aus diesen Gründen zusammen mit anderen Arbeitnehmer-Organisationen das Referendum gegen die Gesetzesänderung ergriffen. Sie kommt nun am 24. November zur Abstimmung.

“Wir müssen die Versicherung stärken, und sie auf gesunde Beine stellen”, betont die Freisinnige Nationalrätin Christine Egerszegi-Obrist, die eine Änderung des Gesetzes befürwortet, gegenüber swissinfo.

“Es geht nicht nur darum, Leistungen zu kürzen, sondern auch darum, die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen.”

“Unerträglicher Sozialabbau”

Ganz anders sieht es Paul Rechsteiner, Präsident des SGB und als Nationalrat für die Sozialdemokraten im Bundeshaus: “Die Revision bringt einen massiven Abbau des Schutzes für Langzeit-Arbeitslose, die Taggelder werden massiv gekürzt, obwohl die Arbeitslosenversicherung finanziell wieder so gut dasteht, wie seit Langem nicht mehr. Dieser Sozialabbau ist unerträglich.”

Es gehe schlicht auch um eine Anpassung an die Normen rund um die Schweiz, entgegnet Egerszegi: “520 Tage ist ein Ausmass, das wir nirgendwo in Europa haben.”

Doch Rechsteiner lässt kein gutes Haar an der vorgeschlagenen Kürzung: “Jetzt, wo die Arbeitslosenzahlen wieder steigen, braucht es erst recht diesen sozialen Schutz.”

Die Gegner der Revision sind der Meinung, dass der Zeitpunkt für eine Änderung falsch gewählt sei. In einer Zeit, wo viele Betriebe geschlossen und Tausende auf die Strasse gestellt würden, sei die ALV besonders wichtig. Denn niemand sei heute vor Entlassungen sicher.

Wieder mehr Arbeitslose

Im Februar 1997 waren 206’000 Personen ohne Arbeit. Mit der anziehenden Konjunktur ist die Arbeitslosigkeit bis auf den Tiefststand von 67’000 im Jahr 2001 zurückgegangen.

Zum Vergleich: Heute sind es etwas über 100’000 Erwerbslose. Jean-Luc Nordmann, Direktor des Staatssekretariates für Wirtschaft, rechnet für diesen Winter mit einem Anstieg auf mindestens 130’000 Arbeitslose.

Umstrittener Solidaritätsbeitrag

Eine weitere Notmassnahme, die mit der neuen Regelung im Gesetz gestrichen werden soll, ist der Solidaritätsbeitrag für Besserverdienende. Zur Zeit bezahlen Personen mit Einkommen zwischen 106’000 und 267’000 Franken diesen ausserordentlichen Beitrag von 2 Prozent an die ALV.

Dass damit Schluss sein soll, will Paul Rechsteiner nicht tolerieren: “Hohe Einkommen über 100’000 Franken werden privilegiert. Das Parlament hat eine knallharte Interessenpolitik zu Gunsten der Reichen und auf dem Buckel der Arbeitslosen betrieben.” Dadurch würden der ALV 270 Millionen Franken entzogen.

“Der Bundesrat hat die Möglichkeit, diesen Beitrag wieder zu erheben, wenn die Kasse nicht im Lot ist”, kontert Christine Egerszegi. Konkret: Wenn die Schulden der ALV 5 Milliarden Franken überschreiten, soll automatisch ein Solidaritätsbeitrag von einem Prozent auf diesem Einkommensteil erhoben werden.

Niederlage für Revision möglich

1997 feierten Linke und Gewerkschaften einen Sieg: Das Volk verhinderte an der Urne die Kürzung der Taggelder aus Spargründen. Diesmal konnten die Gegner sogar noch mehr Unterschriften für ihr Referendum sammeln, über das nun abgestimmt wird.

Christine Egerszegi rechnet denn auch mit einer möglichen Niederlage: “Es ist viel leichter, eine Vorlage zu vertreten, die Sozialleistungen einfach ausbaut.”

Aber, betont sie: “Wir müssen jetzt das Gleichgewicht herstellen zwischen einer guten Versicherung und der Finanzierung.”

Paul Rechsteiner hofft auch dieses Mal auf einen Sieg, denn “wir gehen davon aus, dass auch bei den Kantonen keine Begeisterung über diese Revision herrscht. Es werden die Kantone sein, die unter diesem Abbau zusammen mit den Betroffenen zu leiden haben.”

Da es sich bei der Vorlage um eine Gesetzesrevision, respektive ein Referendum dagegen handelt, ist allein das Volksmehr entscheidend.

swissinfo, Christian Raaflaub

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft