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Street Parade: Viel Vertrauen in Organisatoren

Street Parade 2010: Friedliche und feuchte Massendemonstration ohne gravierende Zwischenfälle. swissinfo.ch

Die Street Parade in Zürich ist an sich ein Grossereignis für Techno- und Housefans. Doch wie erleben die Besucherinnen und Besucher das Fest, nachdem an einer ähnlichen Veranstaltung in Duisburg 21 Personen ums Leben gekommen waren?

Heuer sind an der Street Parade Engel in Mode, oder Teufel. Oder Häschenohren. Weisse oder rosarote Engelsflügel aus Federn hängen an den Schultern von Frauen und Männern, assortiert mit der Bekleidung.

Andere tragen rote Teufelshörnchen, auch das passt zum Kleid, und oft haben sie noch einen Dreizack dabei. Die Häschenohren sind wie ein Haarreif, man kann sie einfach aufstecken. Sie halten auch bei kurzhaarigen Menschen, also ebenfalls bei Männern. Selbst wenn sie tanzen. Es gibt die Ohren an einigen Ständen auf dem Weg vom Bahnhof zur Parade zu kaufen. In verschiedenen Farben.

Neben den Engeln, den Teufeln und denen mit den Häschenohren sind noch tausende andere Menschen da, Piraten, Bären, Knappbekleidete und vor allem Freaks aller Art.

Schon bevor der Tross der Lovemobiles gesichtet werden, stehen oder sitzen abertausende von Menschen auf der Brücke oder am Strassenrand oder in der Nähe von einer der sieben Bühnen. Die Musik kommt von den Bühnen.

Gedränge ist an der Street Parade normal. Heute jedoch sieht es nach Regen aus, und deshalb scheint es weniger Leute zu haben als sonst. (Doch dieser Eindruck trügt, wie die späteren Mitteilungen der Organisatoren zeigen – siehe Kasten rechts). Sich durch in der Menschenmenge zu bewegen ist kein Problem.

“Nein. Ich denke nicht daran, was passiert ist in Duisburg”, sagt eine junge Frau, eine Deutsche mit blauer Perücke. “Vermutlich sind die Leute, die es belastet, gar nicht hergekommen”, meint sie, darum habe es so wenig Leute heute. “Ich möchte einfach die Party geniessen.”

Manche sind nicht ganz so sorglos. “Ich denke schon daran, was passiert ist in Deutschland. Ich finde es ganz schlimm”, sagt ein junger, unverkleideter Schweizer.

“Aber ich bin sicher, dass das hier nicht passiert. Die haben einen grossen Fehler gemacht in Duisburg. Sie hätten keine Zäune aufstellen und das Areal nicht absperren sollen. In Zürich wird nichts abgesperrt. Das Areal in Duisburg war viel zu klein für diese Anzahl Menschen, und dann noch die Zäune”, meint er.

Er käme sicher nicht an die Streetparade, wenn es Zäune hätte.

Kleinere Verletzungen

Das Vertrauen in die Organisatoren der Street Parade scheint gross zu sein. Aus Sicherheitsgründen seien noch ein paar Pfosten weggeräumt worden, sagen sie. Nun schleicht sich der Tross der Lovemobiles um die Kurve und dann über die Quai-Brücke.

Es wird enger in den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Brücke, alle drängen nach zur Strasse, wo die riesigen Lastwagen mit ihren Anhängern und den bewegenden Menschen auffahren. Der Beat hämmert, alle tanzen. Wer nicht tanzt, nuckelt an seinem Bier.

Alkohol ist allgegenwärtig. Gedränge auch. So eng, dass man sich nicht mehr bewegen könnte, wird es jedoch auf der Brücke nicht.

Zwei Männer in Pfahlbauerkostümem bahnen sich einen Weg durch die Menschenmenge. Einer hat einen blutüberströmten Fuss und kann nur noch mit der grossen Zehe auftreten.

Er habe sich blöd geschnitten, er müsse zu einem Sanitätsposten, sagt er. Irgendwie habe ihm eine Flasche den Fuss aufgeschlitzt. Es sei nicht schlimm, die Flasche hätte ihn noch viel ärger verletzen können. Angesprochen auf das Unglück in Duisburg, meint er. “Es passiert vieles, das nicht gut ist. In Duisburg ist es halt dumm gelaufen.” Und schon zieht ihn sein Pfahlbauerkollege weiter.

