Schweiz wegen mangelnder Suizid-Prävention gerügt
Suizid ist in der Schweiz bei jungen Menschen zwischen 15 und 24 Todesursache Nummer 1. Eine Präventionsstrategie fehlt, Experten rechnen deshalb nicht mit einer Änderung.
Jährlich nehmen sich 1400 Menschen in der Schweiz das Leben, fast dreimal so viel, wie im Strassenverkehr sterben.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bestreitet nicht: In der Schweiz gibt es keine nationale Strategie zur Verhinderung von Suizid. Gemäss Föderalismus-Prinzip ist es Sache der 26 Kantone, Suizid-Prävention zu betreiben.
Unterschiede sind die Folge. Während einige Kantone sehr aktiv seien, täten andere kaum etwas, kritisiert Florian Irminger von der Genfer Organisation Stop Suicide gegenüber swissinfo.
Aktion praktisch ins Leere
Im Vorfeld des Welt-Suizid-Präventionstages vom Montag machte Stop Suicide mit einer provokativen Plakataktion auf ihr Anliegen aufmerksam. Die Aktion wurde von der Stadt Genf unterstützt.
Die Plakate waren aber nur in 27 kleineren und grösseren Städten rund um den Genfersee zu sehen. Dies ist laut Irminger symptomatisch für das Versagen der Schweiz im Kampf gegen die Selbsttötung.
«Die Schweiz ist das am höchsten entwickelte Land, das keine Daten über Selbsttötungen erhebt, und das ist absolut lächerlich», sagt Florian Irminger. Dies umso mehr, als Suizid unter Jungen die erste Todesursache sei.
Einigkeit
Bei der Initiative für ein nationales Projekt für Suizid-Prävention in der Schweiz, die 2003 gegründet wurde, teilt man die Meinung Irmingers. Im so genannten Projekt Ypsilon sind 20 Organsationen aus den Bereichen Medizin und Prävention vereint.
«So lange es keine schweizweite Strategie gibt, sehen wir keine oder nur eine minime Änderung der Lage», sagt Ypsilon-Generalsekretärin Barbara Weil. So sehr sich einzelne Kantone auch bemühten: Erst eine bessere Koordination ermöglicht laut Weil eine genauere Einschätzung der Lage.
Warten auf Grün
Zwar verweist die Expertin auf das neue Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung, doch befinde sich dieses erst im Vorbereitungsstadium. «Es könnten sechs bis zehn Jahre vergehen, bis dieses Gesetz in Kraft tritt. In dieser Zeit bleibt Selbsttötung in der Schweiz ein Problem», fügt sie hinzu.
Salome von Greyerz vom Bundesamt für Gesundheit bestätigt die Vorbereitungsarbeiten am neuen Gesetz, doch dafür bedürfe es noch des grünen Lichts durch den Bundesrat.
Sie stellt aber klar: Unter das neue Gesetz würden zwar Geisteskrankheiten fallen, nicht aber der Suizid, denn die Schweizer Behörden sähen diesen nicht als eine Form von mentaler Erkrankung. «Aber 90% der Selbsttötungen stehen im Zusammenhang mit solchen mentalen Erkrankungen», so von Greyerz.
«Wenn wir also Strategien für Gesundheitsförderung und Prävention im Bereich mentale Krankheiten haben, könnte das die Zahl der Suizide direkt beeinflussen», folgert sie.
Depression auf dem politischen Radar
Immerhin: Seit das BAG vor zwei Jahren eine Studie über Suizid in der Schweiz vorgestellt habe, sei bei den Kantonen in Sachen Kampf gegen Depressionen etwas in Gang gekommen.
Von Greyerz gibt aber zu, dass es bei der Bundesbehörde an Fachpersonal mangle, um wirksame Suizidprävention zu betreiben. Diese habe auch keine politische Priorität.
«Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit stellt Suizidprävention ein wichtiges Ziel dar, aber das ist momentan nicht der Fall», sagt Salome von Greyerz.
swissinfo, Adam Beaumont
(Übersetzung aus dem Englischen: Renat Künzi)
In der Schweiz nehmen sich jedes Jahr rund 1400 Personen das Leben. Das sind mehr Opfer, als Strassenverkehr, Drogen und Aids zusammen fordern.
Jede zehnte Person in der Schweiz nimmt sich das Leben oder unternimmt einen Suizidversuch, ergab eine BAG-Studie von 2005.
Laut einer anderen Studie der Universität Zürich hat die Schweiz zusammen mit den USA die höchste Rate an Selbsttötungen, die mit Feuerwaffen verübt wurden.
Strengere Schweizer Waffengesetze würden die Rate von Selbsttötungen mit Waffen senken, lautete eine der Schlussfolgerungen der Autoren. Laut Schätzungen sind in der Schweiz 3,4 Mio. Waffen im Umlauf.
Parteien und Organisationen aus dem links-grünen Spektrum haben in der Schweiz eine Volksinitiative lanciert, mit der sie die geschätzten 1,5 Mio. Armeewaffen aus den privaten Heimen der Soldaten verbannen wollen. Diese sollen fortan von der Armee gelagert werden.
Weitere Ziele: Die Erstellung eines zentralen, nationalen Waffenregisters, ein Verbot von Kauf und Besitz gefährlicher Waffen wie Automatikgewehre und «Pump actions» sowie strengere Abklärungen im Fall, das jemand eine Waffe besitzen will.
Laut Studien sterben in der Schweiz jedes Jahr 300 Menschen durch Armeewaffen.
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