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Luxusbranche fällt wegen Sanktionen gegen Russland in Tiefschlaf

Lxuriöses Geschäftsviertel in Genf
Ein luxuriöses Geschäftsviertel in Genf. Keystone / Gilles Lansard

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Behörden und Oligarchen um russische Vermögen schwächt die Schweizer Luxusbranche.

Als Reaktion auf die Invasion in der Ukraine am 24. Februar hat auch die Schweiz wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland verhängt. Dazu gehört das Einfrieren von VermögenswertenExterner Link des russischen Staats und von Oligarchen sowie das Verbot von Finanztransaktionen mit Unternehmen, die mit dem russischen Energiesektor und Rohstoffhandel verbunden sind.

Schweizer Ermittler:innen, die nach solchen Vermögen suchen, haben viel zu tun. “Die Finanzberatenden, die mit russischen Kundinnen und Kunden arbeiten, sind schlicht nicht mehr erreichbar, weil sie so beschäftigt sind”, sagt ein Ermittler gegenüber swissinfo.ch.

Wie Recherchen zahlreicher Medien gezeigt haben, verwenden wohlhabende Personen wie Oligarchen oft komplexe Rechtsstrukturen, um Vermögenswerte in Unternehmen zu transferieren. Die Eigentumsverhältnisse werden oft mit Matrjoschka-Puppen verglichen: Eine juristische Person ist im Besitz einer anderen und so weiter.

“Beim Seco gehen laufend Berichte über Vermögenswerte von sanktionierten Personen ein”, sagt Florian Maienfisch, Sprecher des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), das die so genannte Oligarchen-Taskforce leitet. “Da dieser Prozess in vollem Gange ist, stellen bereits eingegangenen Meldungen nur einen unvollständigen und wechselnden Zwischenstand dar.”

Das Seco erklärte, dass neben Banken auch lokale und kantonale Behörden, Versicherungsgesellschaften, Einzelpersonen, zivilgesellschaftliche Gruppen oder jede Person, die den Besitz von Vermögenswerten sanktionierter Personen vermutet, die Taskforce kontaktieren können. Anwältinnen und Anwälte, die nicht jemand vor Gericht verteidigen müssen, sind verpflichtet, alle sanktionswürdigen Vermögenswerte zu melden.

Für die Aufsichtsbehörden ist es allerdings schwierig, an die Vermögen zu gelangen. Das zeigt das Beispiel der Gebrüder Rotenberg, die der britische Premier als “Kumpane” Wladimir Putins bezeichnete.

Gemäss der Westschweizer Zeitung Le Matin DimancheExterner Link nutzten Arkady und Boris Rotenberg die Strukturen einer Genfer Bank, um Inhaber von Geldern zu verschleiern. Die Financial Times berichteteExterner Link zudem, dass die Rotenbergs ihre Privatjets verkaufen mussten, nachdem die Credit Suisse ihre Leasingverträge gekündigt hatte.

Verborgene Besitztümer

Gemäss verschiedener Schätzungen, unter anderem der Nationalbank sowie der Bankiervereinigung, liegt der Wert russischer Vermögen in der Schweiz irgendwo zwischen 25 und 200 Milliarden US-DollarExterner Link.

Die Regierung gab im Mai bekannt, dass Gelder in Wert von 6,3 Milliarden Franken eingefroren worden seien. Per 7. April waren 7,5 Milliarden Franken an russischen Vermögen gesperrt, jedoch wurde ein Teil davon wieder freigegebenExterner Link.

16’500 russische Staatsangehörige halten sich nach Daten des Bundes derzeit im Land auf, doch gemäss der russischen Botschaft in Bern werden Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft nicht mitgezählt. Somit könnte die Zahl fast zweimal so hoch sein.