“Der See ist auch noch da”

“Ich liebe die Street Parade. Sie ist wunderbar”, sagt einer von zwei jungen englischsprachigen Männern, unverkleidet. Was sich in Duisburg ereignet habe, sei furchtbar, aber er hab nie daran gedacht, dass das in Zürich auch passieren könnte.

“In Zürich gibt es noch einen See. Anstatt sich verdrücken zu lassen oder zu ersticken, würde ich einfach in den See springen.” Der andere nickt zwar, scheint aber doch nicht ganz überzeugt von diesem Vorschlag: “Vielleicht bist du ja dann gerade nicht am Ufer, wenns passiert”, gibt er zu bedenken.

Doch die zwei wollen sich die Festlaune nicht verderben lassen. “Wir sind hier, um Party zu haben. Es ist nur einmal im Jahr Street Parade”, sagt ersterer.

“Ich freue mich daran, dass die Zürcher Organisatoren alles so gut im Griff haben”, sagt ein als Engel kostümierter Schweizer. “Hier wird so etwas Schreckliches nicht passieren. Die haben sich alles gut überlegt”, ist er sich sicher.

Er habe an der Street Parade noch nie so ein Gedränge erlebt, dass er Angst bekommen habe. Und im übrigen sei ein bisschen Gedränge normal an der Parade, ihn störe mehr, dass es zuwenig Toiletten gebe, für die Männer.

Später setzt Regen ein. Die Häschenohren und die Teufelshörner bleiben trotzdem steif. Die Engelsflügel jedoch werden pampig.

Dass um 17 Uhr eine Schweigeminute für die Opfer von Duisburg abgehalten wird, nehmen viele mit Erstaunen zu Kenntnis. Eine Minute lang dröhnt keine Musik aus den riesigen Boxen der Mobiles.

“Nein, ich habe nicht gewusst, dass eine Schweigeminute durchgeführt wird”, gibt eine junge Französin mit Neonrosa-Perücke zu. Wofür die denn sei, die Schweigeminute. “Ich denke nicht an Duisburg, es tut mir leid. Es gefällt mir hier. Ich will hier die Party feiern.”

Eveline Kobler in Zürich, swissinfo.ch

Die 19. Zürcher Street Parade zog 50’000 Menschen mehr an als im Vorjahr. 650’000 Raver tanzten für Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz.

Die Polizei und die Rettungsorganisationen bezeichnen die diesjährige Parade als “problemlos”. Der Grossanlass blieb weitgehend friedlich.

Die Polizei musste einige Streitereien schlichten und verhaftete 23 Personen wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittel- oder das Ausländergesetz, wegen Körperverletzung oder Taschendiebstahls.

Die Sanitäter behandelten 444 Personen, 169 weniger als im Vorjahr. 53 Patienten mussten ins Spital eingeliefert werden. Im Vorjahr waren es fast doppelt so viele. Vier davon haben sich mittelschwer bis schwer verletzt.

Behandeln mussten die Sanitäter Personen mit kleineren Blessuren wie Prellungen, Stauchungen, Schnittverletzungen oder nach übermässigem Alkohol- und Drogenkonsum.

93 Personen durften ihren Rausch auf einem Feldbett in der Patientensammelstelle ausschlafen.

Die An- und Abreise der Besucher verlief weitgehend problemlos. Viele nutzten den öffentlichen Verkehr. Die SBB hatten 105 Sonderzüge im Einsatz, Trams und Busse fuhren teilweise während der ganzen Nacht.

Die erste Ausgabe der Street Parade fand 1992 statt. Veranstalter war der von der Love Parade in Berlin begeisterte Mathematik-Student Marek Krynsky.

Rund 2000 Menschen nahmen an dieser ersten Ausgabe teil. Der tanzende Zug führte über die renommierte Zürcher Bahnhofstrasse, was vielen Zürchern nicht passte.

Im Jahr darauf verboten die Behörden den Ravern das Tanzen “auf der reichsten Strasse der Welt”.

Seither hat sich viel geändert: 13 offizielle Sponsoren machen mit.

Die Parade führt über eine 2,4 km, lange Route. Sie startet beim Utoquai im Zürcher Seefeldquartier, dann geht es rund ums Zürcher Seebecken über Bellevue, Quaibrücke und Bürkliplatz zum Hafendamm Enge.

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