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Die Wiedererweckung des Wunders von Bern

Das Wunder von Bern: Peter Franke (Mitte) als Trainer Sepp Herberger. Senator Film

Fast selbst ein Wunder: Das Fussball-Wunder von Bern, der WM-Sieg Deutschlands über die Ungaren 1954 in Bern, war noch nie verfilmt worden.

Jetzt hat es der deutsche Regisseur Sönke Wortmann gemacht. Und es – mit viel Gefühl – gepackt.

“Aus! Aus! Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit drei zu zwo im Finale in Bern!” Das Wunder von Bern hat für ewig eine Stimme. Sie gehört Herbert Zimmermann, dem legendären Reporter des Norddeutschen Rundfunks.

Seine Euphorie, nicht von deutscher Herrlichkeit getragen, sondern von Unglauben, erlöste Hunderttausende Deutsche, die an diesem 4. Juli 1954 in deutschen Stuben vor ihren Rundfunk-Apparaten mitgefiebert hatten.

Zimmermanns Stimme erlöste aber auch das deutsche Volk: Vom Trauma der Stunde Null, 1945, als der kollektive Traum vom 1000jährigen deutschen Reich in Schutt und Asche lag.

“Wir sind wieder wer”

Mit dem Sieg der krassen Aussenseiter im strömenden Regen und vor knapp 60’000 Zuschauern über die “magischen Magyaren” oder die “Gold-Elf”, wie die damals vier Jahre ungeschlagenen Ungaren bewundernd genannt wurden, waren die Deutschen “wieder wer”. Das Fussball-Wunder vom Wankdorf-Stadion war der mentale Anpfiff für das deutsche Wirtschaftswunder.

Der deutsche Filmemacher Sönke Wortmann, der 1994 mit der Komödie “Der bewegte Mann” den Durchbruch geschafft hatte, “musste” den Film über den Mythos rund um das Wunder von Bern drehen. “Erstens ist es ein Teil deutscher Geschichte. Und zweitens habe ich lange Zeit selber Fussball gespielt. Da treffen sich also zwei wichtige Stränge in meiner Biographie”, sagte Wortmann gegenüber swissinfo.

Das “mythische” Bern

“Sehr viele Leute, mit denen ich im Vorfeld des Films gesprochen hatte, und auch namhafte Historiker wie Joachim Fest, bezeichnen den Titelgewinn 1954 als Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte zum Positiven hin”, so der 44jährige Regisseur aus dem Ruhrgebiet weiter.

Wortmanns Verhältnis zu Bern hat sich durch die Arbeiten am Film insofern geändert, als die Stadt jetzt eine “noch mythischere Bedeutung” gewonnen habe. “Für uns Deutsche ist Bern immer verknüpft mit dem Fussball-Weltmeistertitel 1954. Das war vorher so und ist auch nachher immer noch so.” Verändert habe sich hingegen das Wankdorf-Stadion.

Genaues Studium vor Ort

Den Kultort, von dem in Deutschland fast jedes Schulkind weiss, hat der Filmemacher vor dem Abriss 2001 noch selber besucht, “um mich inspirieren zu lassen”. Auf dem Rasen habe er sich beispielsweise genau angeschaut, von wo das entscheidende 3:2 Helmut Rahns ins Tor der Ungaren reingegangen ist. Trotzdem kommt die Stätte im Film nicht real, sondern nur in einer – nicht eben geglückten – Computer-Animation vor.

Das Schweizerische Publikum dürfte auch über die verschlungenen Wege – die deutschen Kicker reisen im Panorama-Bus über die Grosse Scheidegg in die Kalender-Schweiz – leicht den Kopf schütteln. Daneben aber ist Wortmanns Werk stimmiges Gefühlskino, belebt von ausgezeichnet agierenden Schauspielerinnen und Schauspielern.

