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Schweiz als Umschlagplatz für Steuerbetrug in der EU

Mobiltelefone und andere Waren werden auch durch die Schweiz geschleust. Keystone

Kriminelle Gruppen scheinen die Schweiz zunehmend zu benützen, um Länder der Europäischen Union (EU) um Milliarden Euro Mehrwertsteuern zu betrügen.

Das Schweizer Steuergeheimnis und die Nähe zu den Ländern der EU sind ideale Voraussetzungen für einen Prozess, in dem Mobiltelefone und Computerchips in eine Art “Karussell-Betrug” umgeleitet werden.

Eine britisch-deutsche Zollkontrolle entdeckte kürzlich geheime Lager mit Mobiltelefonen und anderer Ausrüstung, die aus der Schweiz nach Deutschland gebracht wurden.

Die Ermittlungsbeamten beschweren sich darüber, dass ihnen von den Schweizer Behörden wichtige Informationen vorenthalten würden. Die Schweiz hat einen neuen Vertrag zur Betrugsbekämpfung mit der EU noch nicht unterschrieben.

Das Schweizer Gesetz verbietet den Steuerbehörden, gegenüber anderen Ländern Auskünfte bezüglich dem Umgehen von Steuern zu geben, denn dies ist in der Schweiz nicht verboten.

Seit den späten 1990er-Jahren nützen Betrüger den Umstand aus, dass Güter zwischen den EU-Staaten mehrwertsteuerfrei verschoben werden können.

Banden importieren Güter von einem EU-Staat zum anderen, ohne Mehrwertsteuer zu bezahlen. Dann verkaufen sie sie dort einem Partner-Unternehmen, ohne den Behörden die Mehrwertsteuer abzugeben und exportieren sie schliesslich wieder, wobei sie Rückerstattung der (nie bezahlten) Mehrwertsteuer verlangen.

Die EU schätzt, dass diese Unterschlagung die EU-Staaten rund 10% ihrer Mehrwertsteuer-Einkünfte kosten könnte, was rund 157,6 Mrd. Franken ausmacht.

Die Schweiz als Umschlagplatz

Inzwischen verschieben die Betrüger ihre Waren durch die Schweiz und andere Länder ausserhalb der EU, um die Ermittler abzuschütteln. Dann gehen sie zurück in die EU und wiederholen den ganzen Prozess – daher die Bezeichnung “Karussell”.

“Die Schweiz ist zwar bekannt als Umschlagplatz für Geld, aber nicht unbedingt für Waren”, sagt die Sprecherin der britischen Zollbehörden, Sandra McKay, gegenüber swissinfo.

“Im letzten Sommer wurde es klar, als Handelszahlen zeigten, dass der Handel mit Drittländern wie der Schweiz umfangreicher wurde als der Handel innerhalb der EU.” Strengere Grenzkontrollen hätten zwar zu einem Rückgang geführt, fährt McKay fort, aber die Aufdeckung von kriminellen Handlungen in der Schweiz sei nach wie vor ungelöst.

Abkommen mit der EU

Ein neuer Vertrag zwischen der Schweiz und der EU, mit dem diese Art von Betrug bekämpft werden soll, liegt auf dem Tisch, wurde aber von der Schweiz noch nicht unterzeichnet.

“Zur Zeit werden die Schweizer Zollbehörden vom Gesetz daran gehindert, Steuerauskünfte zu erteilen”, sagt McKay. “Die Unterzeichnung dieses Vertrags ist ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen jeglichen Betrug, der den finanziellen Interessen der EU schadet.”

Die Schweizer Zollbehörden geben zu, dass die Einbeziehung der Schweiz in die kriminelle Kette ein Problem sei. “Nach unseren Informationen wird tatsächlich ein Teil der Waren durch die Schweiz geschleust, aber daneben sind auch andere Länder involviert”, sagt der Behördensprecher Serge Gumy.

Mehrere Verträge mit der EU hätten bisher den Informationsfluss aus der Schweiz etwas erleichtert, so Gumy, aber wann der neue Vertrag in Kraft trete, sei noch offen.

swissinfo, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Susanne Schanda)

Steuerhinterziehung ist in der Schweiz eher ein Vergehen als eine kriminelle Tat. Steuerflüchtlinge werden nicht ausgewiesen.
Steuerbetrug ist allerdings ein Verbrechen, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Täter Dokumente fälschte.
Grossbritannien schätzt, in der Steuerperiode 2004/05 rund 4,44 Mrd. Franken wegen Steuerbetrugs verloren zu haben.

Die Betrüger benützen ein der Mehrwertsteuer unterliegendes Unternehmen (A), um Waren von Frankreich nach Grossbritannien zu verschiffen – ein legaler Vorgang.

Einmal in Grossbritannien, werden die Waren vom Unternehmen A ans Unternehmen B verkauft, welches ebenfalls zur betrügerischen Gruppe gehört. Hier wird Mehrwertsteuer auf den Verkaufspreis draufgeschlagen. Diese sollte den Steuerbehörden abgegeben werden, aber die Betrüger verschwinden mit dem Geld.

Die Waren werden vom Unternehmen B in eine weiteres EU-Land exportiert, was ihm erlaubt, die Mehrwertsteuer, die es an Unternehmen A bezahlt hat, von den britischen Steuerbehörden zurückzuverlangen.

Als nächstes werden die Waren in ein Land ausserhalb der EU geschleust, um die Fahnder abzuschütteln, und dann mit veränderten Seriennummern in die EU zurückgebracht, um den ganzen Vorgang zu wiederholen.

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