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Tessiner stimmen für Burka-Verbot in der Verfassung

Das Tessiner Stimmvolk sagt deutlich Ja zur Initiative von Giorgio Ghiringhelli, die das Burka-Tragen verbieten will. Keystone

Das Tessin ist der erste Kanton der Schweiz, in dem das Tragen von Burka oder Nikab an öffentlichen Orten verboten wird. Eine entsprechende Verfassungsinitiative fand am Wochenende eine klare Mehrheit. Eine Unsicherheit bleibt, denn das Schweizer Parlament muss die neue Verfassungsklausel noch absegnen.

Bei der Volksabstimmung sprachen sich an diesem Wochenende 65,40 Prozent der Tessiner Stimmenden für einen neuen Verfassungsartikel aus, welcher das Verbot einer Ganzgesichtsverhüllung an öffentlichen Orten beinhaltet. Auch der Gegenvorschlag, der vom Parlament ausgearbeitet wurde, fand eine Mehrheit von 59,83 Prozent. Dieser sah vor, das Verbot nur auf Gesetzesebene einzuführen und nicht in der Verfassung.

In der Eventualfrage – Initiative oder Gegenvorschlag – sprachen sich : 52,42 Prozent für die Initiative aus, 36,75 Prozent für den Gegenvorschlag. Damit hat die Volksinitiative klar gesiegt. Die Stimmbeteiligung lag bei 46 Prozent.

Das Ergebnis entspricht ungefähr dem Resultat von 2009, als über das Bauverbot von Minaretten befunden wurde. Damals befürworteten 68,1 Prozent der Tessiner dieses Verbot, das eine Mehrheit auf eidgenössischer Ebene fand.

Die Volksinitiative

Gemäss der Volksinitiative wird ein neuer Artikel in die Kantonsverfassung aufgenommen, wonach «niemand in öffentlichen Strassen und Plätzen das eigene Gesicht verschleiern oder verbergen kann.» Betroffen von einer solchen Regelung wären Ganzgesichtsverhüllungen wie  Burka oder Nikab, nicht aber das einfache Kopftuch. 

Die Initiative wurde im März 2011 mit 11‘767 gültigen Unterschriften eingereicht. Initiant war der politische Einzelkämpfer und ehemalige Journalist Giorgio Ghiringhelli aus Losone. Im Unterstützerkomitee befanden sich auch  Frauen wie die ehemalige rechtsfreisinnige FDP-Staatsrätin Marina Masoni oder die ehemalige SP-Grossrätin Iris Canonica.

Der Grosse Rat machte sich schliesslich mehrheitlich einen Gegenvorschlag zu eigen, der die Vorschriften der Initiative aufnimmt, aber als Gesetzestext formuliert. Das Votum der Grossräte erfolgte am 17.April 2013: 41 Ja, 25 Nein und 15 Enthaltungen.

Da die Volksinitiative nicht zurückgezogen wurde, kam es am 22. September 2013 zur Abstimmung über Initiative und Gegenvorschlag.

Promoter «hoch erfreut»

Der Promoter der Initiative, der ehemalige Journalist Giorgio Ghiringhelli (61), ein politischer Einzelkämpfer, zeigte sich hocherfreut über den Ausgang der Abstimmung. «Damit schreiben wir Geschichte», sagte er im Garten seines Hauses von Losone gegenüber swissinfo.ch. Denn das Tessin sei der erste Kanton, in dem das Volk ein Verbot zur Gesichtsverhüllung gut heisse. Selbst das russische Fernsehen war gekommen, um Ghiringhelli zu interviewen.

Ghiringhelli hatte stets den präventiven Charakter dieser Massnahme betont, da in der Tessiner Realität kaum vollverschleierte Frauen zu sehen sind. Nur gelegentlich verlieren sich arabische Touristinnen mit Burka oder Nikab in den Südkanton.

Für Ghiringhelli ging es auch darum, ein Zeichen gegen den «militanten Islamismus» zu setzen, wie er ausführte. Er hofft zudem, dass das Votum im Tessin eine Signalwirkung für andere Kantone haben wird.

«Image-Schaden für Kanton» 

Keinen Gefallen am Abstimmungsresultat hatte der Rechtsanwalt und ehemalige Staatsanwalt Paolo Bernasconi, der sich als Unabhängiger für ein doppeltes Nein einsetzte. Er vertritt die Auffassung, dass die Initiative gegen europäisches Menschenrecht verstosse. Zudem sieht er darin ein schlechtes Zeichen für das Image des Kantons Tessin: «Das Verbot ist völlig lächerlich.»

Überrascht vom Resultat zeigte sich Bernasconi aber nicht: «Der Kanton Tessin driftet immer weiter nach rechts ab und eine wirkliche Opposition fehlt.» Es habe nicht einmal ein Komitee für ein Doppeltes Nein gegeben. Er werde nun lobbyieren, damit das Schweizer Parlament die Verfassungsänderung ablehne. 

