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Rücktritt zum “bestmöglichen” Zeitpunkt

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Die Schweizer Zeitungen würdigen den Abgang von Verteidigungsminister Samuel Schmid unterschiedlich. Aber alle fragen sich: Wie ernst ist es der Schweizerischen Volkspartei mit der Rückkehr in den Bundesrat?

“Eine Chance für die Schweiz”, “ein guter Entscheid für dieses Land” aber auch “SVP vor Zerreissprobe” kommentieren die Schweizer Zeitungen am Donnerstag den Rücktritt des Berner Bundesrats der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP).

Der Rücktritt zu diesem Zeitpunkt sei “politisch konsequent”, meint die Neue Zürcher Zeitung. “Er kommt gerade noch rechtzeitig, und er verdient Respekt.”

Auch der Kommentator des Tages Anzeigers ist der Meinung: “Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt: Schmid demissionierte am Tag nach seinem Sieg in der Sicherheitspolitischen Kommission, wo er das Rüstungsprogramm nach monatelangem Widerstand durchgebracht hatte.”

“Schmids bitteres Ende”, titelt Der Bund aus Bern. “Mit seinem Rücktritt per Ende Jahr nimmt Samuel Schmid den ersten Ausgang, der ihm ein halbwegs gesichtswahrendes Karriereende sichert.”

“Ein freiwilliger Rücktritt unter Druck”, schreibt die Aargauer Zeitung und würdigt ebenfalls den gewählten Zeitpunkt: “Die Gallenblasen-Operation und der sich abzeichnende Durchbruch beim Rüstungsprogramm bauten ihm offenbar diese Brücke.”

Blochers Antithese

“Niemand wird Bundesrat Samuel Schmid nachtrauern”, schreibt der Kommentator der Boulevardzeitung Blick. “Samuel Schmid konnte gar nicht gewinnen.” Er habe seinen Job aber nicht besser oder schlechter als viele andere Bundesräte gemacht.

Warum er trotzdem so viel Kritik auf sich gehäuft hat? Der Blick weiss es: “Weil Samuel Schmid die Antithese zur dominierenden Figur der Zeit war.” Er spricht damit Partei-Übervater Christoph Blocher an, der später Schmids Bundesratskollege und Angstgegner in der Regierung wurde.

Zurück zur Konkordanz

“Zurück zur Stabilität”, heisst es in der Luzerner Zeitung. “Mit Schmids Rücktritt eröffnet sich nun die Chance auf ein Stück Rückkehr zu klassisch schweizerischen Verhältnissen.”

Die Konkordanz, die Vertretung der grossen Parteien in der Regierung, könnte schrittweise wieder hergestellt werden.

“Schmid geht, und wenn er gestern sagte, er tue dies ‘meinem Land zuliebe’, dann steckt hinter dem Pathos auch eine Prise Wahrheit”, heisst es in der Basler Zeitung.

Denn der Rücktritt eröffne der Schweizerischen Volkspartei (SVP), zu der Schmid bis Anfang Jahr gehörte, die Rückkehr in die Landesregierung und damit eine schrittweise Wiederherstellung der Konkordanz im Bundesrat.

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Konkordanz

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“Blocher keine Option”

Genauso sieht es auch der Tages Anzeiger: “Die 30 Prozent aller Wählenden, die sich im letzten Herbst für die SVP aussprachen, haben ein Recht, im Bundesrat vertreten zu sein.”

Dazu gehöre aber auch, dass die SVP konstruktiv mit den anderen Parteien zusammenarbeite. “Christoph Blocher traut dies das Parlament nicht zu.” Auch für den Blick ist klar: “Blocher hat sich unwählbar gemacht.”

Konkordanz umfasse auch die “Bereitschaft, sich in einem Regierungskollektiv konstruktiv und loyal einbinden zu lassen”, schreibt die NZZ. “Dem gilt es nun Rechnung zu tragen. Es gibt bei der SVP durchaus valable und mehrheitsfähige Kandidaten. Christoph Blocher gehört nicht mehr dazu.”

Und Der Bund stellt die Gretchenfrage: “Jetzt wird man sehen, wie weit die Emanzipation vom Übervater der SVP fortgeschritten und wie gross die Zahl jener ist, die dem bald 68-Jährigen die Stirn zu bieten wagen.”

SVP unter Druck

Die Aargauer Zeitung sieht nach dem Rücktritt die frühere Partei Samuel Schmids unter Druck: “Die SVP wird der Zerreissprobe der Blocher- und der Oppositionsfrage ausgesetzt.”

Auch Die Südostschweiz sieht in Blochers Ankündigung einer erneuten möglichen Kandidatur eine schwere Hypothek: “Blochers Aspirationen werden die Partei vor eine Zerreissprobe stellen.”

Die Westschweizer Zeitung Le Temps ist der Meinung, Blocher scheine nicht zu begreifen, dass seine Entscheidung einer Kandidatur schliesslich entscheidend sein werde für die Frage, ob die SVP in der Opposition bleibe oder nicht.

Für die Basler Zeitung wurde am Mittwoch klar: “Die SVP will wieder an die Macht. Die Partei muss das jetzt nur noch Christoph Blocher beibringen.”

swissinfo, Christian Raaflaub

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Bundesrat

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Bundesrat ist die Schweizer Regierung (Exekutive). Sie besteht aus sieben Mitgliedern, die alle vier Jahre vom Parlament (Vereinigte Bundesversammlung) gewählt oder bestätigt werden. Ein Mitglied der Landesregierung wird “Bundesrat” oder “Bundesrätin” genannt. Jeder Bundesrat, jede Bundesrätin, steht einem Departement als Minister oder Ministerin vor. Aus ihrer Mitte wird jährlich abwechselnd nach Amtsdauer der Bundespräsident…

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Geboren 1947, verheiratet, drei Söhne.

Studium der Rechte an der Universität Bern mit Abschluss als Fürsprecher (1973) und Notar (1978).

Nach kurzer Tätigkeit bei der eidgenössischen Finanz-verwaltung (1973) Eintritt in ein Anwaltsbüro in Bern.

Ab 1978 selbständiges Advokatur- und Notariatsbüro in Lyss, ab 1998 Rechtskonsulent in Bern.

Verschiedene Führungs-funktionen in Wirtschaft und Wirtschaftsverbänden.

Beginn der politischen Karriere als Mitglied der Legislative und später der Exekutive in der Gemeinde Rüti bei Büren.

Von 1982 bis 1993 Mitglied Berner Kantonsparlament.

Seit 1994 im Parlament, zuerst als Nationalrat (1994-1999), dann als Ständerat (1999-2000).

1998 bis 1999 SVP-Fraktionspräsident.

Am 6.12.2000 vom Parlament zum Bundesrat gewählt. Amtsantritt am 1.1.2001.

2005 ist er Bundespräsident. Ende 2008 tritt er nun zurück.

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