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Vollbremsung für Ärzte

Drei Jahre müssen sich junge Ärzte nun gedulden, bis sie auf eigenen Füssen stehen. Keystone

Ab sofort können die Kantone in der Schweiz Ärztinnen und Ärzte daran hindern, eine Praxis zu eröffnen. Der Bundesrat zog am Mittwoch diese "Notbremse".

Der Zulassungsstopp kommt auf Wunsch der kantonalen Sanitätsdirektoren zu Stande, weil die Zahl der Gesuche um Praxisbewilligungen stark zugenommen hat. Jede neue Praxis kostet Krankenversicherer – und damit Prämienzahlerinnen und -zahler – rund eine halbe Million Franken. Und die hohen Gesundheitskosten sind in der Schweiz Dauerbrenner.

Die neue Verordung ist am Donnerstag in Kraft getreten. Danach dürfen die Kantone während drei Jahren keine zusätzlichen Leistungserbringer (Ärzte und Ärztinnen) zu Lasten der Krankenkassen mehr zulassen.

Die Regierung legt pro Kanton eine Höchstzahl fest (Stand: zugelassene Ärzte und Ärztinnen am 1.1.2002). Ausnahmen sind jedoch gestattet, die regionale und die kantonsüberschreitende Versorgungs-Situation spielen beim Zulassungsstopp eine Rolle.

Gesuchschwemme – auch aus Protest

Seit Anfang Juni ist die Idee des Gesundheitsministeriums, einen Zulassungsstopp einzuführen, publik. Seither stieg die Fieberkurve der Gesuche rapide an. Statt der monatlich 150 Gesuche trafen plötzlich bis zu 150 Bewerbungen täglich bei den entsprechenden Stellen ein. Bereits eingetroffene und vollständige Gesuche werden nach altem Recht behandelt. Gesuche die ab dem 4. Juli bei den Stellen eintreffen, werden nun nach neuer Verordnung bearbeitet.

Das bedeutet, dass während der drei Jahre vor allem junge Ärztinnen und Ärzte oder solche aus dem EU-Raum keine Praxen mehr eröffnen dürfen. Betroffene sind erzürnt und drohen mit Aktionstagen und gar Streiks.

Geharnischte Reaktionen

“Wir sind zutiefst enttäuscht und erschüttert”, meinte Dr. Ludwig Theo Heuss, Mitglied im Zentralvorstand der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH, gegenüber swissinfo. Der Entscheid sei ordnungspolitisch fragwürdig und staatspolitisch bedenklich, denn es sei “ein erster Schritt in Richtung Verstaatlichung der Medizin. Das darf man so nicht tolerieren.”

Gemeinsam mit allen Kollegen gelte es jetzt, die Situation zu analysieren. Heuss ist überzeugt, “dass sich die jüngeren Ärzte zu Recht wehren werden”. Er sicherte diesen auch die volle Unterstützung des FMH zu. Für Heuss ist klar, dass man mit allem rechnen müsse.

Der Bundesrat habe “trotz dem breiten Widerstand und fundierter und sachlicher Argumente” entschieden. Darum sei diese Massnahme “unsinnig und ineffizient”, meint Dr. Peter Studer, Vizepräsident des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte.

Er zeigte sich “überrascht, wie rasch die Verordnung durchgesetzt wird”. Die Empfehlung des Verbandes an seine Mitglieder, die Gesuche möglichst rasch einzureichen, sei richtig gewesen. Am Donnerstag wolle der Vorstand über einen Aktionsplan entscheiden.

Ärztemangel voraussehbar

Ein gewisses Verständnis für den Versuch, die steigenden Kosten zu dämpfen, hat der Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Bern, Prof. Emilio Bossi. “Aber es ist eine einschneidende Massnahme, und darum sollte sie fach- und regionenspezifisch durchgeführt werden, und nur auf kurze Zeit beschränkt.”

Die jetzigen Studienabgänger seien von der Massnahme direkt nicht betroffen, denn sie hätten sowieso noch 5 -7 Jahre Weiterbildung vor sich. Eine Gefahr sieht Bossi darin, dass durch solche Verordnungen die Attraktivität des Medizinstudiums sinke. “Wir haben heute bereits einen Spitalärzte-Mangel. Wir bilden zur Zeit zu wenig Ärzte aus.”

Nun würden die praktizierenden Ärzte beschnitten, und das sei nur ein kleines Segment. “Das Gesamtkonzept Gesundheitswesen, Ärztebedarf muss angegangen werden”, und es sollten “nicht nur solche lokale, kurzfristig wirkende Massnahmen ergriffen werden”.

Da waren’s nur noch zwei: USA und Kanada

Die Schweiz war bis dato eines der wenigen Länder, die auf eine Zulassungsbeschränkung für Ärztinnen und Ärzte verzichtete. Einzig die USA und grosse Teile Kanadas vertraten dieselbe Politik wie die Schweiz, so eine Studie (siehe Link). In den Niederlanden sind Hausärzte von einer Zulassungs-Beschränkung ausgenommen.

Andere Staaten haben entweder die Anzahl Ärzte und Ärztinnen eingefroren oder aber eine Versorgungsdichte festgelegt (z.B. Dänemark). In Deutschland kann im Falle einer Überversorgung einzelner Gebiete eine Zulassungs-Beschränkung eingeführt werden.

Notbremse – was ist mit den Aussichten?

Mit dem zeitlich beschränkten Zulassungsstopp ist es Spitälern nicht verwehrt, das Angebot an ambulanten Behandlungen auszubauen. Stellen in Spitälern zu schaffen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, würde den Trend zur Eröffnung eigener Praxen bremsen, so die Regierungsmeinung. Und die drei Jahre müssten nun auch genutzt werden, um bessere Modelle auszuarbeiten. Eine Verlängerung dieser bei Ärzten und Ärztinnen unbeliebten Massnahme kann nur mit Bewilligung des Parlaments erfolgen.

Rebecca Vermot und Christian Raaflaub

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