Über 1000 russische Personen stehen auf der SanktionslisteExterner Link, darunter einige in der Schweiz ansässigeExterner Link, die von Aufenthaltsbewilligungen im Zusammenhang mit ihrem Reichtum profitiert haben. Einer dieser Oligarchen ist der Putin-Vertraute Pjotr Awen, dessen Berner Ferienhaus im vergangenen März beschlagnahmt wurde.

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Im Lauf der Jahre wurden im Kanton Genf mehrere politisch exponierte PersonenExterner Link (PEP) ansässig, die teure Immobilien erwarben. Dies wirft Fragen nach der Herkunft der Gelder auf. Da die örtlichen Grundbuchämter die Sanktionsliste prüfen, haben die Behörden in Bern, Genf und anderen Kantonen mehrere Immobilien beschlagnahmt, die mit sanktionierten Russ:innen in Verbindung stehen.

Freihäfen im Fokus

Die Vermögenswerte sind aber nur schwer zu verfolgen. So genannte KYC-Anforderungen (Know Your Client) wurden zwar in vielen Sektoren eingeführt, doch werden sie unterschiedlich angewandt.

Für Mark Pieth, ein Schweizer Experte für Korruptionsbekämpfung, ist die Bilanz der Schweiz in Bezug auf die Beschlagnahmung russischer Vermögen lückenhaft. “Die Schweiz hat sich nach der Krim-Annexion nicht an die EU-Sanktionen gehalten. Deshalb betrachteten viele Russinnen und Russen sie als sicheren Hafen”, sagt er.

Ein gewichtiges Problem sei das Versäumnis der Schweiz, Finanzberater:innen den Anti-Geldwäsche-Gesetzen zu unterwerfen. Die Financial Action Task Force (FATF), eine zwischenstaatliche Organisation, welche die Leistungen von Staaten bei der Bekämpfung der Geldwäsche unter die Lupe nimmt, “sollte das bei der nächsten Bewertung der Schweiz auf jeden Fall diskutieren”, fordert Pieth.

Die von der EU eingeführte und von der Schweiz übernommene Obergrenze von 103’000 Schweizer Franken für Bargeldtransfers durch russische Staatsangehörige erlaubt noch immer Geschäfte bis zu diesem Betrag.

Im Fokus vieler Ermittler:innen liegt auch der Bereich Kunst. Hier könnten Oligarchen aufgrund fehlender Regulierung weiterhin von Schlupflöchern profitierenExterner Link, sagen Expert:innen, unter anderem durch die Verwendung von Nicht-Fungiblen Token (NFT). Amerikanische und britische Behörden teilen diese Bedenken seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine.

In jüngster Zeit standen hierbei vor allem die undurchsichtigen Genfer Freihäfen, in denen wertvolle Vermögenswerte wie Gemälde zollfrei gelagert werden, im Mittelpunkt von Kontrollen. Aufgrund der Vorschriften können die Zollinspektor:innen allerdings nicht wissen, nach welchen Gegenständen sie suchen sollenExterner Link.

Die Freihäfen unterliegen zwar dem Schweizer Gesetz, was bedeutet, dass sie zur Führung von Inventaren verpflichtet sind, aber letztlich können sich die Eigentümer:innen hinter einem Geflecht von Anwälten und Firmen verstecken.

Die Entscheidung darüber, welche Vermögenswerte eingefroren werden, liegt am Ende bei den Behörden. “Wenn wir den Verdacht haben, dass es einen Vermögenswert gibt, der hätte eingefroren werden müssen und nicht eingefroren worden ist, untersuchen wir das “, sagt Seco-Sprecher Michael Wüthrich.

“Toxische” Kundschaft

Während die Sanktionen gegen die Oligarchen aufrechterhalten werden, haben Finanzberaterinnen und Treuhandexperten alle Hände voll zu tun. Personen, die ins Visier der Behörden geraten sind, bemühen sich um Ratschläge. Und sie müssen sich Strategien überlegen, um an die Infos zu gelangen, denn die Berater:innen werden zunehmend misstrauisch, vor allem bei Kund:innen, die als “toxisch” angesehen werden.

