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Radsport kommt nicht aus dem Dopingsumpf heraus

Radrennen und Doping werden immer mehr zu einem einzigen Begriff. Keystone

Nach der positiven Doping-Kontrolle des Radprofis Alexander Winokurow und dem Rückzug des Astana-Teams wird die Tour de France je länger je mehr zur "Tour de farce".

Die Regierungen würden zu wenig resolut gegen das illegale Treiben vorgehen, sagt der weltweit bekannte Anti-Doping-Experte Alessandro Donati im Gespräch mit swissinfo.

Zum zweiten Mal hintereinander wird die Tour de France von einem Dopingskandal erschüttert.

Nach der positiven Testosteron-Kontrolle des letztjährigen Siegers Floyd Landis, dem der Titel nachträglich aberkannt wurde, bleibt 2007 erneut einer der Favoriten im Netz der Dopingfahnder hängen.

Gemäss den Doping-Proben, die nach seinem Sieg im Zeitfahren am Samstag in Albi genommen wurden, hat sich der Kasache Alexander Winokurow Blutdoping verabreichen lassen.

Das in der Schweiz domizilierte Rennteam Astana und ihr Kapitän Winokurow verliessen darauf am Dienstag Abend die Tour.

Derweil steht auch der derzeitige Tourleader Michael Rasmussen unter Dopingverdacht. Er wird vom internationalen Radsport-Verband UCI beschuldigt, bei zwei unangekündigten Dopingproben nicht auffindbar gewesen zu sein. Beim Etappenstart am Mittwoch wurde der Träger des Maillot jaune von den Zuschauern ausgebuht.

Während der Tour ins Netz der Fahnder geraten ist der Deutsche Patrik Sinkewitz, der positiv getestet wurde. Am Mittwoch wurde zudem bekannt, dass der Italiener Cristian Moreni vom Cofidis-Team als Doper entlarvt wurde.

swissinfo sprach mit Alessandro Donati, Berater der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA).

swissinfo: Noch bevor die Tour de France zu Ende ist, sagen Sie, dass der Sieger nicht sauber sein werde. Was veranlasst Sie zu dieser Vermutung?

Alessandro Donati: Praktisch alle gegenwärtigen Sportdirektoren sind Ex-Radrennfahrer, die die Dopingzeiten voll miterlebt haben. Es besteht also eine absolute Kontinuität.

Die verschiedenen Mannschaften wahren bezüglich Doping strengste Zurückhaltung. Aus Angst, dass sich die Gegner weiter dopen, wagt keiner damit aufzuhören.

Die Profi-Radrennfahrer, die sich seit Jahren dopen, kennen ihre eigenen Grenzen gar nicht mehr. Und sie wissen nicht, wie sich ein Doping-Verzicht physisch und psychologisch auswirken würde.

swissinfo: Verschiedene deutsche Fernsehsender sowie die Schweizer Tageszeitung Le Nouvelliste haben nach dem Fall Sinkewitz entschieden, nicht mehr über die Tour de France zu berichten. Finden Sie diesen Entscheid richtig?

A.D.: Ja, sicher. Die Medien, die am Radrennsport hängen, müssen klar Stellung beziehen. Dieser Entscheid hat auch etwas mit Selbstkritik zu tun. Die Medien sind sich bewusst geworden, dass sie zu lange einem gefährlichen Spektakel viel Platz eingeräumt haben.

Krebsen die Medien zurück, ist die Sportwelt verloren. Und die Politiker werden gezwungen, Position zu beziehen.

Man darf auch nicht vergessen, dass ein Übertragungs-Stopp der Fernsehsender, den kommerziellen Erfolg der Tour de France mindert und den Druck auf die Sponsoren erhöht.

Die Sponsoren haben gemerkt, dass Doping-Skandale nicht unbedingt mit wirtschaftlichen Einbussen verbunden sind. Als Ben Johnson an der Olympiade in Seoul 1988 in einen Doping-Skandal verwickelt war, hat sein Sponsor den Gewinn sogar noch gesteigert.

swissinfo: An was fehlt es, um effizient gegen Doping vorzugehen?

