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Kontroverser Jesus-Film startet in Schweizer Kinos

Gibson inszeniert den Gang Jesu auf den Berg Golgatha als blutiges Epos. Keystone

Am Donnerstag lief Mel Gibsons Film "The Passion of the Christ" in der deutschen Schweiz an. In den USA werfen Kritiker dem Film vor, Antisemitismus zu schüren.

Die Medienbeauftragten der reformierten und der katholischen Landeskirche haben den Film gesehen und nehmen gegenüber swissinfo Stellung.

Über die Qualitäten Mel Gibsons als Schauspieler und Regisseur mag man geteilter Meinung sein. Unbestritten ist, dass der Hollywood-Star ein christlicher Fundamentalist ist und ein gewiefter Geschäftsmann obendrein.

Weil er für sein zweistündiges Leidens-Epos über die letzten 12 Stunden von Jesus keine Produktionsfirma fand, bezahlte Gibson die Kosten von rund 25 Mio. Dollar aus eigener Tasche. Knapp drei Wochen nach dem Kinostart am 25. Februar hat “The Passion of the Christ” in den USA bereits 246 Mio. Dollar eingespielt.

Skandal-Marketing

Eher unfreiwillig zu diesem Erfolg beigetragen haben Kritiker aus Kreisen von Bürgerrechts-Bewegungen, des Jüdischen Weltkongresses, der Anti-Defamation League sowie des Simon Wiesenthal Centers. Diese werfen Gibson vor, mit seinem Film die These von der Schuld der Juden an der Kreuzigung Jesu zu vertreten und damit den Antisemitismus zu schüren.

In der Schweiz nahm die jüdische Wochenzeitschrift “Tacheles” diese Kritik auf: “Die Wirkung des Films entwickelt eine willkürliche Eigendynamik, die letztlich unverantwortlich auf die Massen losgelassen wird.” Der Film zeige, wie ein Mythos geschaffen, bewirtschaftet und ausgeschlachtet werde, bis er selbst dazu führe, “dass etwa Judenhass derart prägnant am Ende steht”.

Zurück ins Mittelalter

Trotz der mahnenden Stimme des “Tacheles” wird der Film in der Schweiz kaum eine Debatte wie in den USA entfachen. Davon gehen sowohl Christine Stark, Medienbeauftragte der Evangelischen Landeskirche, als auch Charles Martig, Geschäftsführer und Filmbeauftragter des katholischen Mediendienstes, aus.

“Der Film ist zutiefst katholisch”, so Martig. Aber Gibson als Mitglied einer Sekte sei einer theologischen Sicht verpflichtet, welche das Zweite Konzil der römisch-katholischen Kirche von 1965 negiere.

In der Frage, wer am Tod von Jesus verantwortlich sei, kam der Vatikan damals zum Schluss, dass für die Verhaftung die Juden, für die Kreuzigung dagegen die Römer zuständig gewesen seien.

Grausamkeit und Antisemitismus

Der Film sei klar von der Bildsprache des Mittelalters inspiriert, findet Martig. Die zentrale Aussage liegt für Christine Stark im Leiden und im Opfer, das Christus für die Menschen darbringe. “Am Ende gibt es auf dem Körper von Jesus keinen Zentimeter mehr, der nicht mit Wunden übersät ist.” Die Leiden würden derart in den Vordergrund gerückt, dass sie manchmal habe wegschauen müssen, so Stark.

Die Filmexperten der Landeskirchen sehen in “The Passion of the Christ” beide Vorwürfe, welche dem Film angelastet werden, bestätigt. “Er ist viel zu gewalttätig, das viele Blut entspricht nicht der Vision der Rettung des modernen Christentums”, so Stark. Die Wiederauferstehung finde lediglich in der letzten Minute des Films statt. Unterstützt wird die Meinung Starks übrigens auch vom Journalisten der “New York Times”, der nach der Vorführung gesagt hat: “Das ist kein religiöser Film, sondern ein Kriegsfilm.”

Für Martig liegt das Hauptproblem im “Mangel an einer kritischen Reflexion der Geschichte von Jesus Christus”. Gibson habe sich von überholten theologischen Überzeugungen leiten lassen, statt sich an den Text der Bibel zu halten, wie dies die Autoren des Films vorgegeben hätten, so sein trockener Vorwurf.

Gelassenheit

Laut dem “Tacheles” wirkte Gibsons Film in den USA wie ein Keil, der eine “schein- und unheilige Allianz zwischen reaktionären jüdischen und gewissen evangelikalen Kreisen aufgebrochen” habe. Diese Allianz sei zuvor aus unterschiedlichen Motiven radikal für Israel eingetreten.

“Wie bei anderen polarisierenden Filmen reagiert die Öffentlichkeit in Europa viel gelassener als in den USA”, glaubt Christine Stark. Denn dort berufe sich selbst der Präsident auf die Werte eines religiösen Konservatismus.

Beide Sachverständigen stimmen in ihrer Bewertung darin überein, dass dem Film keinerlei didaktischen Wert zukommt. Auch wenn in der Schweiz, wie bereits zuvor in den USA, evangelikale Freikirchen für ihre Anhänger ganze Vorstellungen aufgekauft haben.

Übrigens: Der Papst scheint dem filmerischen Gang Jesu auf der Via Dolorosa gegenüber wohlgesonnen.Denn kürzlich hat er den Hauptdarsteller, den amerikanischen Schaupieler Jim Caviezel, der selber einer evangelikalen Sekte angehört, zu einer Privataudienz empfangen und gesegnet.

swissinfo, Daniele Papacella und Renat Künzi

In den USA brach der Film sämtliche Kinostart-Rekorde. Bisher spielte er dort 264 Mio. Dollar ein.
Die Produktionskosten betrugen 25 Mio. Dollar.
Gibson finanzierte den Film mit eigenem Geld, da keine Produktionsgesellschaft Geld in einen religiösen Film stecken wollten.
Geld wird nicht nur mit dem Film, sondern auch mit einem Merchandising von Fan-Artikeln wie z.B. “Kreuznägeln” generiert.
Gemäss Umfragen bezeichnen sich in den USA 43% aller Bürger als Evangelisten oder freikirchliche Christen.
45% aller Amerikaner glauben zudem an die Möglichkeit, dass die Welt von Gott erschaffen sei.

Mel Gibsons Film “The Passion of the Christ” startete am Donnerstag in den Kinos der deutschen Schweiz, zeitgleich mit Deutschland.

In der Westschweiz und in Frankreich erfolgt der Start am 7. April.

Im Zentrum des Films steht die Aussage, dass Jesus am Kreuz stellvertretend für die Menschheit gestorben ist.

Der Film zeigt die Leiden Jesu in den letzten 12 Stunden seines Lebens.

Kritiker werfen dem Regisseur vor, die Alleinschuld an der Kreuzigung von Christus den Juden zuzuschieben und damit Antisemitismus zu schüren.

Die heutige Christus-Forschung geht davon aus, dass Jesus von den Römern aus politischen Gründen gekreuzigt wurde, um Unruhen vorzubeugen.

Mel Gibsons Vater, Hutton Gibson, ist in den USA der einflussreichste katholische Traditionalist, der Glaubensrichtung, der auch sein Sohn angehört.

Gibson Senior hat in Interviews den Holocaust mit dem Mord an 6 Mio. Juden unter dem Nazi-Regime geleugnet.

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