“Sie sind nicht nur für die Banken toxisch, sondern auch für Leute wie uns”, sagt ein Genfer Treuhandexperte. Er erzählt von einem bestimmten Kunden, der auf der Sanktionsliste steht und in Genf wohnt.

Dieser habe, um nicht aufzufallen, eine Vielzahl von Finanzberatern zu verschiedenen Themen konsultiert. “Das macht es unmöglich, einen Gesamtüberblick über seine finanziellen Verhältnisse zu gewinnen.” Wer der Kunde war, liess sie offen.

swissinfo.ch hat mehrere russische Staatsbürger:innen um einen Kommentar zu ihrer Situation gebeten, aber keine Antwort erhalten.

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Fehlende Kundschaft, gegroundete Jets

Gerade in russischen Luxus-Hotspots wie Genf spürt das lokale Gewerbe die Auswirkungen der Sanktionen. Eine Genfer Maklerin erzählt, dass ein Kunde aus Russland beschlossen habe, den Kauf einer “grossen Luxusimmobilie” vorerst auf Eis zu legen. “Die Interessierten sind sich bewusst, dass die Zeitungen über diese grossen Verkäufe berichten, und sie wollen nicht, dass man über sie spricht.”

Auch die Schweizer Luxusuhren- und Schmuckbranche ist betroffen. Anfang April war auf der Genfer Uhrenmesse Watches and Wonders überhaupt kein Russisch zu hören. Die Organisatoren erwähnten auch die Auswirkungen des Kriegs auf den Handel kaum.

Ähnlich wie im Kunstsektor wird von “Panikkäufen” berichtetExterner Link. Doch russische Kund:innen fehlen, wie eine Umfrage von swissinfo.ch bei Uhrenläden im Genfer Stadtzentrum ergab. Die Sanktionen hätten natürlich einen negativen Einfluss auf ihre Kundschaft, sagten die Betreiber:innen. Die grossen Marken lehnten Stellungnahmen ab.

Robert Grauwiller, Präsident des Branchenverbands der Schweizer Goldschmiede- und Uhrenfachgeschäfte (VSGU), betont, dass kein Händler “gegen die Regeln im Zuge der Sanktionen verstossen will” und ergänzt, dass der Verband keine Kundendaten zu ihren Verkäufen sammle. Geschäfte im High-End-Bereich seien ein “sehr geschlossenes Netzwerk in Bezug auf die Kundschaft”.

Auch in der Flugbranche wird das Fehlen wohlhabender Russinnen und Russen bemerkt. “Es ist kompliziert”, sagt etwa Gabriela Pfulg von Jet Aviation, einem Anbieter von Flugzeugdienstleistungen.

Genf, ein beliebtes Ziel für Privatjetflüge, hat in den letzten Wochen einen Rückgang von Flügen aus und nach Russland verzeichnet. Laut “WingX”, einem Luftfahrt-Informations- und Beratungsdienst, hatte der Flughafen 2021 einen Anteil von über fünf Prozent am Verkehr von Geschäftsflugzeugen mit Verbindungen nach Russland und in die Ukraine. Diese seien seit Beginn des Ukraine-Kriegs fast völlig ausgeblieben.

“Die Betreiber leiden darunter, dass die Flugzeuge am Boden bleiben”, sagt Richard Koe, Geschäftsführer von “WingX” in der Schweiz. Viele Flugzeuge würden aufgrund der Sanktionen in europäischen Staaten festsitzen, andere würden weiterhin innerhalb Russlands fliegen.

Rund 20 Prozent der in Russland registrierten Geschäftsflugzeuge seien zudem zwischen Ländern wie der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kasachstan unterwegs. “Wir beobachten die Bewegungen”, sagt er.

Zwei Flugzeuge, darunter eine Aeroflot-Maschine, sind Berichten zufolge derzeit in Genf blockiertExterner Link.

(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)

(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)

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