A.D.: Dem Anti-Doping-Gesetz fehlt vor allem eines: die Unterstützung der Regierungen und des Rechtssystems. Die politischen Führer haben den Spitzensport immer umworben, aber nie eingegriffen. Im Gegenteil: Sie haben die gesamte Verantwortung dem Sportbetrieb abgegeben.

Dieser wollte das Doping-Problem jedoch nur etwas eindämmen. Aber es wurde nie versucht, den Rückstand von rund 10 bis 15 Jahren aufzuholen, den die Antidoping-Bewegung gegenüber neuen Dopingmitteln hat.

Ich bin der Meinung, dass man eine Art digitalen Gesundheitspass einführen sollte, auf dem die Resultate der periodischen Überprüfungen und Analysen abrufbar sind. Sind die physiologischen Parameter während einer Kontrolle abweichend, muss der Athlet aussetzen, bis die Werte wieder auf normalem Niveau sind.

swissinfo: Welche Rolle spielen die grossen Organe wie der internationale Radsport-Verband (UCI), das Olympische Komitee (IOC) oder die WADA?

A.D.: Der UCI und das IOC sind zu sehr vom wirtschaftlichen Aspekt des Sports eingenommen. Die ethische Frage rückt in den Hintergrund. Die WADA hingegen ist auf dem rechten Weg, aber sie ist noch etwas schwach, denn als privates Organ ist der Dialog mit öffentlichen Stellen schwierig.

Bis jetzt hat sie sich auf die Doping-Bekämpfung als einzige Lösung des Problems gestützt. Nun werden aber auch alternative Lösungen geprüft, wie etwa der medizinische Pass.

swissinfo: Sie sagen, die Schweiz stehe wie bei der Geldwäscherei auch beim Geschäft mit Doping-Produkten im Zentrum. Können Sie das erläutern?

A.D.: Die Schweiz spielt diesbezüglich eine wichtige, aber auch sehr negative Rolle. Früher war es mehr als einfach, zu diesen illegalen Produkten zu kommen: Sie wurden in den Apotheken frei verkauft.

Heute sind in erster Linie Länder in Osteuropa sowie Griechenland, Spanien, Holland und Deutschland in den Doping-Markt involviert. Einige Länder – darunter Frankreich, Italien und Österreich – haben inzwischen ein Anti-Doping-Gesetz eingeführt. Es ist an der Zeit, dass die Schweiz mitzieht.

swissinfo-Interview: Luigi Jorio
(Übertragen aus dem Italienischen: Corinne Buchser und Christian Raaflaub)

Der 60-jährige Alessandro Donati gehört zu den renommiertesten Dopingaufklärern weltweit.

Der ehemalige Leichtathletiktrainer der italienischen Nationalmannschaft hat zahlreiche Doping-Skandale aufgedeckt.

So stellte Donati bei der Rad-WM in Rom Giovanni Evangelisti an den Pranger. Er war es auch, der auf das systematische Epo-Doping im Radrennsport sowie den Einsatz von Doping im Fussball hinwies.

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht hat er erstmals den weltweiten Schwarzmarkt von Dopingmitteln eingeschätzt.

In einem Gespräch mit swissinfo erklärte der Chef des Schweizer Verbands für Radsport, dass Fahrer, die sich dopen, von gewissen Ländern Lizenzen erhalten, in denen es keine Tests gibt.

Laut Lorenz Schläfli kämpfen die Verbände, die das Doping eliminieren wollen, gegen eine Mafia von Leuten, die im Sport finanzielle Interessen verfolgen.

Eine Säuberung des Radsports sei möglich, sagte Schläfli. Aber nur wenn das ganze Umfeld des Radsports verändert werde: die Ärzte, Sportdirektoren und Manager. “Wir müssen sehr hart sein und wieder am Punkt Null beginnen.”

Nach den deutschen Fernsehsendern ARD und ZDF, die seit letzter Woche auf Direktübertragungen des Radrennens verzichten, hören nun auch die Zürcher Zeitung Tages-Anzeiger und der Walliser “Le Nouvellist” mit der Berichterstattung über die Tour de France auf.

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