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Schüleraustausch einmal anders

Der Schüler-Austausch: Andere Kulturen kennenlernen swissinfo.ch

Das Kennenlernen verlief virtuell: Schulklassen aus einem Gymnasium in Bern und einem in Ejea de los Caballeros in Nord-Spanien kommunizierten via Internet und arbeiteten an gemeinsamen Projekten.

Jetzt kamen die spanischen Jugendlichen nach Bern.

Das Austausch-Projekt, das im Januar auf virtueller Ebene begann, dauert vier Monate. In einigen Wochen werden die Schüler und Schülerinnen aus dem Gymnasium Neufeld in Bern nach Ejea de los Caballeros reisen, um sich ein Bild vom (Schul)leben dort zu machen.

Die Jungen und Mädchen wurden von den Lehrkräften in Paare eingeteilt. In dieser Zusammensetzung kamen sie sich über das Internet näher – und als die Gäste aus Spanien in Bern eintrafen, war da so ein Gefühl, als “kenne man sich schon etwas”. Aus der virtuellen Welt wurde eine reale.

Persönliche Kontakte sind unabdingbar



Initianten des Projekts in Bern sind die beiden Spanisch-Lehrer Enrique Ros und Antonio Moreno. “Wenn man ein vereinigtes Europa aufbauen will, sind solch persönliche Kontakte zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen unabdingbar”, sagt Enrique Ros im Gespräch mit swissinfo.

Die Jugendlichen aus Spanien und der Schweiz im Alter zwischen 16 und 18 Jahren haben viele ähnliche Interessen. Was das tägliche Leben angeht, gibt es aber auf beiden Seiten Klischee-Vorstellungen – und reale Unterschiede.

Das frühe Abendessen



“Der Tagesablauf hier ist mir sehr fremd”, erklärt Jesús – und spielt damit auf die Essenszeiten an, vor allem am Abend. Denn in Spanien wird im Vergleich zur Schweiz sehr spät gegessen. Und: “Scharf kochen sie hier. Und viel Pasta!”

Immer wieder kommt das Thema Essen auf. “Alles schmeckt irgendwie anders”, sagt Marisa.

Auf die Frage, was er vom Besuch der Schüler und Schülerinnen aus Spanien erwartet habe, sagt Ricardo: “Ich war gespannt darauf, die beiden Kulturen zusammen agieren zu sehen. Ich habe dann schnell gemerkt, dass es doch ziemliche Unterschiede gibt. Wir haben ganz andere Gewohnheiten.”

Grosser Gruppendruck

Die unterschiedlichen Gewohnheiten erstreckten sich vom Umgang unter Kollegen über den Ausgang bis eben hin zum Essen, sagt Ricardo, dessen Mutter aus Mexiko stammt, weiter. “Die Gruppendynamik scheint mir bei unseren Gästen mehr Gewicht zu haben, als bei uns. Auch ihr Umfeld erscheint mir sehr anders. Sie haben in verschiedener Hinsicht andere Ansichten und Einschätzungen.”

Martina hätte erwartet, dass sich die Gäste mehr in die Familien integrieren würden. “Doch dann waren wir praktisch nur zu Hause, um zu duschen, uns zu schminken und umzuziehen – und dann gleich wieder los. Fiesta, fiesta eben.”

Zudem, so Martina, herrsche ein unglaublicher Gruppendruck unter den spanischen Jugendlichen. “Zum Beispiel das Rauchen. Wenn wir nicht in Gruppen unterwegs sind, denken viele kaum ans Rauchen.”

Auf jeden Fall, sagt Martina, habe sie viel gelernt über Spanien, ein Land, dem es wirtschaftlich nicht so gut gehe wie der Schweiz. “Es ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass meine spanische Kollegin Ruth alles sehr, sehr teuer fand.”

Die Geschichte mit den Stereotypen

Zu den Stereotypen der Jugendlichen aus Spanien gehörte das Bild eines strikten, formellen Landes mit leeren Strassen, in dem auch die Jugendlichen viel zu Hause sitzen. Ein Klischee, das sich auch in den Köpfen der Lehrerinnen eingenistet hatte – und revidiert wurde.

Dazu Marisa: “Ich hatte das Bild eines eher langweilig ruhigen Landes in Mitteleuropa. Jetzt bin ich erstaunt zu sehen, wie viel hier los ist.”

Ähnlich tönt es bei Jesús: “Der Besuch hier ist eine gute Erfahrung. Die Stadt gefällt mir, auch wenn bei uns in Sachen Ausgang noch mehr Bewegung herrscht.”

