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Schweiz greift Palästinensern unter die Arme

Ein libanesischer Soldat wacht vor einem zerstörten Gebäude. Keystone

Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit seien Schlüsselbereiche bei der Errichtung eines Staates, sagte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey am Dienstag an der Nahost-Sicherheitskonferenz in Berlin.

Ranghohe Vertreter aus mehr als 40 Staaten haben am Dienstag an der Sicherheitskonferenz in Berlin über Hilfen für die palästinensiche Autonomie-Regierung beraten.

Neben dem palästinensischen Regierungschef Salam Fajjad, Israels Aussenministerin Zipi Livni und ihrer US-Kollegin Condoleezza Rice nahmen unter anderem Vertreter der Uno, der EU und der Arabischen Liga teil. Die Schweiz war durch Bundesrätin Micheline Calmy-Rey vertreten.

Bei der Konferenz ging es insbesondere um den Aufbau der zivilen Polizei und des Justizwesens im Westjordanland. Es wurden finanzielle Zusagen in Höhe von rund 120 Mio. Euro erwartet.

Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit seien Schlüsselbereiche bei der Errichtung eines Staates. Ohne das Zusammenwirken aller Akteure könne dies nicht gelingen, sagte Calmy-Rey in ihrer Rede.

Es bleibe viel zu tun, so Calmy-Rey. Alle Parteien seien sich darüber einig, dass der palästinensische Reform- und Entwicklungsplan nur realisiert werden könne, wenn sich die Lage vor Ort verbessert.

“Uns geht das Geld aus”

Der Plan, der an der Geberkonferenz im Dezember 2007 in Paris von der Europäischen Union, den USA, dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank unterstützt wurde, soll die finanzielle Grundlage für einen palästinensischen Staat schaffen.

Die Berlin-Konferenz soll die Finanzierung eines kurzfristigen Massnahmenpakets zur ständigen Verbesserung der Sicherheit in der West Bank ermöglichen. Mit den Hilfen sollen das Training für etwa 6000 bis 7000 palästinensische Zivilpolizisten verstärkt, baufällige Polizeistationen und Gerichtsgebäude renoviert und Polizisten besser ausgestattet werden.

Zu Beginn der Konferenz wandte sich der palästinensische Ministerpräsident Salam Fajjad mit einem dramatischen Hilfsappell an die Welt: “Uns geht das Geld aus”. Er beklagte, dass die bei der Pariser Geberkonferenz zugesagten sieben Milliarden Euro nur spärlich flössen.

Die Teilnehmer an der internationalen Geberkonferenz in Paris hatten den Palästinensern 7,4 Mrd. Dollar an Hilfsgeldern zugesagt. Bis jetzt erhielten die Palästinenser 600 Mio. Dollar.

Die Schweiz hatte an der Geberkonferenz jährlich 27 Mio. Dollar zugesagt, davon rund 6 Mio. zur Förderung des Rechtstaates, der guten Regierungsführung und der zivilen Sicherheit.

Bereits an der Libanon-Geberkonferenz am Montag in Wien hatte Calmy-Rey über 30 Mio. Franken für den Wiederaufbau von zerstörten Palästinenserlagern im Libanon zugesichert. Davon sind 2 Mio. Franken für den Wiederaufbau des Palästinenserlagers Nahr al-Barid reserviert. Die Hilfsgelder sollen zwischen 2009 und 2012 eingesetzt werden.

Schatten über der Konferenz

Am Rand der Berliner Konferenz fanden Gespräche zum Friedensprozess statt. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak versprach, sich für die Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit einzusetzen.

Auch die Vertreter des Nahost-Quartetts – die USA, die Vereinten Nationen, die EU und Russland – trafen sich zu Gesprächen. Der Bruch der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas überschattete am Dienstag die Sicherheitskonferenz für Palästina. Militante Palästinenser in dem von der radikalislamischen Hamas beherrschten Gazastreifen hatten trotz der seit einer Woche gültigen Waffenruhe Raketen auf den Süden Israels abgefeuert und dabei zwei Israelis leicht verletzt.

Das Feuer sei die “erste Reaktion” auf die israelische Tötung eines Jihad-Kommandeurs in Nablus im Westjordanland durch Israelis, erklärte die Extremisten-Gruppe.

Salam Fajjad sagte zu den Raketenangriffen auf Israel, dies zeige die Brüchigkeit der Waffenruhe. Als unverzichtbar für den Friedensprozess bezeichnete Fajjad ein Ende der israelischen Siedlungspolitik und der Einsätze israelischer Truppen auf palästinensischem Gebiet.

Die Teilnehmer der Berlin-Konferenz hatten den Waffenstillstand in ihren Eröffnungsreden noch begrüsst. Obwohl die Hamas nicht auf der offiziellen Traktandenliste stand, wurde darüber diskutiert, ob diese in die Gespräche für einen Waffenstillstand miteinbezogen werden sollen.

Schweiz sucht Dialog

Die Schweiz ist das einzige westliche Land, das sich entschieden hat, die Organisation miteinzubeziehen. “Die Schweizer Politik gegenüber Hamas geht in Richtung Dialog. Die Haltung der meisten europäischen Länder ist viel dogmatischer und näher an der amerikanischen Politik, die die Hamas als terroristische Bewegung betrachtet”, sagt Daniel Meier, politischer Wissenschafter am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung, gegenüber swissinfo.

Deshalb könne die Schweiz für gewisse europäische Länder, die nicht mehr länger für die eine oder andere Partei ergreifen wollen, zur Sprecherin oder Mediatorin werden, so Meier. Die Hamas zu isolieren sei “problematisch”.

Calmy-Rey äusserte sich am Dienstag nicht zur Hamas, sagte aber, dass die Regierung offen dafür sei, ihren Beitrag für die palästinensische Justizreform zu erhöhen.

swissinfo, Justin Häne
(Adaption aus dem Englischen: Corinne Buchser)

Das Palästinenserlager Nahr al-Barid entstand 1949. Die UNRWA ist seit 1950 für das Lager im Einsatz.

Nahr al-Barid befindet sich rund 15 Kilometer nördlich der libanesischen Stadt Tripoli.

Das Lager war bei Kämpfen zwischen einer radikal-islamischen Palästinenser-Organisation mit regulären libanesischen Einheiten weitgehend zerstört worden. Vorher hatten dort etwa 40’000 Menschen gelebt, mindestens 30’000 waren obdachlos geworden.

Im Libanon leben rund 400’000 Flüchtlinge.

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