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Pendler setzen mehrheitlich aufs Auto

Immer mehr Pendlerverkehr auf der Strasse. Keystone

Fast sechs von zehn Pendlern benutzen für ihren Arbeitsweg das Auto. Der öffentliche Verkehr hat bei der stark gewachsenen Pendlerzahl an Bedeutung verloren, wie aus der Volkszählung 2000 hervorgeht.

Dieser Trend läuft den Zielen des Bundesrates zuwider.

Die Pendlerströme sind in den vergangenen Jahren rasant angewachsen. Neun von zehn Berufstätigen verlassen gemäss der Volkszählung 2000 für die Arbeit ihr Wohngebäude, 41% mehr als noch vor dreissig Jahren.

65% dieser Pendler arbeiten in einer anderen Gemeinde als sie wohnen. Gemäss der Auswertung des Bundesamtes für Statistik (BFS), die am Dienstag veröffentlicht wurde, hat die Distanz der Arbeitswege zugenommen, nicht aber die Dauer.

Der durchschnittliche Pendler wohnt 13 Kilometer von seinem Arbeitsplatz entfernt und erreicht diesen in 22,9 Minuten. Fast jeder Zweite ist innerhalb einer Viertelstunde am Arbeitsplatz, jeder Dritte ist zwischen 15 und 30 Minuten unterwegs, und eine kleine Minderheit von 2% braucht länger als eine Stunde.

Ernüchternde verkehrspolitische Bilanz

Die Analyse der Pendlerströme ergab in verkehrspolitischer Sicht eine ernüchternde Bilanz, wie Co-Autor Roman Frick vom Berner Büro Infras vor den Medien sagte.

Eine Mehrheit von 58% der Pendler benützen entweder Auto oder Motorrad, im Vergleich zu 48% noch vor zwanzig Jahren. Nur 19% der Pendler liessen sich vom öffentlichen Verkehr zur Arbeit bringen.

Damit hat der öffentliche Verkehr nach dem überdurchschnittlichen Wachstum in den 80er-Jahren wieder an Terrain verloren. Zwar konnte die Bahn ihren Anteil leicht steigern, Busse, Trams und Postautos wurden aber weniger benützt.

9% der Pendler gehen zu Fuss zur Arbeit, je 7% steigen aufs Velo oder kombinieren Auto und öffentlichen Verkehr.

Löbliche Ausnahme: Zürich…

Als löbliche Ausnahme von diesem Trend nannte Frick den Agglomerationsraum Zürich, wo sich der Ausbau des S-Bahn-Netzes bezahlt gemacht habe.

Andererseits zeige das Zürcher Beispiel auch, wie viele Investitionen nötig seien, um den Anteil des öffentlichen Verkehrs auch nur zu halten.

…und die Frauen

Unter den Pendlern sind immer mehr Frauen zu finden. Der Frauenanteil ist per 2000 auf 43% gestiegen, verglichen mit erst 32% vor dreissig Jahren.

Gemäss dem BFS benützen die Frauen für ihren Arbeitsweg häufiger den öffentlichen Verkehr als die Männer. Der ÖV-Anteil sei bei den Frauen zwei Drittel höher. Das Auto wird nur von 49% der Pendlerinnen benützt, im Vergleich zu 58% bei der Gesamtheit der Pendler.

Die Gründe für das unterschiedliche Pendlerverhalten der Frauen sind laut BFS bei den beruflichen Tätigkeiten zu suchen. Über die Hälfte der arbeitstätigen Frauen arbeiten Teilzeit und näher an ihrem Wohnort als dies die Männer tun. Sie bevorzugten deshalb eher den Langsamverkehr.

Siedlungsentwicklung: Negative Bilanz

Eine negative Bilanz zog Fritz Wegelin, Vizedirektor vom Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), zur Siedlungsentwicklung: Sie zeigt eine starke Bevölkerungs-Konzentration auf fünf metropolitane Räume um die Städte Zürich, Basel, Bern, Lausanne und Genf.

Fast drei Viertel der Bevölkerung leben in städtischen Gebieten, wobei vor allem das Wachstum in den Agglomerations-Gürteln rasant ist.

Diese Entwicklung sei ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die Politik angestrebt habe. Sie produziere unverhältnismässig viel Verkehr, Staus und Umweltbelastung.

Die Schweiz – eine einzige Region

“Die Schweiz wird zu einer einzigen Region, in der alle voneinander abhängig sind”, sagt Wegelin gegenüber swissinfo. “Ein Drittel des Gesamtverkehrs in der Schweiz ist Pendler-Verkehr.”

Der öffentliche Verkehr, besonders die Bahn, habe hier mithalten können, vor allem dort, wo viel investiert worden sei, wie zum Beispiel in Zürich. “Aber in den zersiedelten Bergregionen ist ein alternatives Angebot zum motorisierten Privatverkehr unmöglich”, so Wegelin.

Für den Ökonomen Hansjörg Blöchinger von BAK Basel Economics sind die politischen Konsequenzen aus dieser Entwicklung bereits in Gang: “Das Schweizer Volk hat im Februar den ‘Avanti’-Gegenvorschlag abgelehnt”, sagt er gegenüber swissinfo.

Die Vorlage von Parlament und Regierung war ein Verkehrspaket, das allen etwas geboten hätte: Ausbau des Autobahn-Netzes wie auch Förderung des Agglomerations-Verkehrs auf Strasse und Schiene.

Soziale Komponente

Die Städte wachsen nicht mehr (in 30 Jahren +5,5%), dafür aber die städtischen Agglomerationen (in 30 Jahren +64%).

“Mit dem Anwachsen des Privatverkehrs und damit der Mobilität sind neue Probleme erwachsen, aber auch eine neue Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft”, sagt Antonio Da Cunha von der Universität Lausanne gegenüber swissinfo.

Da Cunha verweist auf die soziale Komponente dieser Entwicklung: Familien mit Kindern ziehen in der Regel in die Agglomeration, in den Kernstädten sammeln sich vor allem Ledige, Alleinstehende oder ältere Menschen.

ARE-Vizedirektor Wegelin zieht den Schluss, Bund und Kantone müssten hier bis in die Quartiere Einfluss nehmen, um eine Negativspirale der sozialen Segregation zu vermeiden.

swissinfo und Agenturen

Volkszählung 2000:

42,9% der Erwerbstätigen benutzen für ihren Arbeitsweg den Personenwagen.

20,7% die öffentlichen Verkehrsmitteln.

Der Rest geht zu Fuss, mit dem Velo oder dem Werkbus oder macht keine Angaben.

Der typische Schweizer Pendler erreicht seinen Arbeitsplatz in knapp 23 Minuten, legt 13 Kilometer zurück und benützt mehrheitlich das Auto.

Der öffentliche Verkehr hat bei der stark gewachsenen Pendlerzahl an Bedeutung verloren, wie die Volkszählung 2000 zeigt.

Der Trend zur Verstädterung hält an. Fast drei Viertel der Bevölkerung leben in städtischen Gebieten, wobei vor allem das Wachstum in den Agglomerationsgürteln rasant ist.

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