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Kundgebung gegen Ausschaffungen

Kinder im Demonstrationszug in Lausanne gegen Ausschaffungen. Keystone

Rund 1500 Personen haben am Samstag in Lausanne gegen die Ausschaffung abgewiesener Asylbewerber demonstriert.

Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey berührt die menschliche Seite der Angelegenheit und sie beabsichtigt Pilotprojekte in der Migrationfrage zu entwickeln.

In der Schweiz entscheidet der Bund, ob ein Asylgesuch angenommen oder abgelehnt wird. Die Kantone müssen dann den Entscheid vollziehen.

Ende August sollte der Kanton Waadt erste Zwangsausschaffungen für abgewiesene Asylbewerber vornehmen. Trotz rechtskräftiger Verfügung hat der Kanton rund 1300 Asylbewerber nicht ausgewiesen und beim Bund stattdessen eine Härtefallregelung beantragt.

Die Zwangsausschaffungen wurden verschoben, nachdem das Vorhaben an die Öffentlichkeit gedrungen war und einige der von der Ausschaffung bedrohten Flüchtlinge in einem Kirchgemeindehaus in Lausanne Zuflucht gesucht hatten.

Das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) entschied dann aber, dass 523 Asylbewerber die Schweiz verlassen müssten.

Die Waadtländer Regierung hat am vergangenen Dienstag den Entscheid des BFF akzeptiert. Die Betroffenen würden bis Ende Jahr – wenn nötig – ausgeschafft, in letzter Konsequenz auch mittels Zwangsmassnahmen, sagte Regierungsrat Jean-Claude Mermoud (SVP).

Demo gegen Entscheid

Am Samstag haben dann in Lausanne mehr als 1500 Personen an einer Kundgebung für die abgewiesenen 523 Asylbewerber, die ausgeschafft werden sollen, demonstriert.

Die Demonstrantinnen und Demonstranten protestierten gegen die Haltung der Kantonsregierung. “Eine Ausschaffung ist eine Ausschaffung”, skandierten sie auf ihrem Weg durch das Stadtzentrum. Kinder trugen ein Transparent mit einem durchgestrichenen Flugzeug.

Während der Kundgebung übergaben die Organisatoren dem Waadtländer Staatsrat Jean-Claude Mermoud einen offenen Brief.

Es gäbe zahlreiche Möglichkeiten, die Rückschaffungen zu verhindern, wenn der Wille vorhanden wäre, schrieb die Asylkoordination. Der Staatsrat vertrete im Kanton eine Minderheitsposition.

Mehrheit gegen Zwangsmassnahmen

Gemäss einer Umfrage bei 465 Waadtländer Bürgerinnen und Bürgern, die am Samstag in der Zeitung “24 Heures” veröffentlicht wurde, stellt sich eine Mehrheit von 64% gegen Zwangsmassnahmen. 51% der Befragten sind mit dem Ausschaffungsentscheid “überhaupt nicht einverstanden”, 43% sind “vollkommen einverstanden”.

Weiter sind gut 62% der Ansicht, dass Asylbewerber nach einer Wartezeit von fünf Jahren generell nicht mehr ausgeschafft werden sollten. Ein Rückschaffungsmoratorium würde auf grosse Zustimmung stossen: rund 77% stimmten einer solchen Lösung zu.

Frist verlängert

Die Waadtländer Kantonsregierung hält an der Ausschaffung der vom Bundesamt für Flüchtlinge abgewiesenen Asylsuchenden fest, die teilweise seit mehreren Jahren in der Schweiz wohnen.

Sie verlängerte aber vergangene Woche die Anmeldefrist für die Rückkehrhilfeprogramme. Die Frist läuft am kommenden Mittwoch ab.

Zwangsausschaffungen werden von diesem Zeitpunkt an nicht mehr ausgeschlossen. Das Kantonsparlament hatte gefordert, dass auf Zwangsmassnahmen verzichtet wird. Einige der abgewiesenen Asylbewerber suchen in einem Refugium Schutz.

Die Rückschaffung der 523 Asylbewerber wird auch auf juristischer Ebene bekämpft. Ein neues Rechtsgutachten, das am Freitag veröffentlicht wurde, kam zum Schluss, dass das BFF seine abschlägigen Entscheide begründen muss.

Calmy-Rey verlangt Folgeprogramme …

Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zeigt sich um das Schicksal der von der Ausschaffung bedrohten 523 Asylbewerber in der Waadt besorgt. Sie verlangt von der Direktion für Entwicklungs-Zusammenarbeit (DEZA) ein Folgeprogramm in den Rückkehrländern.

Diese Personen würden bei der Ankunft Unterstützung finden, erfolge ihre Rückkehr nun freiwillig oder nicht. Die DEZA werde sich um sie kümmern. “Die Schweiz wird sie nicht im Stich lassen”, sagte Calmy-Rey in einem Interview mit der Zeitung “Matin dimanche”.

Sie sei besorgt um diese Leute, die in einer harten Situation steckten. Auch besorgt sei sie um die Glaubhaftigkeit der Schweiz. Das Land dürfe diese Familien, die Jahre in der Schweiz gelebt hätten, nicht von einem Tag auf den anderen im Stich lassen.

…und Pilotprojekte

Dem Kanton Waadt, so Calmy-Rey, könne sie keinen Rat geben. Auch die mit dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) getroffene Vereinbarung könne sie nicht beurteilen. Die menschliche Seite berühre sie aber, sagte die Aussenministerin.

Das Phänomen der Migration schlage sich nicht nur im Asylbereich nieder. Internationale und multilaterale Partnerschaften mit den Herkunftsländern könnten die Problematik lindern.

Der Dialog dazu könnte über die Entwicklungs-Zusammenarbeit und wirtschaftliche Abkommen aufgebaut werden. Micheline Calmy-Rey sagte weiter, dass sie hier beabsichtige – in Absprache mit dem EJPD – Pilotprojekte anzubahnen.

swissinfo und Agenturen

Im Mai hat der Kanton Waadt verlangt, dass das Bundesamt für Flüchtlinge 1280 Dossiers von Asylbewerbern nochmals überprüft.

Gemäss dieser Prüfung müssen nun noch 523 Personen weggewiesen werden.

Ein Grossteil dieser Personen (396) kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien.

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