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Steueroase Schweiz im Visier

Rund 2500 Personen hörten der ATTAC-Vizepräsidentin zu. swissinfo.ch

Der Norden verdient an der Steuerflucht von Ländern aus dem Süden mehr, als er Entwicklungshilfe leistet. In Porto Alegre haben sich Gruppen zu einem Netzwerk formiert, das die Steueroasen austrocknen will.

Zentral daran beteiligt sind Schweizer NGOs.

“Steueroasen beherbergen riesige Mengen von Gewinnen aus illegalen Aktivitäten: Drogenhandel, Prostitution, Menschenschmuggel oder dem Handel mit bedrohten Tierarten”, sagte Susan George, die Vize-Präsidentin von ATTAC und Globalisierungskritikerin seit über 30 Jahren, am Rande einer Konferenz am Weltsozialforum (WSF) gegenüber swissinfo. ATTAC ist eine internationale Bewegung, die sich für die demokratische Kontrolle der Finanzmärkte stark macht.

Nicht alle Gelder auf ausländischen Banken sind jedoch Mafia-Gelder, die gewaschen werden. Die ATTAC-Aktivistin stellt der Schweiz diesbezüglich sogar ein gutes Zeugnis aus: “Ich glaube nicht, dass die Schweizer sehr viel Geld waschen, weil es gibt einige Regeln, die durchgesetzt werden. Die Schweiz ist nicht mit den Virgin Islands zu vergleichen.”

Schweiz mit einem Drittel Marktanteil an Steuerflucht



Die Schweiz wird von den Kritikern der wirtschaftlichen Globalisierung deshalb ins Visier genommen, weil sie sich als Steueroase regelrecht anbietet: Während in den meisten Ländern Steuerhinterziehung als Delikt gilt, ist in der Schweiz nur der Steuerbetrug strafbar. Deshalb können Schweizer Banken aufs Schweizer Recht verweisen und ausländischen Steuerbehörden jede Auskunft verweigern.

Wer als ausländischer Bürger also Geld auf einem Schweizer Konto hat, kann es unbesorgt am Fiskus vorbeischleusen und sich die Kapitalsteuern im Heimatland sparen.

“Die Summe auf diesem so genannten Offshore-Markt liegt zwischen 2000 und 3000 Mrd. Franken. Das ist weltweit ein Drittel aller im Ausland angelegten Gelder “, erklärt Jean-Claude Huot von der Erklärung von Bern (EvB) die Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes.

Mehr Fluchtgeld als Entwicklungshilfe



“Ein bedeutender Anteil aller Fluchtgelder auf Schweizer Konten kommt aus Entwicklungsländern”, sagt Bruno Gurtner von Swiss Coalition, dem Zusammenschluss sechs grosser Schweizer NGOs. “Weil auf diesen Geldern keine Steuern bezahlt werden, gehen den Ländern des Südens dringend nötige Einnahmen verloren.”

Die Summe der Steuerfluchtgelder aus Entwicklungsländern übertreffe jene der Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit um das vier- bis fünffache, sagt Huot. “Wir kriegen mehr Geld zurück, als wir geben.”

Politischer Druck wächst

Nicht nur armen Ländern gehen Steuereinnahmen verloren. Auch europäische Länder wie Deutschland sehen ihre Einnahmen massiv geschmälert und empfinden das Schweizer Verhalten als ungerecht und schädigend.

Der monatelange Streit zwischen der Schweiz und der EU zeugt davon. “Die Einigung der EU-Länder von letzter Woche sieht wie ein Sieg fürs Schweizer Bankgeheimnis aus”, sagt Gurtner. “Aber jetzt dürfte der Druck von Seiten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) steigen.” Diese fordert von ihren Mitgliedern die Kooperation der Banken mit den ausländischen Steuerbehörden. “Der schwarze Peter kommt auf Umwegen zurück zur Schweiz.”.

Höhere Steuerbelastung für Normalverdiener

“Wenn sich die Grossverdiener davor drücken, Steuern zu bezahlen”, sagt die 69-jährige ATTAC-Chefin George, “muss der Staat alle seine Einnahmen auf dem Konsum und dem Einkommen der Normalverdienenden erheben, die keine Möglichkeit sehen, ihr Geld im Ausland anzulegen.” Die Folge seien höhere Mehrwertssteuern, die alle bezahlen aber tiefe Einkommen stärker betreffen, und steigende Einkommenssteuern für mittlere Saläre. “Das ist total ungerecht und unethisch!”

Netzwerk gegen Steuerflucht

An mehreren – auch mal staubtrockenen – Seminaren und Expertentreffen am WSF haben sich Gruppen getroffen, die sich mit diesem Thema befassen. “Wir haben uns erstmals am regionalen Sozialforum in Florenz im November europäisch vernetzt”, sagt Gurtner. “Jetzt haben wir auch US-amerikanische und kanadische Kollegen getroffen.”

Als internationales Netzwerk wollen die Finanz-Aktivisten Lobbying betreiben, Parlamentarier überzeugen und Öffentlichkeitsarbeit leisten. “Wir werden von jetzt an G8-Gipfeln und ähnlichen Anlässen präsent sein”, freut sich der swissaid-Spezialist.

Am WSF wurde eine Deklaration verabschiedet, die als Grundlage für die Arbeit dienen soll. Ziel ist es, die Steueroasen der Welt auszutrocknen.

Der schwarze Koffer

Wie das Geld in die Steueroase Schweiz kommt, erklärt der Ökonom Sven Giegold von ATTAC Deutschland: “Normalerweise wird das Geld überwiesen, da können sich die Steuerflüchtlinge auf das Bankgeheimnis in den Heimatländern verlassen. Aber gelegentlich kommt es auch im schwarzen Koffer an den Paradeplatz.”

swissinfo-Sonderkorrespondent Philippe Kropf in Porto Alegre

Kapital, das im Ausland an den Steuerbehörden vorbei geschmuggelt wird, schmälert das Einkommen des Staates. Dieser muss indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer erhöhen. In den Ländern des Südens fehlt den Staaten Geld für notwendige Aufgaben.

Ein Drittel aller privaten Offshore-Vermögen liegen auf Schweizer Banken; sie betragen 2000 bis 3000 Mrd. Franken.

Schweizer NGO wollen mithelfen, Steueroasen wie die Schweiz auszutrocknen. Ein internationales Experten-Netzwerk hat sich am WSF in Porto Alegre getroffen, um Strategien zu erarbeiten.

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