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“Rechtfertigung der US-Invasion”

Saddam Hussein während der Voruntersuchungen zu seinem Prozess. Keystone

Vor dem Prozess gegen Saddam Hussein hat ein Genfer Rechts-Experte erklärt, weshalb er den Ex-Diktator nicht verteidigen wollte.

Für Marc Henzelin ist das Sonder-Tribunal nicht kompatibel mit internationalem Recht und eher mit einer Seifenoper zu vergleichen.

Saddam Hussein und sieben weitere Beklagte werden beschuldigt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben als sie die Tötung von über 140 schiitischen Bewohnern eines Dorfes bei Dujail im Jahr 1982 anordneten.

Der gestürzte irakische Führer befindet sich seit seiner Gefangennahme im Irak im Dezember 2003 in Haft. Der Prozess hat am 19. Oktober in einem ehemaligen Präsidentenpalast in Bagdad begonnen. Nach etwa dreistündiger Verhandlungsdauer wurde das Verfahren bis zum 28. November vertagt.

Das Interview mit Marc Henzelin, Genfer Universitäts-Dozent für internationales Strafrecht, wurde zuerst in der “SonntagsZeitung” veröffentlicht.

SonntagsZeitung: Herr Henzelin, Frau Hussein hat Sie angefragt, ob Sie die Verteidigung von Saddam Hussein übernehmen. Warum haben Sie abgelehnt?

Marc Henzelin: Ich verlangte drei Garantien: dass es eine juristische Verteidigung gebe, keine politische. Dass es möglich sei, mit den anderen Anwälten zu sprechen, um sich zu organisieren. Und dass der Prozess nicht zu einem Zirkus verkommt.

Ich war zwölfmal in Bagdad in den letzten zwei Jahren: Untersuchungsrichter wurden getötet, ebenso Zeugen. Beweismaterial wurde während des Krieges vernichtet. Unter solchen Umständen wird ein Prozess zu einem Theater. Aus all diesen Gründen habe ich abgelehnt.

SonntagsZeitung: Der Prozess gegen Saddam wird mit den Nürnberger Prozessen verglichen.

M.H.: Man kann die beiden Prozesse nur zum Teil vergleichen. In beiden Fällen handelt es sich um die Siegerjustiz. Die Nürnberger Prozesse aber hatten ein historisches Ziel. Es ging um eine möglichst vollständige Wahrheitsfindung über die Nazi-Verbrechen.

SonntagsZeitung: Und im jetzigen Prozess?

M.H.: Hier geschieht das Gegenteil: Man nimmt einen kleinen Aspekt des Strafdossiers über das irakische Regime, der spektakulär ist und die irakische Bevölkerung stark emotionalisiert. Die Tragweite des irakischen Terrorregimes wird daraus nicht ersichtlich. Es geht darum, die amerikanische Invasion zu rechtfertigen und Saddam Hussein mit möglichst wenigen Fragen möglichst bald aufzuhängen.

SonntagsZeitung: Um zu beweisen, dass alles mit rechten Dingen zugeht, soll der Prozess im Fernsehen gezeigt werden.

M.H.: Ich bin seit 20 Jahren Strafverteidiger. Ich kann Ihnen sagen, dass 90% eines Strafverfahrens nicht im Gerichtssaal entschieden werden, sondern während der Untersuchung.

Also: Welchen Wert hat ein Prozess, in dem die Verteidigung nicht an den Untersuchungen teilnehmen konnte? Oder die Zeugen nicht aussagen können, weil sie exekutiert wurden oder um ihr Leben fürchten?

Den Saddam-Prozess können Sie wunderbar inszenieren im Stil einer amerikanischen TV-Show mit einem Anwalt und einem Staatsanwalt, die die Klingen kreuzen. Dennoch ist es kein faires Verfahren.

SonntagsZeitung: Warum nicht?

M.H.: Weil man das Gericht als Sondergericht bezeichnen muss. Sondergerichte aber widersprechen sämtlichen Prinzipien internationalen Rechts.

SonntagsZeitung: Inwiefern?

M.H.: Im Lichte der Genfer und Haager Konventionen ist dieses Gericht eindeutig illegal. Besatzungsmächte haben kein Recht, die Gerichtsorganisation eines Staates zu ändern.

Das aber haben die USA getan. Zudem wurden die Richter nicht gewählt, sondern von der Besatzungsmacht nominiert. Man hat den Neffen von Herrn Chalabi eingeflogen.

Dieser war Anwalt in London, Spezialist für Wirtschaftsrecht. Dann wurde er Präsident des irakischen Sondertribunals. Damals, für die Nürnberger Prozesse, entsandten die vier Siegermächte ihre besten Richter.

swissinfo © SonntagsZeitung, Interview von François Tanda

Der gestürzte irakische Führer Saddam Hussein wird angeklagt, den Tod von 143 Shiiten befohlen zu haben, die 1982 an einem Anschlag gegen ihn beteiligt gewesen sein sollten.

Er könnte auch für Genozide und Kriegsverbrechen bei der Tötung von Kurden in den 1980er-Jahren angeklagt werden, wie auch für die Niederschlagung von Kurden- und Schiiten-Aufständen 1991.

Die Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch sagt, dass während des Saddam-Regimes zwischen 1979 und 2003 bis zu 200’000 Oppositionelle umgebracht worden seien.

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