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Viktor Kortschnoi: “Schach ist mein Leben”

Der Grossmeister vor dem nächsten Zug. Viktor Kortschnoï

Der Schweizer Bürger Viktor Kortschnoi ist einer der renommiertesten Teilnehmer des 36. Internationalen Schach-Festivals in Biel.

Der 72-jährige Doppel-Vize-Weltmeister hat nichts von seinem legendären Siegeswillen eingebüsst und denkt nicht ans Aufhören.

Lebende Schachlegende, grösster Schachspieler der Geschichte ohne Weltmeister-Titel, der Jahr für Jahr seine Grenzen ignoriert, um zu zeigen, dass weiter mit ihm zu rechnen ist: Viktor Kortschnoi kultiviert sein Image des “heiligen Ungeheuers”.

Ein Platz in den Annalen ist ihm seit langem sicher. Er, der es 1976 wagte, dem sowjetischen Machtapparat zu trotzen und sich zuerst in die Niederlande, später in die Schweiz absetzte, wo er 1978 politisches Asyl und 1992 den Schweizer Pass erhielt.

Der Bürger von Wohlen im Kanton Aargau bleibt weiterhin ein grosser Meister, der von Turnier-Organisatoren umworben und verehrt wird. Dass er auf der Weltrangliste auf den 66. Platz zurückgefallen ist, ändert daran wenig.

Der “Löwe von Leningrad” (das heutige St. Petersburg) ist noch immer in der Lage, die Superstars von heute schachmatt zu setzen. Im Jahr 2001 kam es zu einer Sensation, als er am Schachturnier der Grossmeister in Biel den anderen Schachgrössen den Sieg vor der Nase wegschnappte.

Und heuer ist er wieder da am Schachfestival im Berner Seeland, wo er auf andere Stars wie den Russen Alexander Morozewich, den Israeli Ilya Smirin oder den Franzosen Etienne Bacrot trifft.

swissinfo: Was treibt sie noch immer zum Schachspielen auf höchsten Niveau an?

Viktor Kortschnoi: Schach ist mein Leben, meine Leidenschaft, was ich gelernt habe und seit meinem 14. Lebensjahr profimässig praktiziere. Darauf zu verzichten, würde mir sehr schwer fallen.

Als ich ein Knabe war, hatte ich drei Leidenschaften: Ich wollte Klavier spielen, merke aber schnell, dass mir die Mittel zum Kauf eines Instrumentes fehlten. Ich wollte auch Schauspieler werden, aber meine Aussprache war wohl nicht klar genug. Also entschied ich mich für Schach, was ich sehr ernsthaft praktizierte.

Vier Mal sowjetischer Schachmeister, Meister Hollands und der Schweiz und zwei Mal im Final der Weltmeisterschaft: Was wollen Sie denn heute noch beweisen?

V.K.: Die meiste Zeit treffe ich auf Gegner, die meine Grosskinder sein könnten. Ich bin da, um ihnen zu zeigen, dass sie von mir noch einiges lernen können. Ich lege Wert darauf, dass sie mich für das achten, was ich in der Welt des Schachs geleistet habe. Ja, Respekt ist mir sehr wichtig.

Leiden Sie noch immer darunter, dass Sie nicht mindestens einmal den Titel des Weltmeisters holen konnten?

V.K.: Ja, darunter leide ich noch heute. Das tut weh. Aber dies ist vielleicht mein Schicksal. Ich war kein kleines Genie. Ich wurde erst mit 25 Grossmeister. Als ich endlich meinen ersten grossen Kampf gegen Karpow aufnehmen konnte, war ich bereits über 40.

Ich habe in meinem Leben sehr viel Energie mit Schikanen und Scherereien des Politapparates verloren. Dies ist auch ein Grund, weshalb ich nie Weltmeister wurde.

Haben Sie Anatoly Karpow für sein Verhalten in den 70er und 80er Jahren verziehen?

V.K.: Meine Frau verzeiht ihm nicht. Ich schon. Karpow bleibt für mich aber ein Mensch aus einer anderen Welt, mit dem ich keine richtige Konversation führen kann. Er ist zu verschieden.

Kürzlich hat man mir vorgeschlagen, gegen ihn zu spielen. Ich habe abgelehnt. Ein Wiedersehen hätte mir gar keine Freude bereitet.

swissinfo-Interview: Jonathan Hirsch
(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)

Viktor Kortschnoi:
Geboren am 23.03.1931, St. Petersburg (Leningrad)
1976 Flucht in den Westen
1978 Politisches Asyl in der Schweiz
1992 Kortschnoi erhält Schweizer Pass

Viktor Kortschnoi kommt 1931 in der damaligen Sowjetunion zur Welt. Er lebt in Leningrad (heute wieder St. Petersburg).

Seit mehr als einem halben Jahrhundert gehört der Russe weltweit zur Schachelite. Bis zu seiner Flucht aus der damaligen Sowjetunion 1976 war er dort mehrfacher nationaler Meister.

Sein Stil wird noch heute gefürchtet, ebenso seine Unberechenbarkeit.

1978 und 1981 wird Kortschnoi Vize-Weltmeister (gegen seinen “Intimfeind” Anatoly Karpow).

Die Duells zwischen dem Dissidenten Kortschnoi und dem Liebling der sowjetischen kommunistischen Partei, Karpow, haben die Geschichte des Schachs geprägt, und jene des Kalten Kriegs.

So verschwand Kortschnois Name nach seiner Flucht in den Westen aus allen offiziellen Dokumenten und Schachbüchern im ehemaligen Ostblock.

Kortschnoi ist zudem überzeugt, dass er von den sowjetischen Machthabern umgebracht worden wäre, wenn er 1978 statt Karpow den Weltmeister-Titel geholt hätte. Das habe er Jahre später vom damaligen Trainer Karpows erfahren.

“Das war geplant, davon bin ich überzeugt. Breschnew (damaliger KPdSU-Chef) und die UdSSR hätten es nicht erlaubt, dass ein Dissident Weltmeister wird”, sagt Kortschnoi heute.


Noch heute wird Kortschnoi von Turnier-Organisatoren umworben.

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