Tragendes Duo

Allen voran Peter Lohmeyer und Louis Klamroth. Sie sind Vater und Sohn, auf der Leinwand, wie im wirklichen Leben. Der Vater kommt 1954 als Richard Lubanski nach 11 Jahren russischer Kriegsgefangenschaft endlich wieder im heimatlichen Ruhrpott an.

Doch seine Reise zurück zu seiner Familie, und insbesondere zu seinem 11-jährigen Sohn Matthias, hat eben erst begonnen. Klar, dass sie, nach mancherlei Tränen bei Klein und Gross, im Jubel über den Triumph auf dem Berner Wankdorf-Rasen ein glückliches Ende findet.

Maskottchen Matthias

Den Bogen vom kleinen Matthias auf den Rasen der Fussball-Heroen schlägt die Figur Helmut Rahns (Sascha Göpel), des aufstrebenden Stars von Nebenan. Wichtige Tore kann der lebenslustige Stürmer nur schiessen, wenn sein Taschenträger und Maskottchen Matthias im Stadion ist. Das wichtigste Tor der Karriere gelingt dem “Boss”, so Rahns Übername, in der 84. Minute des Finalspiels.

Was nur Filmbesucher wissen: Hätte der stotternde Wagen, ein DKW mit stinkendem Dreizylinder-Zweitakt-Motor, mit dem Vater und Sohn Lubanski just rechtzeitig für die zweite Halbzeit in Bern eintrafen, in den Kehren vor dem Grindelwald-Gletscher den Geist aufgegeben, gäbe es kein Wunder von Bern. Und auch keinen Film darüber.

Wie reagiert Wortmann auf ein Zuviel an Gefühligkeit, das Kritiker an seinem Film monierten? “Zuviel Gefühl gibt es überhaupt gar nicht im Kino! Nein, das ist für mich ein Kompliment”, sagt er bestimmt. In einer Komödie wolle er soviel lachen wie möglich, und in einem Drama so traurig sein wie möglich, sagt er. “Deswegen geh ich ins Kino, und das versuche ich auch in meinen Filmen herzustellen.”

Am Nullpunkt

Das “Wunder von Bern” war für Wortmann der absolute filmerische Idealfall: “In der ersten Hälfte meines Lebens hab ich Fussball gespielt, in der zweiten Film studiert und Filme gemacht.” Beides habe er somit zusammenbringen können. “Jetzt hab ich keinen blassen Schimmer, was ich als Nächstes machen könnte.”

Dem deutschen Regie-Star ohne Allüren ist nicht zu wünschen, dass ausgerechnet sein Film über den Aufbruch Deutschlands bei ihm eine schöpferische Depression auslöst.

swissinfo, Renat Künzi

Das Wunder von Bern, der Sieg Deutschlands an der WM über Ungarn, ist die grösste Sensation der deutschen Sportgeschichte.
Das Wankdorf-Stadion genoss und geniesst deshalb in Deutschland Kultstatus.
Der Sieg war mehr als sportlicher Erfolg: Er gab den Deutschen 9 Jahre nach dem Untergang Hitlers und Nazi-Deutschlands Hoffnung, Mut und Selbstwertgefühl.
Trainer Sepp Herberger und die Spieler Fritz Walter, Helmut Rahn, Toni Turek etc. wurden zu Volkshelden.
Der Film ist in Deutschland ein Kassenschlager. In der 1. Woche haben ihn 400’000 Menschen gesehen.
Er hat 11 Mio. Franken gekostet.

Das Wunder von Bern ist eine Familiengeschichte. Ein 11jähriger Junge kämpft um die Liebe seines Vaters.

Dieser, aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, findet sich im Nachkriegsdeutschland nicht mehr zurecht.

Es ist auch die Geschichte starker Frauen (Nachbarsgöre Carola, Matthias’ Mutter Christa, Sport-Journalisten-Gattin Annette und eine Spiezer Putzfrau)

Es ist auch die Geschichte, wie Trainer Herrberger aus klaren Aussenseitern die Weltmeister-Elf formt.

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