CIA-Gefängnisse: «Europa muss die Wahrheit sagen»
Laut dem Schweizer Terror-Sonderermittler Dick Marty hat George W. Bush zu den Geheimgefängnissen der CIA in Europa noch lange nicht alles gesagt.
Der US-Präsident hat am Mittwoch die Existenz geheimer Gefängnisse zugegeben. Nun müssten die europäischen Länder inklusive die Schweiz die ganze Wahrheit aufzudecken, fordert Marty im swissinfo-Gespräch.
Im vergangenen November war der Schweizer Parlamentarier Dick Marty vom Europarat zum Sonderberichterstatter in Sachen CIA und Geheim-Gefängnisse in Osteuropa ernannt worden.
Anfang Juni veröffentlichte er seinen Bericht. Darin kommt er zum Schluss, dass 14 europäische Länder den Transport möglicher Terroristen an geheime Orte toleriert haben und dabei mit den Menschenrechten in Konflikt gerieten.
Ausserdem seien andere Länder, unter ihnen die Schweiz, bei der Inhaftierung oder im Transport unbekannter Personen involviert gewesen.
Mitte dieser Woche hat US-Präsident George W. Bush erstmals zugegeben, dass Terror-Verdächtige ausserhalb Amerikas befragt worden seien. Die US-Geheimdienste hätten wichtige Akteure der Al Kaida im Ausland festgehalten und verhört. Sie würden dies auch fortsetzen, trotz internationalem Missfallen.
In Genf hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz angetönt, es erhalte «in den nächsten Tagen» Zugang zu 14 Personen, unter ihnen auch zu dem mutmasslichen Urheber des Attentats vom 11. September.
swissinfo: Die Eingeständnisse des US-Präsidenten stützen Ihren Bericht, wonach europäische Staaten inklusive die Schweiz konspirativ mit dem CIA zusammengearbeitet haben. Erhöht das den Druck auf die betroffenen Regierungen, Klarheit zu schaffen?
Dick Marty: Erstens ist die Bestätigung der Existenz von geheimen Gefängnissen für mich keine Überraschung. Ich war immer von ihrem Bestehen überzeugt.
Zweitens dient der Umstand, dass die Bush-Administration erstmals Haft und brutale Verhöre zugibt, für die europäischen Regierungen als Signal, endlich auch ihre Pflicht zu tun. Sie müssen nun herausfinden, was wirklich auf ihrem Territorium geschah. Noch sind wir von der ganzen Wahrheit weit entfernt.
swissinfo: Gilt dies auch für die Schweizer Regierung, die laut Ihrem Bericht die Augen vor den verdächtigen Flugzeugen und Transitflügen verschloss.
D. M.: Es gilt für alle Staaten, für die klar nachgewiesen ist, dass entweder Flugzeuge oder Flughäfen oder andere Infrastrukturen einem geheimen Inhaftierungs-Programm gedient haben – inklusive der Schweiz.
swissinfo: Im Februar weitete die Schweizer Regierung die Überflug-Erlaubnis für nicht-kommerzielle US-Flugzeuge bis Ende 2006 aus. Sollte nach dem US-Eingeständnis auf diesen Entscheid zurückgekommen werden?
D. M.: Ich denke, dass wir diese Erlaubnis voreilig ausgestellt haben. Vergleicht man die Dokumente mit jenen, welche die italienischen Behörden zugänglich gemacht haben, resultiert eindeutig, dass der Schweizer Luftraum für den Transport mindestens eines illegal Gefangenen benutzt wurde.
Ich denke, wir hätten von der US-Regierung viel klarere und formalere Erklärungen fordern können. Stattdessen haben wir uns mit mündlichen Zusagen eines Sprechers der Bush Administration zufrieden gegeben.
swissinfo: Können somit Versicherungen, wonach keine Gefangenen durch die Schweiz transportiert worden seien, nach Bushs jüngsten Eingeständnissen noch für voll genommen werden?
D. M.: Nein. Ich glaube, uns wurden während dieser ganzen Affäre, inklusiv dem Krieg in Irak, unzählige Lügen aufgetischt. Deshalb sollten wir jetzt standhaft auf Informationen bestehen.
swissinfo: Erwarten Sie weitere Details seitens der Administration Bush? Beispielsweise Angaben über die Art der Geheimprogramme oder die Orte, wo die Gefängnisse lagen.
D. M.: Nein. Es braucht eben konstanten Druck. Das Einlenken Bushs ist das Resultat des ständigen Drucks durch Nichtregierungs-Organisationen und Journalisten, speziell in den USA. Herausstreichen möchte ich auch die Rolle der US-Justiz.
swissinfo: Werden Sie Ihre Nachforschungen weiter verfolgen?
D. M.: Im Juni beauftragte mich der Europarat mit der Fortsetzung. Das will ich gerne tun, aber nicht unter den Bedingungen des Europarats – nämlich praktisch ohne finanziellen Support.
Ich beschäftige einen jungen Assistenten mit einem Halbjahres-Vertrag. Nun kramt der Europarat alle möglichen bürokratischen Argumente hervor, dieser Vertrag könne nicht verlängert werden.
Ich finde so etwas völlig grotesk, besonders wenn man das politische Gewicht des Ganzen in Betracht zieht.
swissinfo-Interview: Adam Beaumont
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
Im November 2005 vermutete die NGO «Human Rights Watch» die Existenz von geheimen Haft-Lagern in Europa und Entführungen von Terrorismus-Verdächtigen durch die CIA.
Darauf beauftragte der Europarat den freisinnigen Schweizer Ständerat und ehemaligen Tessiner Staatsanwalt Dick Marty mit einer Untersuchung.
Marty publizierte seinen Bericht am 7. Juni 2006. Darin beschuldigt er 14 europäische Staaten, CIA-Aktivitäten wie Inhaftierung und Transfers von Terror-Verdächtigten toleriert zu haben.
Der Berich wirft der Schweizer Regierung vor, Vorwürfe über CIA-Flüge über den Schweizer Luftraum nicht ernst genommen zu haben.
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) hat bestätigt, das sechs verdächtige CIA-Flüge in der Schweiz gelandet sind.
Dazu wurden zwischen 2001 und Januar 2006 76 Flüge von US-Flugzeugen über die Schweiz registriert, bei denen ein Verdacht auf CIA-Aktivitäten besteht.
Laut BAZL wurden diese Flüge als nicht-kommerziell registriert.
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