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Papstbesuch: Positive und kritische Reaktionen

Der Papstbesuch - das Mega-Ereignis in der Schweizer Presse. swissinfo.ch

Obschon körperlich geschwächt, vermag Papst Johannes Paul II. die Massen zu bewegen. Die Presse wertet dies als Erfolg.

Dem positiven Grundton der Kommentare folgt jedoch auch Kritik an der Bedeutung dieses Pastoral-Besuchs. Die Meinungs-Verschiedenheiten blieben unerwähnt.

“Das Phänomen Wojtyla”, “Geheimnis des alten Mannes”, “Die andere Dimension”, “Der alte Mann und seine Enkel”: So lauten einige der Titel in der Schweizer Presse am Montag nach dem Papst-Besuch.

Mit Staunen wird wahrgenommen, wie “hip” der Papst bei vielen Jugendlichen – auch zahlreich erschienen Secondos – ankommt. “So ist Johannes Paul II. der einzige Mensch auf der Welt, neben dem US-Präsident George Bush wie ein Schuljunge in kurzen Hosen aussieht”, schreibt die SÜDOSTSCHWEIZ. “Das kommt an bei den Jugendlichen.”

Sogar die Pace-Flaggen der Friedensbewegung wehten zum Anlass. “Dass jedoch die wenigsten der Jugendlichen bereit sind, die päpstlichen Moralvorstellungen (…) zu leben, tat der Begeisterung keinen Abbruch.”

Fassbar sei es dennoch nicht, was genau die ungebrochene Faszination dieses Papstes ausmache, so die SÜDOSTSCHWEIZ.

“Mit Verstand lässt es sich nicht begründen”, so beginnt DER BUND seine Kommentarspalte. Ein altmodischer, greiser, kranker Mann einerseits, in der ‘Anything-goes-Zeit’ aufgewachsene Jugendliche anderseits, “die ihm frenetisch zujubeln”.

Nicht die zynische Demo-Jugend

“Konkrete Bezüge zur Lebenswirklichkeit der Jugend sucht man vergeblich”, so DER BUND im weiteren. “Und doch: Das Publikum jubelt gar, wenn er eine Pause einlegt, es klatscht, wenn er stockt.”

Man lebe in der Postmoderne: Der Papst sei eine “Ikone wie ein Popstar”. Ob die Jugendlichen hernach stets zur Messe gingen oder die von ihm geforderte Sexualmoral befolgten, dürfe man bezweifeln.

“Es ist andererseits nicht die engagierte, aber zugleich zynische, abgelöschte, oft hasserfüllte Jugend, wie man sie bei gewissen Demonstrationen vorfindet”, schreibt DER BUND.

“Mehr als Geld und Macht”

“Johannes Paul II. ist einer der Letzten, die die Menschen daran erinnern, dass es im Leben um mehr geht als um Geld und Macht”, schreibt die AARGAUER ZEITUNG.

“Der Papst wandte sich ausdrücklich gegen die Illusion der Konsumgesellschaft und die Oberflächlichkeit modischer ‘Eventkultur’ “, schreibt auch die NEUE LUZERNER ZEITUNG. Das sei eben der Wesensunterschied zwischen Prinzenhochzeiten und Papstbesuchen.

“Gekonnt liess der Papst alle Stänkerer alt aussehen”, urteilt der BLICK. “Und auch das ökumenische Gezerre ist für die Jugendlichen in der Praxis des Glaubens längst kein Problem mehr, weil sie Religion als Gefühl leben und nicht als Institution”, wagt der BLICK zu urteilen.

Doch Botschaft heisst noch nicht Inhalt. In der BASLER ZEITUNG geisselt der kritische Theologe Hans Küng das Treffen als “triumphalistischen Personenkult”, an dem kein Dialog stattfand.

Kein politischer Event, aber…

Auch Bundespräsident Joseph Deiss hat sich laut BASLER ZEITUNG nicht gescheut, dem Papst zu erklären, dass die Lehrmeinungen und Gebote des Papstes in einer Demokratie intensiv diskutiert würden.

Zwar habe das Treffen “keine politische Note” gehabt, hätte ihm Joseph Deiss nicht noch eine solche verliehen”, kommentiert schliesslich der TAGES-ANZEIGER. Er habe dem Papst einen regulären Schweizer Botschafter beim Heiligen Stuhl in Aussicht gestellt, “was akkurat zu den Höflichkeits-Adressen unter fast wolkenlosem Himmel passte”.

“Damit normalisieren sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vatikan”, konstatiert die Westschweizer Zeitung LE TEMPS. Nur: “Der Evangelische Kirchenbund gab sich überrascht, vor diesem Entscheid nicht konsultiert worden zu sein und jetzt vor einem Fait Accompli zu stehen”.

Deiss wiederum habe die schweizerischen Rücktrittsforderungen an den greisen Papst getadelt, so der TAGI, “weil sie die Gastfreundschaft verletzten”. “Deiss vergass, dass der Papst selbst die Gastfreundschaft verletzt, indem er die evangelisch-reformierten Kirchen, die für ihn gar keine Kirchen sind, vom Abendmahl ausschliesst.”

“Die Gräben bleiben tief”

Der Ausschluss vom Abendmahl sei besonders stossend, schreibt der TAGI, weil sich der Papst bei seinem letzten Besuch 1984 mit dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund getroffen und zu mehr Ökumene ermuntert habe.

Der Kirchenbund habe sich deshalb zu Recht geweigert, bei der Messe vom Sonntag vertreten zu sein. “Aus dem damaligen Versprechen, über die spezifischen Probleme der Kirche Schweiz nachzudenken, ist nichts geworden.”

“Störrische Kirche Schweiz”

Im Gegenteil: Drei Jahre später habe der Papst seinen “Statthalter” Wolfgang Haas entsandt, der “zu einem noch viel grösseren Problem wurde.” Dies moniert auch der CORRIERE DEL TICINO: “Ausgerechnet nach dem letzten Papstbesuch kam es in der katholische Kirche zu zwei grossen Krisen: Jene rund um Wolfgang Haas, gefolgt von jener um ex-Bischof Hansjörg Vogel, der – von zahlreichen Gläubigern hochgeachtet – sein Amt aufgab, um sich um seinen Sohn zu kümmern”.

Der TAGI kommentiert deshalb als eines der wenigen Schweizer Blätter, dass “auch der Festtaumel nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass der Papst die störrische Kirche Schweiz wieder auf Linie bringen will”.

swissinfo und Agenturen

Johannes Paul II. kam zweimal in die Schweiz: 1984 und am 5. und 6. Juni 2004.

Am Jugendtreffen am Samstag waren rund 14’000 Personen dabei.

An der Sonntagsmesse wurden rund 70’000 Personen gezählt.

“Mit Verstand lässt es sich nicht begründen”, schreibt DER BUND.

“Johannes Paul II. ist einer der letzten, der die Menschen daran erinnert, dass es im Leben um mehr geht als um Geld und Macht”, schreibt die MITTELLAND ZEITUNG.

“Phänomen Wojtyla” – “Diesen Papst umgibt eine Aura, die die Menschen wirklich zu bewegen weiss”, schreibt die SÜDOSTSCHWEIZ.

“Die Gräben bleiben tief”, schreibt der TAGES-ANZEIGER.

“Auch der Festtaumel vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass der Papst die störrische Kirsche Schweiz wieder auf Linie bringen will.”

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