Späte Debatte

Tatsächlich setzte die öffentliche Debatte um das Für und Wider des Verbots einer Ganzgesichtsverhüllung an öffentlichen Orten im Tessin erst sehr spät ein. Dies lag an der langen politischen Sommerpause, aber auch daran, dass die grosse Mehrheit der politischen Parteien die Vorlage, zumindest im Rahmen des Gegenvorschlags, begrüsste.

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Bekämpft wurde die Initiative durch Amnesty International. Die

Nichtregierungsorganisation schaltete genauso wie Human Rights Watch mehrere Anzeigen in den Tessiner Tageszeitungen und warb für ein doppeltes Nein. Die Gesichtsverhüllung aus religiösen Gründen stelle keinerlei Gefahr für die öffentliche Ordnung und die Sicherheit dar.

Die «European Muslim League» (EML) und der «Islamische Zentralrat Schweiz“ (IZRS) nahmen letzte Woche in einer gemeinsamen Medienkonferenz in Lugano dezidiert gegen ein Verbot des islamischen Gesichtsschleiers Stellung. Man geisselte die Initiative als «diskriminierende Sondergesetzgebung.»  Verschleierte Frauen verteilten Flugblätter gegen das Verbot.

Schweizer Parlament muss gewährleisten

Trotz der Volksabstimmung ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Da es sich um eine kantonale Verfassungsänderung handelt, muss das Schweizer Parlament den Text im Rahmen einer so genannten «Gewährleistung» noch absegnen.

Und da mit der Burka-Verfassungsbestimmung Fragen der Religionsfreiheit tangiert werden, könnte es bei dieser Gewährleistung zu einer kontroversen Diskussion kommen. Das Schweizer Parlament hat bisher alle Vorstösse für ein Verbot der Ganzgesichtsverhüllung gebodigt. Auch der Bundesrat war dagegen.

Zudem hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg noch nicht zu den Beschwerden gegen das Burka- und Nikabverbot in Frankreich geäussert. Vielleicht will man das Urteil der dortigen Grossen Kammer abwarten.

Tourismusbranche gelassen

Die Annahme der Initiative  bedeutet auch, dass Touristinnen aus arabischen Ländern oder Konvertierte mit Burka oder Nikab ihre Kleidungsstücke im Tessin nicht tragen können.

Allerdings sind bis anhin nur wenige dieser Touristinnen gesichtet worden. Die Tourismusbranche hat bereits im Vorfeld der Abstimmung gelassen auf das allfällige Verbot reagiert. Es habe für den touristischen Alltag praktisch keine Bedeutung.

Noch unklar ist, wie das Verbot von den Ordnungshütern in der Praxis durchgesetzt werden soll, falls dagegen verstossen wird. Die Polizei hat bis anhin keine entsprechenden Weisungen erhalten, wie die Tessiner Tagespresse schrieb. Das Gesetz sieht  Geldstrafen als Sanktionen vor.

Resultate in Kantonen und Gemeinden

Kein Ausländerstimmrecht

Ausländerinnen und Ausländer im Kanton Zürich dürfen weiterhin politisch nicht mitreden – auch nicht auf Gemeindeebene. Die Stimmberechtigten des Kantons haben die Volksinitiative «Für mehr Demokratie» mit 75 Prozent Nein-Stimmen abgeschmettert.

Rote Karte für Fussballstadion

Die Grasshoppers und der FC Zürich tragen ihre Heimspiele weiterhin im Letzigrund aus. Die Stadtzürcher Stimmberechtigten lehnten einen Kredit über 220 Millionen Franken für ein reines Fussballstadion auf dem Hardturm-Areal ab.

Die beiden Super-League-Klubs, die sich auch an der Betriebsgesellschaft beteiligen wollten, hofften im neuen Stadion auf grössere sportliche Erfolge dank mehr Publikum und besserer Stimmung. Diese wolle im Letzigrund, einem Leichtathletik-Stadion, nicht aufkommen, weil die Leute zu weit weg vom Spielfeld platziert würden.

Weitergabe von Glencore-Geldern

Die Gemeinde Hedingen im Kanton Zürich gibt einen Teil der Glencore-Gelder an Hilfswerke weiter. Die Stimmberechtigten sprachen sich für die Initiative «Rohstoffmillionen – Hedingen handelt solidarisch» aus. 110’000 Franken wird die Gemeinde für Hilfsprojekte in Ländern unterstützen, in denen Glencore International PLC im Rohstoffabbau und -handel tätig ist, wie das Initiativkomitee mitteilte.

Ohne Kohlekraft

Im Kanton Graubünden haben die Stimmenden Ja gesagt zur Initiative «Ja zu sauberem Strom ohne Kohlekraft». Das Abstimmungsresultat blockiert Investitionen für eine Kohlekraftwerk in Kalabrien im Süden Italiens, das von der Bündner Kraftwerbetreiberin Repower betrieben wird. Der Kanton Graubünden ist Hauptaktionär von Repower.

Die Mehrheit des Kantonsparlaments hatte sich gegen die Initiative ausgesprochen aber einen Gegenvorschlag gemacht, der die Investitionen nicht verhindert, aber gefordert hätte, dass in Zukunft Investitionen in andere Kohlekraftwerke nur bei «substanziellen CO2-Reduktionen» möglich wären.  

(Quelle: sda)

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