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Schweizer zieht es zum Wohnen über den Zaun

Personenfreizügigkeit: Die Schweizer zieht es zum Wohnen ins Ausland. Keystone

Im Zusammenhang mit dem Abkommen über Personen-Freizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU warnen Rechtsbürgerliche immer wieder vor einer Einwanderungswelle.

Nun zeichnet sich eher das Gegenteil ab: Die Schweizer in Grenzregionen wandern, zumindest zum Wohnen, in die EU-Nachbarschaft ab.

Was in der Region Genf und Savoyen schon seit langem gang und gäbe ist, entwickelt sich nun erstmals auch in der Nordschweiz zur Tendenz: Schweizer beginnen, einen Wohnort im nahen Ausland in Betracht zu ziehen.

“Seit dem Inkrafttreten der Bilateralen I im Juni 2002 ziehen immer mehr Schweizerinnen und Schweizer in die süddeutschen Landkreise Lörrach und Waldshut”, sagt Horst Nüssle, Leiter des Amtes für Staatsangehörigkeitsrecht und Ausländer in Waldshut.

Dabei geht es weniger ums Arbeiten als ums Wohnen. Dies wurde erst mit den Bilateralen I möglich: Vorher mussten Schweizer Staatsangehörige mit einem oder einer Einheimischen verheiratet sein, damit sie im Ausland wohnen, aber in der Heimat arbeiten können.

Tiefere Mieten oder Platznot



Die Gründe für den Exodus nach Süddeutschland liegen gemäss Nüssle in den niedrigeren Mieten und Immobilienpreisen. Nördlich des Rheins wiederum seien die neuen Steuerzahler willkommen.

Auch in Genf beobachtet man bei den grenzüberschreitenden statistischen Daten einen ähnlichen Trend. Ein Hauptgrund dürfte hier der extrem niedrige Genfer Leerwohnungsbestand von lediglich 0,17 % sein. Genf platzt als “Stadtstaat” seit langem aus allen Nähten, während es im nahen Savoyen mehr Wohnraum gibt.

Keine Einwanderungswelle in den Grenzregionen



Ausgeblieben ist dagegen, was die Rechtsbürgerlichen noch im Dezember 1998 prophezeit hatten, als sich die EU und die Schweiz endgültig über die Bilateralen I einigten. Eine Einwanderungswelle gab es seither nicht. In weiten Teilen der Schweizer Grenzregionen bewegt sich die Zahl der Grenzgänger im gewohnten Rahmen.

Im Kanton Zürich etwa ist nur eine minimale Steigerung der Anträge von Grenzgängern für eine Arbeitsbewilligung auszumachen, wie Irene Tschopp, Sprecherin des kantonalen Amtes für Wirtschaft und Arbeit, erklärt. Diese stiegen von 24 im April 2003 auf deren 39 im September dieses Jahres.

Im Aargau wurden Ende Juli 2003 rund 8600 Grenzgänger gezählt, etwa gleich viele wie vor dem 1. Juni 2002. 84% davon kommen gemäss dem kantonalen Migrationsamt aus Deutschland, weitere 13% sind Franzosen.

Basel und Jura: Kein Einfluss



In Basel-Stadt erhöhte sich die Zahl der Grenzgänger im vergangenen Jahr zwar um 3,8%, wie es beim kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit hiess. Diese Steigerung liege jedoch im Rahmen der Vorjahre. So war die Zahl der Grenzgänger im Jahr 2001 gegenüber dem Vorjahr gar um rund 5% gestiegen.

Ähnlich das Bild in Baselland, wo die Zahl der Grenzgänger ebenfalls schon seit Jahren zunimmt.

Im Kanton Jura blieb die Zahl der Grenzgänger mit rund 4000 seit dem 1. Juni 2002 stabil, wie Liliane Cuenoud, Verantwortliche für die Arbeitsbewilligungen an Ausländer, sagte. Die meisten Grenzgänger im Jura arbeiten in der Hotellerie.

Markante Zunahmen: Genf und Waadt

Anders verlief die Entwicklung in den Kantonen Genf, Waadt und St. Gallen. Hier wurden seit dem 1. Juni 2002 markante Zunahmen der Grenzgängerzahlen verzeichnet. In Genf und im Waadtland waren es Ende 2002 rund 41’000, also 6,2% mehr als im Vorjahr. 87% dieser Grenzgänger arbeiteten im Kanton Genf.

Für den Kanton St. Gallen wiederum macht Nicolo Paganini, Leiter des Amtes für Wirtschaft, vor allem eine markante Steigerung jener Grenzgänger aus, die im Zuge der Bilateralen I zu Jahresaufenthaltern wurden. Die Zahl der Grenzgänger sei etwas weniger stark gestiegen.

Von der Möglichkeit, Jahresaufenthalter zu werden, profitierten auch Grenzgänger in anderen Kantonen – allerdings blieb auch hier der grosse Ansturm aus. Sowohl im Kanton Zürich (rund 200) und im Aargau (257) blieben diese Zahlen seit dem 1. Juni 2002 hinter den Erwartungen zurück.

swissinfo und Agenturen

Ab Juni 2004 wird der Schweizer Arbeitsmarkt für Grenzgänger stark geöffnet. Arbeitgeber müssen dann dem Arbeitsamt nicht mehr beweisen, dass sie für die Stelle keinen geeigneten Schweizer gefunden haben.

Dies hat schon Befürchtungen in der Schweiz bezüglich Lohndumping wachgerufen, da Grenzgänger tiefere Lebenskosten haben.

In der Westschweiz nimmt die Beschäftigung von Grenzgängern unabhängig von der Konjunktur zu.

Gesamtschweizerisch arbeiten heute 49’000 Personen als Grenzgänger aus Frankreich, davon leben allein in der Nachbarschaft von Genf über 37’000.

Eine erste Bilanz der Bilateralen für die Kantone Genf und Waadt zeigt eine starke Zunahme der Grenzgänger. Franzosen erhalten in der Schweiz bis zum doppelten Salär für dieselbe Arbeit.

Die Branchen, in denen sie in diesen beiden Kantonen arbeiten, umfassen ausser der Hotellerie, dem Bau- und Distributionssektor auch Banken, Uhren, Gesundheit und Handel.

90% dieser Grenzgänger besitzen bisher einen Arbeitsstatus als gelernte Arbeitskraft oder als Angestellter ohne Führungsposition, jeweils mit einem höheren Schuldiplom.

Die “neuen Grenzgänger” arbeiten vermehrt an qualifizierteren Stellen in diesen Branchen, oder in der Informatik.

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