Auch Mariano musste sein Bild revidieren: “Die Leute hier unternehmen viel mehr, als ich gemeint hatte.”

Die “Marcha” nimmt bei den meisten der spanischen Jugendlichen viel Platz ein, es gibt aber Ausnahmen. So Mirjella, die bei Anna untergebracht war – und die nach eigenen Angaben auch in Ejea nur selten ausgeht.

“Sie war überhaupt sehr zurückhaltend, zeigte eigentlich auch weniger Interesse an der Schweiz, als ich erwartet hatte”, sagt Anna.

Ein Ziel des Projektes ist auch, Ängste vor dem Gebrauch einer fremden Sprache abzubauen. “Ich merke, dass ich spontaner, freier spreche. Ich habe auch schon mit Mirjellas Mutter telefoniert”, so Anna weiter.

Die Zwischenbilanz der Lehrkräfte



“Ich hoffe, die Gruppe aus Spanien konnte sich in diesen Tagen ein Bild machen vom täglichen Leben hier, in der Schule und in der Freizeit. Ich denke, dazu ist der zwischenmenschliche Kontakt unerlässlich”, so Lehrer Enrique Ros.

So weit er es einschätzen könne, ziehe er eine sehr positive Bilanz. Die Jugendlichen hätten viel Interesse aneinander und am jeweiligen andern Land gezeigt.

“Das Klischee einer demotivierten, apolitischen, apathischen Jugend stimmt auf jeden Fall nicht. Ich spürte viel Enthusiasmus, Liebe gar, das hat mich berührt. Natürlich war der Kontakt nicht bei allen gleich eng. Dies kann an Charakter-Eigenschaften liegen oder an der Sprach-Barriere.”

Zum Teil seien die Erwartungshaltungen unterschiedlich gewesen. Und natürlich habe es auch Probleme gegeben, doch das gehöre zu solchen Austausch-Projekten, unterstreicht Ros.

“Austausch heisst ja nicht nur, es lustig und schön miteinander zu haben, sondern einander zu begegnen, grundsätzlich, sowohl im Positiven wie im Negativen.”

Auch die spanischen Lehrerinnen Eva Tejero und Marta Arjas ziehen eine positive Bilanz der bisherigen Erfahrungen. Alles sei sehr gut organisiert gewesen, die Familien hätten sich sehr engagiert gezeigt. Und natürlich sei die Schule in Bern besser ausgerüstet als jene in Ejea, einer Stadt mit rund 20’000 Einwohnern.

“Ich bin gespannt zu sehen, wie die Jugendlichen aus der Schweiz auf unsere Umgebung reagieren werden. Hier ist alles grün, bei uns ist es hingegen fast wie in der Wüste, sehr trocken”, sagt Marta Arjas.

Die Jungfrau



Eindruck hinterliess ein Besuch der Gruppe auf dem Jungfraujoch. “Ich glaube weder ich noch die 34 Jugendlichen werden diese Exkursion je vergessen”, schwärmt Eva Tejero.

Auch für Marta Arjas war die Fahrt zum “Top of Europe” ein prägendes Element des Aufenthalts: “Ich weiss, dass viele Menschen in der Schweiz noch niemals dort waren. Und wir schafften es, obschon wir nur sechs Tage hier waren. Es war eindrücklich.”

Ende März werden sich die Berner Jugendlichen in Ejea de los Caballeros ein Bild machen vom Leben dort.

swissinfo, Rita Emch

Ziele des Projektes: Gegenseitiger Einblick in den Schulalltag, Umgang mit neuen Kommunikations-Techniken, gemeinsames Erarbeiten von Themen.

Austausch-Projekte in Schulen sind heute weit verbreitet. Mit “Educanet” steht den Schweizer Lehrpersonen ein virtuelles Klassenzimmer zur Verfügung.

Dieses Angebot nutzten Enrique Ros und Antonio Moreno, Spanisch-Lehrer am Gymnasium Neufeld. So können nun die Spanisch-Schüler und –Schülerinnen aus Bern mit jenen des Gymnasiums Ejea de los Caballeros (Nordspanien) kommunizieren.

Finanziert wird das Projekt vom Gymnasium Neufeld mit 350 Fr. pro Schüler. Dazu kamen rund 12’000 Fr., welche die Jugendlichen von privaten Sponsoren und mit dem Verkauf von Süssigkeiten sammelten.

Finanziell mitgetragen wird der Schüleraustausch zudem mit 10’000 Fr. von Präsenz Schweiz, der Image-Organisation des Bundes für den Auftritt der Schweiz im Ausland. Dies ermöglichte unter anderem einen Ausflug auf das Jungfraujoch.

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SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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